Agitation und Aktion im Knast

A potiori

Die behaupten in "Kreativitätsforschung", daß KZs, Zuchthäuser etc. diese Art Produktivität nicht totgekriegt hätten.

Ein Argument, das man sich merken kann. Brauchbar mindestens in zweierlei Hinsicht:

a) Laut Fachliteratur der richtenden Sauklasse im internationalen Kontext bezweckt jede Zuchthausdauer-Über-Drei-Jahre "Zerbrechen", "Abstumpfen", "Abtöten jeder Spontaneität und Selbständigkeit".

b) Gerade unter sich so nennenden Genossen gibt es gar nicht wenige, die, mit und ohne SPIEGEL und FR, fest auf dem Vorurteil der Klasse a) hocken. In etwa dieselbe Geschichte wie bei dem Einen, der gesoffen hat und den zugehörigen Kater hat der Andere.

Erfinderische Produktivität und Gefühl (Sensibilität) sind in dem Poincaré-Aufsatz in ihrem Zusammenwirken verbunden. Für uns ein sehr wichtiger Befund. Er besagt nämlich auch, daß es an uns liegt, wenn unsere Produktivität abhängig ist von der Resonanz, die sie unter beliebigen Umständen findet bzw. nicht findet. Als Resonanzboden unserer Produktivität reichen demnach Gefühle, die wir vorfabriziert mit uns herumtragen, völlig aus, vorausgesetzt sie sind so, daß sie auf neue, unerwartete Kombinationen gemünzt sind und förmlich auf sie lauern. Jede Gefühlsqualität, gleichgültig ob Lust, Ekel, Haß, Häßlichkeit kann eine solche geeignete Schablone für derartiges Bewußtes sein. Und die Zustimmung aller mit vergleichbarer Gefühlsbasis ist, auch stillschweigend, vorauszusetzen und vorausgesetzt.

Notwendig dafür, daß diese Produktivität ist und bleibt, sind bestimmte Kenntnisse in Sachen Hedonismus und Habitualisierung und deren experimentierende Anwendung in der jeweiligen Situation. Wie und was man fühlt hängt davon ab, wie und was man sich gewöhnt zu fühlen: "Gewohnheit ist der Mechanismus des Selbstgefühls" (Hegel, Philosophie des Geistes). Ist die entsprechende affektive Basisaktivität erzeugt und sind bestimmte Gefühle zur Gewohnheit – und die ist nichts weiter als ein anderes Wort für zweite Natur – geworden, so findet die ohnehin vorhandene Spontanproduktivität der Hirnrinde in diesem Fundus habitualisierter, zur Gewohnheit umgestalteter Gefühle nicht nur ihre ganz spezifischen Stützpunkte, ihr Skelett sozusagen, sondern die Katalysatoren ihrer dialektischen Sprünge.

Einfühlen in die kapitalkranke Situation, immer wieder. Dadurch entstehen Gefühle, die hören und überhören, übersehen und sehen können und welche zum Sezieren, andere zum Mauern. Jeder Zusammenstoß zwischen diesen "Sinnesorganen" und den dazu passenden kleinen Aktionen, Wahrnehmungen und Gedanken des Alltags macht bombenmäßig Spaß.

Schwer herauszufinden, was am "lateralen Denken" kreativ sein soll. Vielleicht immerhin soviel, daß da einiges aus der Hegel-Phäno. durchschimmert (ja, ja: "Die Wahrheit steckt tief verborgen im Brunnen", hat mal einer gesagt und ein anderer ergänzte: "Kein Wunder, wenn man ihr immer auf die Finger klopft, sobald sie heraus will."): Z.B. die Furcht zu irren ist der Irrtum selbst; Philosophie ist der sich vollbringende Skeptizismus; jede Äußerung, auch die des Denkens, hat ihre Wahrheit in der Veränderung des gesamten Kontexts, in dem sie vorkommt, gleichgültig ob sie als solche richtig oder falsch ist; antizipieren: alles voraussetzen heißt nichts voraussetzen – den letzten Schritt vor dem ersten machen (zitiert, aber nicht unbedingt wörtlich). In der Aufforderung de Bonos, Beziehungen umzukehren; wo eine Richtung erscheint, diese zu ändern, komplexere Strukturen zu bilden, um damit weniger komplexe zu zerschlagen bzw. zu verhindern, daß man sich darauf fixiert usw., steckt Hegels Aufforderung, von der wahren Bewegung auszugehen, nämlich derjenigen, in der sich alles ändert = bewegt: Bewegung der Bewegung als Beschleunigung, die je nach Richtung und Standpunkt als Verzögerung erscheinen kann; was Mao-Interpreten asymmetrische Dialektik nennen und wozu das Bild der Spirale herhalten muß, letztlich um den Begriff zu verhindern, versteht sich! Die Metapher: Du siehst genau wozu sie nützt, dem, der nicht viel Verstand besitzt, die Wahrheit durch ein Bild zu sagen (denkste!).

Der Mendelejew-Aufsatz ist so ab S. 272 äußerst lichtvoll, weil das Thema auf die Begriffsmomente Besonderes, Allgemeines, Einheit, (Einzelnes)-Zufall und Notwendigkeit gebracht wird. Den Begriff dieses Begreifens hat er (Kedrow) zwar nicht: (der fehlt ja auch bei Lenin und Mao unentschuldigt) (wäre das anders, dann: umso schlimmer für den Riesenmisthaufen dogmatischer Neutöner und umso besser für die Praxis hierzulande). Kedrow läßt die Kreativität vom Besonderen zum Allgemeinen aufsteigen, die Einheit finden, sie andererseits auch wieder (S. 278) mit irgendeiner obskuren "Einzigartigkeit" (statt mit dem Goldstern: Zufall) beginnen – mogelt sich halt so mit dem Einzelnen herum und versucht den Widerspruch, den er da auf dem Hals hat, unbemerkt in Worten zu verstecken, indem er das Einzelne mal Einheit, mal Einzigartigkeit usw. nennt, denn sein Anspruch auf "Wissenschaftlichkeit" und "Logik" (Dressurprodukt, klar) zwingt ihn, anstatt monistisch zu begreifen, Allgemeines, Einzelnes und Besonderes sauber auseinanderzuhalten. So kommt er natürlich nicht hinter die kreative Pfiffigkeit (Art Bauernschläue) des Entdeckers, Erfinders, für den Einzelnes, Besonderes, Allgemeines zunächst mal eben gerade nicht sind, was sie bedeuten, sondern je ein Bündel Schallwellen bzw. je eine Gruppe Schriftzeichen, aber unterschieden von anderen Bündeln (z.B. gebündeltem Gemüse), unterschieden von anderen Gruppen (z.B. einer Gruppe Spaziergänger), halt Besonderes, nämlich Schallwellenbündel und Schriftzeichengruppe. Na und außerdem ist nichts allgemeiner als das Einzelne: Jedem Bündel, jeder Sorte und jeder Gruppe kommt zunächst einmal soviel und kein anderes Allgemeines, Gemeinsames zu, außer demjenigen EINS zu sein (1 Bündel Schallwellen = 1 Gruppe Schriftzeichen davon etc.) und das Allgemeine ist selber besondere, einzelne Schriftzeichengruppe, Schallwellenbündel. Kreativität ist also kein "Aufsteigen", "Finden", "Beginnen", sondern – pfiffig oder spekulativ, egal – ein Bewirken all dessen, was mit der Einheit von Begriff und Wirklichkeit zu tun hat und zwar ausschließlich.

Gorki: Primat des Monismus als methodischem Prinzip über den Dualismus ist richtig, weil der Klassenantagonismus Sache der Praxis ist, dann aber bittschön als Manichäismus, weil es nämlich sonst nicht nur bei theoretischer, sondern praktischer Reproduktion und Apologie des Bestehenden bleibt (das Freund-Feindverhältnis = Politik sei Sache des Scheins, nicht des Wesens, wie manche Gelehrte immer mal wieder glauben machen). Gar nicht gewußt, daß es zwischen ’05 und ’17 diese produktive, revolutionäre Wendung der kapitalistischen Destruktivkraft Krankheit gab …

Was mir nach dem ersten Durchlesen der "Kreativitätsforschung" aufgefallen und hängengeblieben ist, beiliegend. "Immunologie" scheint einiges Brauchbares zu enthalten – wenn es auch nach dem Vorwort den Anschein hatte, als sei das Ganze nur Abklatsch eines verknöcherten US-Empirismus.

 

Wie die Isofolter diesmal auf ihre Urheber zurückgeschlagen hat, darüber wird mal mündlich berichtet (Gefangenenverhetzung heißt der Bullen neuestes Wehgeschrei). Zur bekannten Melodie "Paulinchen saß auf einem Stein" läßt sich auch der Text singen:

Die Bullensäue sind beknackt, sind beknackt, sind beknackt
Sie zeigen ihre Mordlust nackt, Mord-Lust nackt.

Können das alle auswendig, dann reicht es schon, die ersten Takte zu pfeifen – und das durchgängige Resultat: … die einen freut’s, die andern nicht …

Dem S. hat der Fernsehdoktor zum 2. Mal für je 1 Woche volle 24 Stunden täglich Wohnklo mittels Ferndiagnose verpaßt. Besagter Fernsehdoktor hält sich laut wiederholtem Selbstbekunden für "keinen Beamten, sondern für einen Idealisten". Ist dann die jeweilige Woche rum, dann soll S. mit dem "Zugangshof laufe". Den boykottiert er mit dem völlig richtigen Argument, daß der "Zugangshof", wo jeder soziale Kontakt – soweit von dessen Zustandekommen hierdrin überhaupt die Rede sein kann – definitionsgemäß und regelhaft durch Verlegung des "Zu-gangs" nach wenigen Tagen schon wieder zerrissen wird. Dies bedeutet medizynisch die Permanenz des Traumas (= Schädigung, Verletzung) Objektverlust (Freud) und kann erfahrungsgemäß und vor allem nach gängiger Lehrmeinung nur dazu "gut" sein, jemanden in die Depression und schließlich in den Suizid (Selbstmord = Mord) zu treiben. (Daß auch S. kein Jemand mehr ist, steht auf einem andern Blatt.) Daß die mir nicht mit dieser Art Einzelhof gekommen sind, statt dessen aber gleich mit 4 Wochen Einzelhof, liegt daran, daß sie sich bei mir auf keinerlei Untersuchungsbefund stützen könnten, weil es dergleichen nicht mal von weitem, geschweige denn auch nur von Zahnarztseite gibt – und das seit fast 4 Jahren. (Also auch insoweit goldrichtig, die Bullen in Weiß ins strategische Zentrum gerückt zu haben. Doch davon gleich noch mehr. Im Zusammenhang mit S. soll ich übrigens noch mitteilen, daß ihm die Stockwerksbullen am 22.2.’75 jedes Buch, jedes Zettelchen aus der Zelle geklaut haben – also das, was sie bei mir von Anfang an praktizierten).

 

28.2.’75,15.00

 2 weiße Mordbullen, einer mit grünen Hosen drunter: … "Kollege" … "Befinden erkundigen" … (setzt sich neben mich auf Bettrand, guckt mir in die Zeitung, läßt das aber schnell bleiben, weil da der Sieg der revolutionären Gewalt überplakatiert ist) … "Bin kein Beamter, mache das nur aus Idealismus". (Ich): "RRRAUSSS". (Er) : "Meinen Sie mich? Dann geh ich wieder". Der ging sich dann bei S. bitterlich beschweren. S. hat ihm den Zusammenhang zwischen Mordbullen in Weiß und Idealist erklärt.

 

4.3.’75,7.30 Irgendein Sauzettel (= Formular der Anstalt, z.B. Zahlungsanweisung) zerrissen vor die Tür geschmissen und zwar schneller als der Stockwerksbulle wieder draußen war.

 

6.3.’75,10.00 Was vor 25 Jahren mal unser Hausarzt war, steht vor mir. Der weiße Mordbulle dahinter, mit den grünen Hosen, verschwindet schleunigst, als ich mit einem Ruck Haltung annehme. Dr. W. weist zwei Bescheinigungen vor: "Mutter Nervenzusammenbruch" oder so, mich betreffend: "vermutlich am Abkratzen" oder so, oder so oder so (seit 2 1/2 Monaten Folterdiät). Erkläre ihm, daß die von der revolutionären Patientenfront auf die Schandmauern, Gitter, Spione etc. des Kapitals verweisen, keinerlei Untersuchung und sog. Therapie (therapeutes = Mönch, Pfaffe) dulden, von jedem, der als Arzt auftritt und damit als Haupt- und Allesverantworter, Allesabwälzer, erstbester und letzter Platzhalter des absoluten und universalen Nichts, die Organisierung von Gegengewalt fordern. Da die Patientenfront die Unterscheidung zwischen kriminellen und politischen Gefangenen als Bullenkram zurückweise, sei ihr Parteiabzeichen die Physiognomie des Lebens, das sich weder vor Tod noch Verwüstung scheut. Zum Schluß fragt er: Wie komme ich hier wieder raus? (Ich): Im Unterschied zu uns so, wie Sie hereingekommen sind, Herr Doktor. (Er war nämlich nach (!!!) ’45 mal hier eingesperrt.)

 

Huber PF/SPK(H) WD, Dr.med.

Aus SPK-Dokumentation Teil 3, 1. Auflage 1977

PF/SPK(H), 09.03.2014