Vorgang und Retourkutschen
Zu dem Rundbrief muß ich mich ja wohl
äußern. Zentralpunkt ist die These, daß von den Bedürfnissen der Verknasteten
ausgegangen werden soll. Sehr gut! Noch besser ist die Forderung nach
politischer Zusammenarbeit. Miserabel allerdings das "erloschene Mandat". Wenn
nämlich einem politisch Verknasteten das Mandat erlischt, dann bleiben ihm
letzten Endes zu seiner Verteidigung immer noch Staatsanwalt, Richter, Kronzeuge
und Pflichtverteidiger: die Anklage nimmt ihm die Mühe ab glaubhaft zu machen,
daß er sich von dem System der Vernichtung distanziert hat, das ihn deshalb
anklagt. Wer aber soll den Verteidiger verteidigen?
Das kann in einem solchen Fall eben auch wieder nur das Gericht, nur fehlt
diesem halt dazu jede Veranlassung, denn der Verteidiger hat sich ja von der
Anklage weg zurück ins System geschlichen und dagegen hat kein Gericht was
einzuwenden. Im Gegenteil!
Die Anklage kann also nur den Angeklagten verteidigen. Für den Verteidiger wird sie zur Anklage, weil er es in jedem Fall mit einer Justiz zu tun hat, die kriminell ist, denn sie verstößt permanent gegen ihre eigenen Gesetze, weil er es in einem solchen Fall mit Klassenjustiz par excellence zu tun hat, denn hier wurde und wird kein Recht, sondern die nackte Gewalt gegen Kranke eingesetzt, die bekanntlich weder eine gesellschaftlich-ökonomische Verhandlungsbasis, noch einen irgend greifbaren Rechtsstatus haben. Und schließlich gibt der Verteidiger einer Anklage zumindest den Schein der Legitimation, einer Anklage, die durch und durch auf politischer Justiz basiert, denn schon in ihren allerersten Entscheidungen bezog diese Justiz im Verhalten gegen die Patientenselbstorganisation einen dezidiert politischen Standpunkt, indem sie die gegen uns gerichteten juristischen Sanktionen mit nichts weiter als dem Vorwurf der "politisch-ideologischen Agitation" begründen konnte.
Der Verteidiger, als ein Element
dieser Justiz, als ihr unverzichtbares Feigenblatt, ist Gegenstand der
Anklage! Darin und in gar nichts sonst kann einzig sein Bedürfnis bestehen, die
Anklage zu vernichten.
Wie anders nämlich sollte er als Verteidiger überleben?
Was hat es mit seinen Bedürfnissen auf sich, wenn er in einem politischen
Verfahren die Platte lange vor der Zeit putzt, weil er sich von einem Mandanten
im Stich gelassen glaubt? Der Mandant ist nämlich in jedem Fall fein raus. Der
hat sein Ei schon vor der Zeit, d.h. vor Beginn des Verfahrens gelegt, hat sich
mit Hilfe der Justiz von diesem System nicht freigesprochen, sondern frei
gemacht.
Als Verknasteter hat er sich gottlob nicht einmal mit Bedürfnissen rumzuschlagen, denn die sind total dem Justizvollzug subsumiert. Wer als Verteidiger vorgibt, er gehe von den Bedürfnissen des Verknasteten aus, der meint denn ja doch wohl eher die Bedürfnisse des Justizvollzugs, an dessen Gewalt er partizipiert, sobald er mit dem Verknasteten Kontakt hat sogar ganz sinnlich konkret, oder? Ich sage nicht, daß der Verknastete keine Bedürfnisse hat, aber ich bin ganz sicher, daß das Knastbedürfnisse sind, d.h. nicht seine eigenen. Hingegen hat der Verteidiger eigene Bedürfnisse zu haben, nämlich Verteidiger zu bleiben oder zu werden, wenn er’s noch nicht ist. Wie er dieses Ziel durch Abbruch der Verteidigung erreicht, wäre mir ein Bedürfnis zu erfahren. Will er seine Kräfte besseren Fällen zuwenden? Dann kann er jedenfalls nicht behaupten, es gehe ihm um politische Zusammenarbeit. Dann muß er eben sagen, daß ihm sein Bedürfnis nach Besserem steht, denn politische Zusammenarbeit ist gewiß nicht für jeden das beste, sonst säßen wir beispielsweise nicht im Knast und hielten das obendrein auch noch für besser, als uns mit diesem System – und sei es sogar nur durch einen Rechtsanwalt partiell repräsentiert – zu korrumpieren.
Der
Kretz und der Baeyer machten einen Unterschied zwischen Patienten – das
waren alle, bei denen es in irgendeiner Form was zu holen gab – und
Nichtpatienten, bösen Patienten, SPK. Der Textor und seine Clique unterscheiden
zwischen dem "eigentlichen" SPK und der
kriminellen Vereinigung. Der Bachus & der Textor unterscheiden innerhalb der
kriminellen Vereinigung zwischen verrückten Normalschuldigen und
normalschuldigen armen Irren. Der Textor und der Kretz plagen sich mit dem
Problem ab, was der Unterschied von einem Nilpferd ist, nämlich ob der gute
Klinikhuber sich vom bösen SPKhuber, wenn’s nun halt schon mal derselbe ist,
nicht wenigstens durch einen Krankheitswert unterscheiden läßt.
Zu all dem paßt fürwahr! die Mandatslöschung wie die Faust aufs Auge. Da habt
ihr sie, die Kriterien für euren Bedürfnissalat. Das sind die
Kretz-Bachus-Baeyer-Textor-Frank-Oberleithner Qua(e)tschkriterien. Sind das auch
Eure? Der Marx hat da jedenfalls noch andere. Wie ihr sicher wißt, gab’s für den
das Kriterium Gewissensangst. Altmodisch, aber brauchbar. Die Gewissensangst
kriegte ihn nämlich immer dann, wenn er einen objektiven Zusammenhang kapiert
hatte, das Kapieren ihn zwang, diesen Zusammenhang zu ändern, seine Bedürfnisse
ihn aber überreden wollten, daß es opportuner sei, Unterschiede zu machen, um
sich besser drücken zu können.
Was tat der Marx nun in einem solchen Fall? Hat er sich nach seinen Bedürfnissen
gerichtet? Ei gewiß doch! Um eben mit dieser Gewissensangst fertig zu werden,
hat er sich in den objektiven Zusammenhang vertieft, solange bis das Bedürfnis
nach Veränderung die Gewissensangst beseitigt und das Bedürfnis sich zu drücken
ersetzt hatte. So soll das revolutionäre Bedürfnis beim alten Marx entstanden
und gewachsen sein. Nicht nur bei Marx, denn dem Vernehmen nach macht das Schule
und daher gibt es noch heute die politische Zusammenarbeit.
Gehen wir also von den Bedürfnissen
aus, von diesen Bedürfnissen, um politisch zusammenzuarbeiten. Setzen wir ruhig
voraus, daß der Verknastete, dessen Bedürfnisse total verwaltet, also gar nicht
da sind, vom Verteidiger in seiner Protesthaltung, die sich auch und nicht
zuletzt gegen diesen richtet, bestärkt werden muß. Erklären wir diesen Protest
zum Bedürfnis, denn er ist ein solches. Wie könnte das auch anders sein? Man
kann nämlich gegen alle Bedürfnisse protestieren, egal ob man sie hat oder ob
sie einem verwaltet werden, kann dagegen sich auflehnen, daß man im Knast ist,
daß man nicht draußen ist, gegen Schlaflosigkeit, Geilheit mit Objektbezug zur
Kloschüssel, deren Fehlen, gegen das Bedürfnis, keinen Schaden davonzutragen,
ebenso wie gegen das Gegenteil. Aber den Protest, der einem verteidigt wird, den
macht man sich durch Gewohnheit zum Bedürfnis.
Der läßt sich dann weder verknasten noch entgeilen, auch nicht zerobjektivieren,
ja nicht einmal durch eine Leukotomie beschädigen, denn der sitzt tiefer. An
dieses Bedürfnis kann keine Verwaltung ran, wohl aber die Verteidigung.
Nehmen wir mal an, der Verteidiger
kommt mit dem Anklagepaket des Gerichts und sagt, wie er sich gegen die Anklage
zu verteidigen gedenkt, ja er, der Verteidiger als Angeklagter in seinem
Rechtsstaat, von dem er von Berufs wegen am besten weiß, daß und warum es keiner
ist. Die Rechtlosigkeit sitzt ihm ja in Gestalt des Politischen leibhaftig
gegenüber. Dann ist er es, der sich in einer ganz miesen Situation befindet,
denn er kann sich nicht frei machen vom System, nicht einmal in der ganz
formellen Weise seines Gegenüber. Er muß sich freisprechen, vor dem Gericht, vor
der Öffentlichkeit. Wenn er sich da nun auf den Verknasteten verläßt, dann ist
er aufgeschmissen.
Subjektiv, weil er ihm zumutet, das System um seinetwillen wieder zu
verteidigen, nachdem er es zuvor immerhin soweit erschüttert hat, daß es ihn als
kriminell Vereinigten, also Politischen auszustoßen gezwungen war.
Objektiv, weil das Gericht, weder ihm, noch dem Verknasteten mehr einräumen
darf, als wozu es durch seine immanenten Widersprüche gezwungen ist. Diese haben
ihren Sitz nicht im Gedächtnis des Verknasteten, sondern in der Doppelrolle des
Verteidigers (Angeklagter und Verteidiger in eigener Sache), im Aktenpaket und
in der Öffentlichkeit.
Bis die Verhandlung beginnt, hat besagte Öffentlichkeit längst mit uns abgerechnet, und wir sind dabei bis jetzt sogar nicht einmal schlecht weggekommen. Das Gericht, das sich als die Öffentlichkeit aufspielt, hat somit auf jeden Fall das Nachsehen. Das verstehe ich unter dem Widerspruch der Öffentlichkeit.
Den Widerspruch der Verteidigung würde ich hauptsächlich darin sehen, daß der Verteidiger in diesem Verfahren nicht einmal Angeklagter ist, sondern von vornherein dazu verurteilt, gegen ein Bullengericht anzukämpfen (denn die Anklage ist zu 90% Bullenprodukt, zu 2% Bachus und zu 8 % Frank & Co.).
Dies alles – und das kommt noch hinzu – wird dem Verteidiger zugemutet, während der Normalverbraucher vor Bullen nicht einmal das Maul aufzumachen braucht. Daß die Bullen vor Gericht "nur" als Zeugen auftreten, ändert an diesem Überhang von Krimi-Determinismus gar nichts. Die Widersprüche im Aktenpaket und die Fetische, die diese zusammenleimen – und reimen sollen, kann der Verteidiger aus eigener Sicht nur dann progressiv auflösen, wenn er sich auf den Verknasteten verlassen kann, der ihn dabei korrigiert, wenn’s nötig ist, so daß die Richtung stimmt, und der gegnerische Argumentationszusammenhang, den Verteidiger und Verknasteter gemeinsam konstruieren, gesprengt wird.
Jeder Verknastete hat gut 4000 Stunden intensivsten Umgangs mit Widersprüchen hinter sich und dadurch den inneren Knast permanent überwunden. Wenn all diese Erfahrungen für die Katz waren, dann erkläre ich die Revolution für geschlossen (das macht nichts, kümmert sich doch keiner drum).
Der Verteidiger muß sich an das Recht halten. Das verlangt sogar das System von ihm. Wenn er von jemandes Schuld überzeugt ist, so verteidigt er ihn nicht. Ist er von jemandes "Unschuld" überzeugt, so beweist ihm das Gericht das Gegenteil. Was ihm der Mandant erzählt, bringt er zu dessen Gunsten dem Gericht bei. Das Gericht verkehrt die Aussage ins Gegenteil – das müssen sich immer wieder gerade die besten Rechtsanwälte gefallen lassen – und schon ist der Ofen aus.
Woran kann man sich überhaupt halten, wenn nicht an die Widersprüche? An die Wahrheit. Die ist nun aber nicht zufälligerweise mit dem Widerspruch identisch, der wiederum ist konstitutiv für das Recht.
Womit wir bei der Vernunft angelangt
sind. Was ist das, Vernunft? Nichts weiter als das Setzen, Auffinden und
Funktionalisieren des Widerspruchs und seine Fortbewegung in progressiver
Richtung. Dagegen ist die Ratio = Verstand die funktionalisierte Dummheit, die
den Widerspruch ausschließt, ihre Wirksamkeit – die ist ihr unbestritten – aus
der Macht bezieht und als Wissenschaft, Apparat, Gericht, Zentralismus,
Geschwätz etc. etc. in Erscheinung tritt.
In Rotbuch 30 haben sich einige Arbeiter zu diesem Komplex so geäußert: "Man
neigt dazu, den Faktor Dummheit immer wieder zu unterschätzen. Das ist ein
Fehler. Die Dummheit hat ihre eigene Gesetzmäßigkeit. Sie ist fast unfehlbar und
in dieser Hinsicht der strengsten Logik und den genauesten Voraussagen
überlegen".
Die Vernunft, ähnlich dem Protest, ist ein gewaltsam verkümmert gehaltener Instinkt. Der Verknastete ist der Verknastete: das ist widerspruchsfrei, das ist verständig. Scheiße! der Verknastete ist der Vernünftige und will es bleiben, muß es bleiben, weil Vernunft von der Dummheit nur mit Knast honoriert werden kann, sonst wäre er nicht drin. So herum stimmt’s schon eher!
Nun noch ein Wort zu dem armen Hans
(Bachus), "der sich mit den Normen der Herrschenden identifiziert hat". Das war
verständig, lieb und hat die Textorei ‘ne Menge Arbeit, Quetschen und Quatschen
gekostet. Und herausgekommen ist auch bloß Textoritis, ‘ne Infektion mit viel
Gelaufe und Schiß. Das beweist doch bloß, daß der sich im SPK ums Verrecken
nicht hat mit Herrschaftsnormen infizieren können, weil se die einfach nicht
mehr vorrätig hatten. Der Hans ist also so eine von den Ausnahmen, die man
notfalls erfinden müßte, um die Regel zu bestätigen. Die Regel, das sind wir.
Also hängt Euch gefälligst nicht am Hänschen auf ( … lernt Hans nimmer mehr).
Und was so die persönlichen Beziehungen betrifft, die geben und lösen sich wie alle Strukturen im Wald, auf der Heide, beim Maikäfer und beim Pantoffeltierchen im Himmel und bei der alten und der neuen Linken.
Denn gegen die Struktur setzt sich immer die Funktion durch. So auch in der revolutionären Politik. Amen.
Aus: SPK-Dokumentation Teil 3, 1. Auflage 1977
PF/SPK(H), 02.04.2014