Alpenvorland:
Brief an SPK/PF(Ö) zu PATIENTENSTIMME Nr. 2 und zu SPK, KRANKHEIT IM RECHT, Revolution und PATIENTENFRONT
Sabine Maurer
SPK
Stiftgasse 8
A-1070 Wien
5.9.1997
Hallo SPK Österreich,
Von KRANKHEIT IM RECHT habe ich ein Exemplar (Nr. 2) der PATIENTENSTIMME erhalten. Ich freue mich, daß es eine aktuelle, regelmäßige Informationsquelle gibt, die ich hiermit auch bestellen möchte. Die Artikel sind vielseitig zusammengestellt, und sie gefallen mir gut. Interessant vor allem der Tschernobyl-Bericht. Wo in der Presse kann man denn sowas lesen?
Am meisten gedanklich beschäftigt hat mich aber der Satz „Krankheit der Gottesbeweis". Das steht nun einfach so da, aber ich komme nicht drauf, warum. Der Krankheitsbegriff mit seinen fünf Momenten ist ja sehr umfassend. Liegt die Brücke zum Verständnis vielleicht da? Evtl. über die herzustellende Wirklichkeit?
Ich kenne KRANKHEIT IM RECHT jetzt ein Jahr, eine Tatsache, die sich sicherlich nicht nur bei mir, lebensverändernd ausgewirkt hat. M., Beistand im Krankheitswesen, meinte, ich könnte meine Gedanken und Erfahrungen evtl. mal zu Papier bringen, was ich hiermit versuchen möchte. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen einzuwenden, wenn ich eine Kopie des Briefes nach Mannheim schicke.
Vielleicht beginne ich mit ein paar Gedanken zur Vorgeschichte. Vor acht Jahren wurde ich durch die Verwandtschaft in die Psychiatrie zwangseingewiesen, die ich zwei Monate später, hauptsächlich aufgrund massiv artikulierten Arbeitswillens wieder verlassen konnte. Der Schock saß tief. Stigmatisiert, ausgegrenzt, abgespalten von der übrigen Gesellschaft, gebrochen an Würde, Rückgrat, Selbstgefühl.
Daß Artikel 1, Grundgesetz, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist, nicht in Kraft ist, weiß man danach ja genau. Daß dies für alle so genannten Grundrechte gilt, ist mir dann erst viel später, nach Kontakt mit der SPK-Literatur gedämmert.
Nach der Entlassung wurde die diagnostizierte Selbstgefährdung Realität in einem mir bis dahin nicht bekannten Ausmaß. Denn so eine gewisse Lebensfreude hatte mich auch in der Wahnwelt nicht verlassen. Andere beschreiben das ja auch, das Gefühl, daß sie irgendwie für eine bessere Welt denkend vor allem arbeiten. So ähnlich war das bei mir auch. Es war Perestroikazeit, die Hoffnung kam aus Ost. Ich war lange Zeit wirklich der naiven Ansicht, daß es bei soviel friedlichem Entgegenkommen zu einer neuen gemeinsamen Sicht der beiden politischen Systeme Kommunismus und Kapitalismus kommen müßte.
Weit gefehlt! Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks wird es ja immer schlimmer, der Kapitalismus wird immer dreister und frecher, was ihn, so hoffe ich heute, seinem Ende näher bringt.
Doch damals wußte ich noch nichts von SPK, KRANKHEIT IM RECHT, Revolution und PATIENTENFRONT.
Es waren Jahre des Überlebens, ohne Richtung, ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Die Gegenwart erlebte ich mehr betrachtend als handelnd. Ob Menschen, Gesellschaft, Politik, Presse, nirgendwo fand ich Neues, das mich mitriß. Es blieb die Vergangenheit, mit der ich mich theoretisch beschäftigte. Philosophie und Religionskritik gaben eine gewisse Ruhe. „Ich denke, also bin ich" wurde irgendwie zum Überlebenszitat.
Auch an der Uni kommt man ja nicht wirklich weiter, obwohl ich mich da als Gasthörer zeitweise ganz gern aufhalte. Hirnimperialismus sagt SPK, eines von vielen Highlights, die ich dann auch hatte, nachdem ich KRANKHEIT IM RECHT kennengelernt hatte.
Und die Medien kann man ja auch vergessen. Daß das Fernsehen Gift ist, darauf bin ich vor zehn Jahren auch gekommen. Aber die Presse regt mich auch heute noch auf. Pressefreiheit soll das sein, diese Manipulation und Oberflächlichkeit, die jeden Tag zur Verdrängung erzieht. Gleichgeschaltetes Verdummungsinstrument würde da wohl eher passen. Eine tatsächlich oppositionelle Zeitung habe ich nicht entdeckt, die zumindest mal den Versuch macht, etwas historisch zusammenhängend zu berichten. Schon damit könnte man manche Lügerei ad absurdum führen.
Wie gesagt, vor einem Jahr fand ich zu KRANKHEIT IM RECHT. Damit endete auch die gedankliche Einöde, in der ich jahrelang gelebt hatte.
Die SPK-Literatur, mit der ich nun in Berührung komme, hinterläßt starke, bewegende Eindrücke. Da entdeckt man ja eine ganz neue Philosophie. Neue Grundlagen, Ansätze, Perspektiven. Sogar neue Begriffe, was mir besonders gefallen hat. Mit so manch' altem Begriff, wie z.B. Ethik läßt sich ja nichts mehr anfangen. (US-Ethikkommission empfiehlt dem Senat das Klonen von Menschen).
Daß es die Ärzte sind, die die Weltherrschaft inne haben, diese Feststellung war anfangs ungewohnt für mich. Kirche und Militär hatte ich immer so als Feindbild im Visier gehabt. Aber die Blickrichtung hatte sich um eine Dimension geändert, und heute komme ich deutlich weiter, wenn ich Ärzteschaft und Kapitalismus gemeinsam betrachte. Macht viel Sinn, Beispiele gibt's jeden Tag.
Die nach Sohn-Rethel ja gesellschaftlich vorgeformten Bewußtseinskategorien (Zahlen und Überzählige;vgl. SPK-Dokumentation III) haben sich auch bei mir nicht von heute auf morgen verändert. Dies galt vor allem für das mir damals zumindest theoretisch noch eigene Gedankengut des Pazifismus. Praktisch hat es nicht überzeugen können, da ich immer wieder die Erfahrung gemacht hatte, daß je toleranter ich wurde, desto schlechter wurde ich im Endeffekt behandelt. Gegenwehr dagegen, wie ich nun feststellen konnte, wirkt sich da sehr viel lebensfreundlicher aus. Das gibt Kraft und baut auf.
Ohne die Unterstützung von KRANKHEIT IM RECHT hätte ich aber so manches nicht geschafft. Ob bei drohendem Führerscheinentzug oder Problemen am Arbeitsplatz, alleine gelassen wird man da nicht. Und wer KRANKHEIT IM RECHT kennt weiß ja, wieviel Qualität so eine Unterstützung hat. Der weiß auch wie sich die immer interessanten und guten Gespräche direkt auf das Leben auswirken. Wer es nicht weiß, kann es ja selbst herausfinden.
Sabine Maurer