Iatroklasie
Die Einführung zum folgenden Text wurde von uns selbst geschrieben auf Anfrage der Herausgeber der italienischen Vierteljahresschrift ASSEMBLEA.
Einführung
Die herrschende Magie ist die Magie der
Herrschenden (Iatromagie).
Aber
Magie ist Methode und
Aktivität. Immer.
Die ganz grundlegende Materie jedoch, die Materie Krankheit (materia malattia), die allgemeine und allumfassende, materialistische Krankheit (malattia materialistica universale), die eigen-gesetzliche und unabhängige Krankheit, pathenzieren (pathenzieren, nicht potenzieren –, Krankheit mit Krankheit steigern!), Grundlage nicht nur der Erklärung von allem (Iatrocide statt Homöopathie! Pathastrie statt Astrologie! usw. usw.); kein Spiritualismus, weder Diagnostizierer, noch Experten oder Techniker! Überhaupt keine Medizin, keine Medizin für welche Krankheit auch immer: pathopraktische Kriegführung.
Einige italienische Gefangene fragten nach einer revolutionären Kultur der Krankheit (ASSEMBLEA Nr. 6, Juni/August 1984). Der folgende Text ist unser Beitrag dazu. Er ist das Ergebnis von Erfahrungen, die wir 1979 darzulegen hatten – sicherlich vor den falschen Leuten, aber wenigstens konnten wir diesen Text dadurch öffentlich machen. Wie alles angefangen hat, darüber informiert eine Stellungnahme von Jean-Paul Sartre.
Iatroklasie
Im Collettivo
Freudiano können Frontpatienten bisher noch zu Wort kommen. Diesmal zum
Intellektuellen und zur Kunst. Frontpatienten aus der Patientenfront (PF):
Gründerwurzel des gefällten, entgegen anderslautenden Mitteilungen nie
verbotenen Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK).
Iatroklasie, selbst gewählt, nach Iatrokratie (1976) und Iatrarchie (1977) legt Prinzipielles dar. Die Experimentaleinstellung Thermomimetik bringt den Intellekt auf die Erde zurück, wo er herkommt (Intellurekt) und verabschiedet die Kunst (Bildung, Staatskunst und Euthanasie gleichermaßen), mit dem Arzt, der abgedankt hat, endgültig. Neuzufassen waren vor allem massen-theoretische und anthropologische Grundlagen ... Von den Somatothermen zum unwerten Leben unterwegs. |
L(o)stile Armando Verdiglione |
Mit "Aggression" hat Iatroklasie überhaupt nichts zu tun. Aus Behandlungszimmern, Kabinetten und Studios aller Art und aus Lateinbüchern stinkt Aggression nicht nur zum Himmel, sondern rassenhygienisch. Dagegen Iatroklasie: die Intelligenz der allen gemeinsamen Erde, die Intelligenz der Dummen , die älteste und jüngste, ihr Intellekt, die ruchbar gewordene Auseinandersetzung im Tellurischen! Intelligenz ist Intellurenz. Als magen- und erdumwälzende Revolution, pathomagischer Infektionsprozeß, steht sie der Kernverschmelzung am nächsten, zur Aggressionspolitik aber außer Verhältnis.
Scherben bringen Glück? Aber es bleibt ja nichts mehr zu zertrümmern, nicht einmal die Zertrümmerung selbst. Atome sind schon zertrümmert. Deren Zertrümmerung auch. Am vorläufigen Ende der Atomzertrümmerung steht die einStein-Klinik. Scheinbar nur in New York. Am Anfang der zertrümmerten Gesetzestafeln steht ENTELLO, dann Moses mit den Zehn Geboten ("Ich bin der Herr, Dein Arzt ", 2. Mose 15, 26). FRIEDRICH ENGELS hat die Bilder- und Maschinenstürmer (Ikonoklasten) schriftlich und mündlich zertrümmert. Die Ikonoklasie wird analytisch und immer auf der Suche nach der verlorenen Sexualität noch heute glücklos zertrümmert. Die Osteoklastentheorie aus dem letzten Jahrhundert, die wenigstens den sogenannten "natürlichen" Tod erklären wollte, und zwar mit Knochenfraß, diese höchste ärztliche Zertrümmerungserrungenschaft ist von der Zeit zertrümmert worden. Die Zertrümmerung zertrümmern, das geht. Aber das Heil kann und will dabei nicht heilen.
Aus den Eingeweiden ihrer Schlachtopfer, Menschen und Tiere: lesend, entera-legens, inter-legens, intelligent und einsichtig, verschmitzt lächelnde Auguren, so kennen wir die Ärztepriester schon aus der antiken Überlieferung. Ausschlachtend, was sich anders noch nicht wehren kann, einer den andern erlesend, elitenbildend, das ist ihr strohtrockener Archetyp, ihr Elictus, ihr Inter-lektintellekt, von HERAKLIT bis C.G. JUNG und HEIDEGGER, von Dr. Mengele-Auschwitz bis verbrannte Erde und darüber hinaus. Die Probe aufs Exempel des tellurischen Intellekts, des Intellurekts, ist das Zehrfieber, der nagende Zorn im Bauch, erst alles in Galle erbrechend, dann sich selbst nie genug: Gesellschaftshunger und Gestaltauflösung in-Eins, Intellurekt, direkt! Kein Zwischen was oder wem auch immer.
Also nochmals gut überlegt: nur die entera encephala, Kopf und Bauch sind inter-legens. Sie sind es noch bei überfülltem Bauch, noch zwischen den Mahlzeiten, sogar zwischen den Zeilen und gelegentlich gegen den Strich. So zwischen mesencephal und mesenteral kurz: inter-lektual leckt der Geschmack, der gute. Denn "der Kopf ist die Kühlmaschine des Bauches" sagt Aristoteles, der Beste. Der lesende Intellekt aber hat die venia legendi lediglich für den Treibsand, die Nebenerscheinungen der iatroklastischen DEliranz. Im inter-legalen Zweifelsfall der Legalität, d.h. im Normalfall wird er sogar medico-legal. Der Intellekt ist entweder Iatroklasie oder Selektionstherapeut.
Nein, kein zurück zur Natur. Keinerseits. Das Heil ist übersinnlich, daher narbenrein. Narbig wäre es tönern irden, Terra = Dörre. Die Narben sind immer auf Seiten der Dummen und Schwachsinnigen, gewiß, und Dummheit und Schwachsinn sind ihrerseits Narben. Das macht sie so intellektuell, so unterirdisch. Kurz: intellurent.
Was wir einleitend festhalten wollten, ist nur dies: Narben sind erstens die Zukunftspropheten der Dummen, künftige Wetter, Erdbeben und Schlagwetter vorwegnehmend und zweitens sind Narben die Abgründe unserer anamnestischen Geistesblitze. Dies vorweg.
Narben spotten jeder Vaginalsymbolik, jeder Kastrationstheorie, jeder Beschreibung und jedem andern Skalpell. Sie hören nicht auf NIETZSCHEs Generalamnesie zum Vorteil der Arzt-über-Menschen, nicht auf seine Ressentimentschelte gegen die "Zukurzgekommenen". Auch nicht auf SCHOPENHAUERs gesundheitsfreundliche mnemotechnische Empfehlungen. Sie hören überhaupt nicht auf, indem sie alles vormerken, allem nachspüren. Sich selbst sind sie krankhaft hörig bis zur geschlechterfreien Selbstbegattung. Dies ihr Grundverhältnis zur Sexualität.
Wir wissen nicht erst seit gestern, welche Absichten hinter der "Hörigkeit" steckten, mit der Ärzte die erste Totalzertrümmerung aller Arzt-Patientenverhältnisse fachfremd aber rechtspflegend sprachregelten: 20 Jahre Gefängnis mangels besserer Insektizide (SPK, 1970).
Die aus Narben gewobene Hellhörigkeit aber begründet eine Masseninfektion, denn die Erde ist ihr Zentralorgan. Dies die Formel unserer unmittelbaren pathomagischen Erfahrungswirklichkeit, wenn es um das Andersmachen des Soseins im Kranksein geht.
Kein Rezept, aber Herstellungsformel: Prinzip Iatroklasie, Erde und Massen über Ansteckung kurzgeschlossen. Genaugenommen eine weitverzettelte Webweise, keine Formel, schon garnicht im Sinne des tellexitur, kurz: Textur der anschlaganzettelnden Lateinbuchhumanisten.
Die klassische Formel der Massenansteckung ist durch die Krankheitswirklichkeit (seit SPK 1971) überholt , die sie arztfrei nicht fassen kann.
Prinzip Iatroklasie entstehen Massen als Körper, der die Arztsache der Zeugung und Ernährung, den ganzen platonischen Nährstand, Lehrstand samt Wehrstand im vollendenden Entstehen das heißt im tellonischen triumphal abstößt.
Wer Massentheorien auf Liebe gründet, diese halbe Portion Eros, gehört nur deshalb nicht zum Arzt, weil er einer ist. In der massentheoretischen Strukturformel aus Liebe, Liebesentzug und Familie, These, Antithese und Versöhnung, gleich Institution, Antiinstitution und Gesundheit, fehlt leider das urheberschaftlich wichtigste Element: die Urdyade Arztpatient. Iatroklastischen Liebeserfahrungen zufolge kann das garnicht anders sein. Die Arztpatientdyade ist nichts anderes, als das sogenannte IN-dividuum. Es ist zwar auf Normaltemperatur bestens geeicht. Aber schon wenige Bruchstriche oberhalb der 37° Celsius liegt sein infektiöser Schmelzpunkt. Das "Individuum" kennt die Ansteckung nur als Angst davor. Damit man uns recht versteht: als Ansteckungsangst, Ungeziefer, Bazillen, Viren, Wunschkinder einbegriffen.
Im System der massentheoretischen
Konstitutionsformel aus Gesundheit, Versöhnung und Familie, überhaupt in der
ganzen Politik, ist Krankheit nicht drin.
Die Ansteckungsangst der Wohltemperierten
politisiert die Fiebrigen auf Schritt und Tritt. Womit wohl? Mit Gesundheit!
Das Ansteckende an der Ansteckung ist nämlich und selbstverständlich die Wärme. Sie schmilzt das Mitmachen in das Andersmachen um . Da gibt es nichts vorzumachen, nichts nachzumachen, kein Theater, keine Schule, nichts zu übertragen, nichts zu identifizieren, nichts zu suggerieren, nichts zu hypnotisieren, keine Übermenschen und keine Urhorden, keine Führer und kein Charisma. Wärme ist die Mimesis des Andersmachens. Das hält die stärkste Form nicht aus, die Formel nicht.
Iatroklasie der Arch-iatrie sogar, und steinerweichend dazu: Mineralien als Viren, Viehzeug und Kleinstgemüse als Bakteriengattungen und -stämme kommen hinzu, sind da, legen los, spalten ent-zwei, denn die Wärme geht durch und durch, übersehbar, überhörbar, aber ansteckend.
Alle im Umkreis von Krankheit empfangenen und ausgesandten erogenen Halbheiten, will sagen: Zeichen, wie Ekel, Schmerz, Gestank, Anklage und Klage wirken als Keime der thermomimetischen Dynamik in Richtung auf das iatroklastisch zu machende Gattungsindividuum, machen wärmefühlig und benommen, intellurekt, schmieden ein Körperschema, das aus Massen besteht, und massenhaft entsteht. Das Wärmeschema der schwerelosen Verkörperung. Ein riesiger Schwebekörper, aber nur gleich dem der winzigen Viren und Bakterien in situ, in den Eingeweiden. Prototypischer Intellurekt, zugleich iatroklastisches Antibiotikum aller Typen und Modelle.
Aber wie ist Iatroklasie möglich bei immer mehr Mißbildungen, Behinderungen und Störungen, wie paßt das zusammen, wie verträgt sich das? Sollen uns die Zurückgebliebenen am Ende gar als Vorbilder dienen? Geronnene Iatroklasie? Wir, Kunstprothesen aus Ärztehand, die Monster?
Wer so fragt, fragt nicht. Der lebt davon. Und meist nicht schlecht.
Die Wärme lebt weder von der Liebe, noch vom Liebesentzug, auch nicht vom Mitleid, schon garnicht von der Luft und vom Wind, den die Liebe mit Leid macht, und der Liebe zuliebe. Die Wärme zehrt von der Gestalt, wie jede Krankheit. Ihr Lebensmittel ist das Leben der Iatroklasie in jeder Art Abfall und Wohlgestalt.
Krankheit ist nicht nur dialogisch und dialektisch entzugsstabil, sondern sogar sagenhaft stabil im Strafvollzug und dabei reale Ansteckung, wie sonst nur noch der Mythos, das zündende Lauffeuer. Nahrungsentzug, Hunger und Durst zehren nur von der Gestalt, nicht etwa von der Substanz Wärme, die mitteilende Zustandsweise hat die Gestalt gegen sich, die Proportion (s.u.), nicht aber die Kälte, nicht einmal portionsweise.
Die Wahrheit der Gestalt, ihre Güte und Schönheit wäre vollkommen bei minus 273,16° Celsius = 0° Kelvin. Das ist das wohl Bedenklichste an der Arché. Es soll sogar schon Ärzte gegeben haben, denen das aufgefallen ist. Für Dr.med. J. Robert Mayer (Metamorphose und mechanisches Wärmeäquivalent, die Sache mit den Kalorien) wurde daraus eine lebenslange Zwangsbehandlung und das sogar unter Kollegen zu Heilbronn.
Es gibt die Wärme weder in der Latenz, noch halb. Und die Erde als Zentralorgan von Ansteckung und Massen ist noch allemal die wahre Mitte des überschwänglichen Blödsinns, des blödsinnigen Überschwangs der Affekte. Das lehrt die Astronautik sogar die, die es noch nicht wußten spätestens bei der Rückkehr. Und der Himmel? Im Himmel ist der gute Onkel Dr.med. LE BON (1789 ff.), klaustrophober Hausarzt, Schulmeister der Massentheorie schon lange. Und Joseph Goebbels (1945ff.), sein letzter Meisterschüler, Hitlers Propaganda-Luftikus vermutlich auch. W. Reichs Massenpsychologie des Faschismus (1933ff.) bleibt weiter in der Familie. Jeder halbwegs moderne Hausarzt (1968ff.) sorgt dafür.
Prinzip Iatroklasie sind alle Antworten und natürlich auch alle Systeme der Produktion, Reproduktion und Exkretion epoché, d.h. ausgelöscht. Sogar die harmlose Frage als Frage nach der guten Verdauung und ihrer Lehmgestalt, bei der Sonntagsvisite auf der Privatstation, die Frage nach dem vorletzten Golem, fällt unter die hermeneutischen Windspiele. Der sogenannte Körper des seligen Herrn Gerichtspräsident SCHREBER, Gestalt nach wie vor, natürlich auch. Prinzip Iatroklasie ist die Frage, streng wissenschaftlich als Frage erfragt, entweder triebhaft-mythoman-wärmespezifisch, oder se-Lektion, se-lektive Iatroinquisition. Auf Hölle, Heil und Krematorium kommen wir füglich weiter unten zurück.
Die prinzipielle Frage nach dem Iatroklastischen: Prinzenschaft, Prinzessinnen und Prinzen betreffend, evoziert den Schwebekörper aus Wärme, Mimesis und Massen. Jedenfalls weder den weltlichen, noch den Hofnarren Gottes, weder August noch Hiob. Denn diese unsere Prinzenschaft ist der Gestalt abhold, und zwar prinzipiell. Wir können unsere Prinzenschaft demnach überall und nirgends vermuten, am allerwenigsten aber in der Gestalt und ihren Sachwaltern: den Arché-iatern in jedweder Kulturgestalt und Prinzerei. Unsere Zumutung besteht darin, die Wärme bis zum fiebrigen Umbruch zu steigern, weit über die jeweilige Gestalt hinaus. Sogar die Starre muß frei sein von der Gestalt, mindestens aber mißgestaltig, niemals totenstarr, zur Not sardonische Grimasse.
Unsere Prinzenschaft, Kader, Helden und Avantgarde, wenn man will, besteht aus den thermomimetischen Monstern, denen, die das Fassungsvermögen des Zentralcomputers übersteigen, erst recht die Vorstellungskraft des Steckbriefs. Der mythomane Fragetrieb denkt also, sofern ausnahmsweise überhaupt, jedenfalls nicht daran, die Prinzenschaft von den Massen zu sondern. Weil er krankhaft ist, zehrt er sehr selbstvergessen von und an allen Formunterschieden, schmilzt ein und um, und was dasselbe ist: zehrt auf, vergißt die Antwort, will in der Frage bleiben, bis zum Überkochen, antwortet nicht, verantwortet, prä-zisiert das ANDERS dem So-Sein zum Trotz.
Wärme ist nicht nur infrarot. Sie ist sogar die Iatroklasie gegen alles Außenlicht. Fleischfarben wie der hitzige Erdkern aus Nickeleisen, kältefeindliches Inkarnat, funkelndes, oszillierendes Fleisch, das mit den Querstreifen am Herzen und das glatte im Bauch, das sein Licht selber erzeugt und verbreitet. Kein Bildschirm, kein Kathodenstrahloszillograph macht es dingfest. Tellurischer, aus sich selbst leuchtender Körper, der sich von aller Gestalt befreit: iatroklastischer Intellekt.
Er ist dauernd auf der Walz und in Dauerumwälzung.
Den imagepflegenden, wie den kalorienbewußten Gesundheits-bürgern ist er ein Alarmsignal, den Politikern ein bislang noch erschwinglicher Preis-für-den-Fortschritt, den Ärzten Anlaß genug, eine Euthanasiekampagne nach der andern vom Stapel zu lassen, WFMH-Stil: meuchlings, per Schleichwerbung, darum hier Klartext: man muß sie kaltmachen, denn erstens sind sie teuer, und zweitens Ungeheuer.
Wer ist "sie"? Zuallererst sind es diejenigen, die nichts zu bieten, nichts zu verbreiten haben, außer einem Klumpen Schmelzwärme, kaltgestellt als Brownsche Molekularbewegung, die Mißgeburten, Monstren, Mißgestalteten, Dysplastischen, eben diese Grobschlächtigen, vom sog. iktaffinen, hinfälligen Konstitutionstyp. Die mit den zwieschlächtigen Dimensionen halt, die mit den Riesengeschwülsten über dem Hinterteil, die mit dem hirnlosen Froschkopf, die mit zuviel Hand und Fuß, zu wenig und ohne, die Wasserspeier, Mongoloide und Siamesen usw., kurz: alle diejenigen, deren erdwarmen Intellekt der Name Mondkalb vergessen machen soll. Gar nicht so altem Erfahren zufolge bringt sogar der intelligenteste Humanismus, der humanistische Intellektuelle den eben skizzierten, wie gesagt kuhwarmen Intellekt mit allem eher, als mit der Erde in Zusammenhang. Am wenigsten natürlich mit sich selbst, am ehesten mit Dreck.
So verloren wir im Sozialistischen Patientenkollektiv, kurz vor Torschluß und kaum-gewonnen-schon-zerronnen, wegen unseres hartnäckigen Festhaltens am dezidiert tellurisch orientierten Körperschema der Revolution im Frühjahr 1971 unsere letzten Bundesgenossen: einen Vertreter der Humanistischen Union des Westens und einen marxistischen Intellektuellen des Ostens. "Genossen, eins muß sonnenklar sein: Die Revolution aus Krankheit ist Schwachsinn, die wird's auch bei Euch nie geben", sprach's in Richtung Ausgang. Dort, ganz nahe dem Ausgang erst liegt aber die Gewißheit. In der Tat! Todsichere Krankheitsgewißheit allein schafft. Wie Erdwärme im Winter die Trennung als Grundeis und die Gemeinschaft der Gattung. Gewißheit ist der Mechanismus der Krankheit, die Erdachse des Intellurellen im iatroklastischen Wärmestrom.
Das Wichtigste an der Gewißheit ist dies eine: schaffen. Abgeschafft hat HEGEL, mühsam genug, die sinnliche Gewißheit, MARX die Wahrheit und Gewißheit des Geistes, FREUD durch sein thanatophiles Endvotum gar die Heilsgewißheit. Zu schaffen bleibt immer und überall die Gewißheit der Krankheit in allen und jedem.
Diese Gewißheit, als Mechanismus betätigt, ist das anekelnde Auswendige, der auswendende Schmelztiegel aller Gestalten, Sinne und Bedeutungen, Wägbarkeiten, Aus- und Einrichtungen, Symmetrien und Metriken überhaupt.
Der Wärme geht alles ab. Nicht nur Gewicht und Gestalt, Proportion, Funktion und Struktur. Fachärzte gibt es für Wärme nicht. Ansonsten für alles. So Logopäden, Optiker und Otologen, Dermatologen und Seelenärzte, Internisten und Externisten, Balneologen und was alles noch, aber die Wärme, gar als Fieberfanal, ist befreiter Körper. Nichts mit Sinn und Verstand, brotlos, nichts für einen Facharzt, aber Symptom für alle, Allerweltssymptom.
Des Fiebers wegen verfrachten einen die Ärzte ins Leichenhaus (künstlicher Winterschlaf, Neuroleptika, Eisbeutel), in die Tropen (Malariakur, Pyrifer), zu den Haubitzen (Atomsprengköpfe, Kobaltbomben) oder in die Gewitterfront (Lügendetektor, Elektroschocks).
In der Wärme kreuzt sich nicht nur der Erdkern mit dem Fleisch, sondern auch der sträflichste Leichtsinn mit dem gründlichsten Intellekt. Symptom totaler Realitätsfindung, Symptom überhaupt, fällt der Wärme alles zu. Jeder bringt sie mit. Keine Kälte ohne Wärme. Gewißheit ist der Mechanismus dieses Zusammenhangs zwischen Wärme und Kälte, ein Zusammenhang nur in Richtung Wärme nach Kälte, unabweisbar im Schüttelfrost, dessen Beginn das Fieber ist. Schlagende Gewißheit sogar noch im Gewissen, dessen Hitze der Kälte vorgeht.
Den Wärmezustand vorausgesetzt, sind alle Körper eins, magischer IN-FORMationszusammenhang, Form und Gestalt weggeschmolzen, krank in Sympathie. Den Wärmezustand vorausgesetzt, sind Erd- und Himmelskörper, die warmen und die kalten kohärent ein einziges Flächenkontinuum, expandierter, ausgebreiteter Erdzusammenhang: gründlichster Intellekt, der vergessene Riesenteller, dessen Bestimmung eben nicht das Essen, sondern das Vergessen des Soseinmüssens ist, gewiß, und sträflichster Leichtsinn, das heißt überhaupt kein Sinn, keine Sinne, Gewissen der Sympathie als Krankheitsgewißheit gegen die jeweilige Gestalt.
Der Punkt ist der, daß er im wärmedurchsetzten Körperkontinuum nie Mittelpunkt, geschweige denn Schwerpunkt sein kann. Er ist der dauernde Verlauf in die exzentrischste "Mißgestalt" , überhaupt keine Gestalt, überhaupt kein Punkt, sondern tellus. Ebenso kann der Intellekt, allein schon der Wärme wegen, nie und nimmer auch nur das Geringste mit Konzentration, Zentralität und dergleichen zu tun haben. Er ist nicht einmal zerstreut, sondern multifokale Expansion, krumm und krank wie die "Mißgestalt", Faltenduplikatur, symptomatisch Doppelfalte, nicht Einfalt, tellus im Umbruch.
Der wirkliche Inhalt und die volle Konkretion aller bisherigen Ausführungen und Zusammenhänge, leicht gesagt und leicht gemacht und gesagt-wie-getan, heißt Thermomimetik. Formlos, da schwebend in Halt, wirklich Inhalt, volle Konkretion, da ganz Symptom Wärmezustand; statt Libido, hin und her, dann und wann, ratenweise, Nullsummenspiel.
Das Ganze nun von der Thermomimetik her aufgerollt ist das, was In-formierter tellekt war, hier nur noch telos, Ende. Endzweck ins Anders einzumünden. Nicht mehr entelechie-Intellekt, sondern direkt intellurekt. Direkt das Stück Wärme, das wir im Großen und Ganzen sind, verkörpert thermomimetisch den iatroklastischen Dauerprotest gegen die Arché in allen und jedem.
Ganz im Einzelnen erfaßt man die Thermomimetik ganz einfach dadurch, daß man sich erst einmal dafür erwärmt. Es genügt nicht, sich über dies und jenes zu erhitzen. Genaugenommen macht sich über Thermomimetik keiner ein Bild.
Sie ist nicht fotogen, nicht stereotyp, nicht stereophon, nicht stereometrisch, Anlage gewiß, aber nie Stereoanlage.
Für das Anders taugte sogar das Infrarot-Nachtsichtgerät erwiesenermaßen noch nicht einmal in der Indizienkette gegen Frontpatienten (SPK 1972).
Genaugenommen läßt sich über die Wärme nichts reden, nichts schreiben, nichts denken, nichts fühlen. Normalerweise nämlich spürt man sie nicht und merkt sie nicht. Das ist gescheit und kommt von gescheut. Ständig und inständig muß man sich erwärmen. Das tut man reproduktiv sowieso, produktiv aber erst im "Stoffwechsel", im Wechsel des Stoffs gegen die Gestalt. Sonst kriegt man an Erbgut und ansonsten nichts mit.
Probeändern aber ist Thermomimetik in jedem Fall. Sonst war es keine.
Dies unterscheidet sie nebenbei grundlegend von der lediglich wiedererkennenden, daher bestenfalls probehandelnden, d.h. warentauschenden Intelligenz. Was für die Intelligenz die Stimme ist, das ist die Wärme für die Iatroklasie. Das tertium comparationis aus Intelligenz und Stimme ist das äquiValent, die gleichgültige Gesundheit im Ausdruck von Ausgewogenheit, gutem Ton, Stimmung und sogar Übereinstimmung (adaequatio rei et intellectus), Richtigkeit und Vertikalität: der Ordinarius am Krankenbett, und der pithekanthropos erectus auch, ein Ahnherr, wenn's recht ist.
Bei der Thermomimetik aber ist das Anders. Kein tertium, kein comparationis. In der Wärme ist das Äußerste an körperlicher Spannung, Anspannung der gestaltfreien Verkörperung im Ganzen, gespannter Dampf, Spannung, tonos überhaupt. Der Ton erstirbt in der Wärme, Klang und Sprache ebenso. Die Stimme verliert die Balance im Glissando, die Unstimmigkeit chromatisch versammelnd, klagend, heulend, brechend, wie das Auge das Licht. Die Stimme des Kranken krächzt, die Lage wird auf wie ab flach, die Ansteckung breitet sich aus, gewinnt das Ausmaß über Tiefe, Breite, Länge und Punkt hinaus.
Die Gleichgültigkeit (Äquivalenz!) kann gründlich nur von der Wärme her in Frage gestellt werden, gründlich, redundant tellurisch, redundant aller sonstigen Geologie und Informatik zum Trotz. Denn die räumlichen Beschränkungen sogar, sind thermomimetisch materialiter auflösbar in die materielle Kohärenz des Anders. Die Wärme dementiert alle Dimensionen und führt uns das sagenhaft Anders im Aus-maß (excess) vor: die prinzipielle Möglichkeit, auch den Sprachzusammenhang, die chaotische Kohärenz, Babel, aktiv in der mitteilenden und der mitgeteilten Breite des iatroklastischen Patientseins real aufzulösen, unbehindert durch Gestalt und Form. Es gibt nur die thermomimetische Transsubstantiation. Der Rest ist Quecksilber, Thermometer und Zündhütchen, Initialzündstoff aller Quacksalber. Aber es kann die Wärme nicht halten, nicht aushalten.
In der Wärme sind Quecksilber und Quacksalber flüchtig nach den Regeln der Stoffdynamik und auch erfahrungsgemäß nicht aufzuhalten, flüssiger als Wasser, überflüssig quecksilbrig und zwar nicht dreifältig, sondern dreizehnfach. Nachprüfbar, exakt durch Probeändern.
In den vorangegangenen Ausführungen zum Thema Massentheorie und Monster sind Erscheinungsweisen der thermomimetischen Transsubstantiation skizzenhaft vorweggenommen. Erscheinungen, die es gibt, immer gegeben hat, immer massenhafter gibt. Erscheinungen, die eben deshalb keine sind, weder Hirngespinste, nicht einmal als Gespenster abzutun.
Muß man sich nicht augenblicklich dafür erwärmen, wie sie sich, Spott und Hohn in jeder Mißgestalt, dennoch verkörpern demonstrativ jenseits der Gestalt, dämonstratifizierende Wärmewolke, Stoff dieser Erde aber kohärent, en-tellurisch kohärent, nicht wahr? Man muß! Nur hat man früher nicht die Wärme bemüht, nicht diesen erscheinenden tellurischen Zusammenhang, der noch dazu den Vorteil hat, daß es ihn tatsächlich gibt, sondern vielmehr entweder die Hölle tief unter der Erde oder aber das Hygiene-Krematorium, Flamme empor.
Thermomimetik schlägt demnach in Technik um, in Pyrotechnik? Ach wo. Nur das EinzelDing der Unendlichkeit (Individuum, Dyade Arztpatient), dessen Bedingung ja der Imperativ, das kategoriale "man muß" ist (das "recipe (man nehme!)"). Die Bestimmung, Imperativ und Kategorie haust, wie schon der Name sagt in der Stimme. Die Hölle kommt aus der Stimme, und aus der imperativen Stimme kommt auch ganz bestimmt das Hygienekrematorium: NAME IST SCHALL UND RAUCH und NOMEN EST OMEN. (Nähere Auskünfte bei Ärztekammer, Goetheinstitut und Kabbala, sodann bei Dichtern und Mathematikern.)
In der Stimme ist noch längst keine Wärme, noch längst keine Kälte, geschweige denn Schmelz. Weder mechanisch, noch metaphorisch. Gleichgültig, ob sie, als Stimmbandapparat, bewegt auf der Stelle tritt und sei es sogar tremolierend und Vibrato oder, gespenstiges Echo, hallend von und zwischen Urzeit-Felsblöcken den Arzt zitiert, wie weiland Mose seinen TELLO und O-Desdemona im Schlafzimmer den ihrigen.
Das was die Stimme ist, auf der Stelle der ewige Rückschritt, dreht sich um zwei Pole, um zwei Namen in jeder Gestalt: ARZT und ARCHÉ.
Darin ist alles in Form: Handel & Wandel, Hermes und Hermeneutik; Diebstahl, Eigentum & Evangelium; Gleichgewicht und Gehör, im Felsenbein ein Sinnesapparat, ein Dikasterium (Spruchkammer, Urteilsspruch); die Quacksalber-Merkurialien: Knallquecksilber, Thermometer & Initialzünder; und Mittwoch nachmittags, Sakramerkur! , Sprechstunde arztfrei.
Es ist nur der Form halber, daß der Arzt ewig verschreibt, vergißt, ja sogar vergreift, SICH. Nicht daß die Technik, die Pyrotechnik immer höhere Anforderungen stellt. Um Wärme vorzutäuschen, die in der ARCHÉ einfach nicht drin ist, muß er die Hölle heiß machen, das Hygienekrematorium bemühen und das ganze Arche-theater aus Merkur und Prometheus. Denn der Arzt ist ja auch Künstler, ARTIST, ideeller Massenkünstler, materieller Gesamtarbeiter.
Ideeller Massenkünstler ausgerechnet der Abspaltung und materieller Gesamtarbeiter ausgerechnet der Simulation und Archefiktion!
Die reine Arché, temperaturfrei und daher total, bleibt immer Fiktion. Die Kluft zwischen Arzt und Arché deshalb unüberbrückbare Dichotomie, er selber als Virtuose der Lebenslüge ständig gefordert; die "Dienstleistung" sein Illusionisten-Werk, die Lege-artis-methode sein allgegenwärtiges Alibi, beide die Lückenbüßer dessen, was beim Künstler Image heißt. (Image wie Einbildung, Serienprodukt aus Echo - Narziß & Goldmund: wie Liebe-entzug & usw.)
Formsache ob künstlerisches Brillantfeuerwerk oder Euthanasie-Pyrotechnik. Hauptsache kaltgestellt, oder vielmehr in den Zusammenhang Arché, der keiner ist, weil es die nicht gibt.
An den Beispielen "Nitrolingual" und "Gruppen-Ego" fanden wir en miniature schon 1970 die wechselseitige Beziehung zwischen Pyrotechnik und Thermomimetik konkretisiert.
Im einen wie im andern Fall hatte sich die Thermomimetik gegen die Pyrotechnik zu behaupten, der Körper im Widerlager der Wärme und seine Träger, die Patienten, gegen die ihnen kunstreich aufgebrannte Gestalt.
Bleibt festzuhalten, daß Körper und Wärme einander Widerlager und Stützpunkt sind, wie Gestalt und Stimme einander. Der Körper aber ist Ebene all dessen, was Erde heißt im Umbruch des Anders. Das ganze System aus Stimme und Gestalt: Seifenblase. Was Somatik (Körperlehre) heißt, eben Psychosomatik, Somatologie, Körper-Ich usw. hat mit Körper noch weniger zu tun, als der Hund auf der Erde mit seinem SternBild Hund, wenn er es ankläfft.
Ganz im allgemeinen geht es bei all dem überhaupt nicht um den Körper. Es gibt ihn nicht als Einzelnen. Der einzelne "Körper" ist nur Gestalt, vereinzelte Lebensgestalt zu mehreren, mit Hab und Gut, mit Sitz, Geist und Stimme. Gestalt auch als halbe Portion Eros. Gestalt auch noch mit Haut und Knochen. Stückwerk.
Der Körper aber ist eine heiße Sache. Wir finden ihn leicht in der Krankheit, nirgendwo sonst.
In jeder Gestalt stört heute die Krankheit die Wärme weltweit massenhaft auf. Askese und Ritual, überhaupt das ganze technische Arsenal des mythischen Experiments, einschließlich des Bildungsbetriebs bis heute, sind durch Krankheit überholt. Die iatroklastischen Konsequenzen sind probeändernd direkt zu ziehen. Das Bewußtsein ist nur der schwächste Abglanz der durch und durch ärztlich gestalteten Reproduktionssysteme aus Luft, Nahrung, Keimbahn überhaupt. Zwar ist Krankheit ubiquitärer Ausnahmezustand, prozessierende offene Grenze. Aber die freie Wärme aus der Krankheit, die Kollektive körperlich intensiviert, steigert, verkörpert, ist zum wichtigsten Arzt- und Staatsgeheimnis aufgerückt. So vielgestaltig wie die Blutzellen, so vielgestaltig beispielsweise die Blutkrebse. Rund um die radioaktive Lichtgestalt beispielsweise. Aber unbekümmert um Licht, Krebs und Ich-Gestalten ist dem Körper nur die Wärme unveräußerlich. Sie hebt ihn kohärent über jede Gestalt und körperlich spürbar über sich selbst hinaus. Also thermomimetisch.
Thermomimetisch erschließen wir uns das substantielle Kriterium (atomon "eidos", die "differentia" specifica) des Gattungsindividuums, das wir eingangs aus dem Zusammenhang Ansteckung heraushoben. Denn es kann dabei nie und nimmer um Bestimmungen und Gestalten gehen, und Reproduktionen als da sind: "Denkendes Wesen", "Erfüllungsort der Widersprüche", "das Tier, das versprechen kann", "Mangelwesen", "aufrechter Zweifüßler", "zoon politicon", "exzentrische Positionalität mit der Fähigkeit zum Lachen und Weinen". Das Gattungsindividuum wird aktive herstellende Wirklichkeit am gestaltlosen Schema seines Massenkörpers.
Es gibt keine Starre in der Wärme, das macht sie uns so spezifisch. Ihr Erdzusammenhang ist unmittelbarer, magischer Art, nicht pyrotechnischer, nicht Arztart. Das macht uns den Sinn so leicht, so gewiß das Gewissen. Das Gattungsindividuum ist eine hier und heute, jederzeit und überall machbare Beziehung, die es aber nie und nirgendwo gibt, wo sie nicht aus der Krankheit hervorgebracht wird.
Leben und Tod sind Allerweltsbestimmungen,
kein Kriterium Wärme. Vielleicht Kunstfehler, jedenfalls Gestalt,
nicht Körper. Die Arché ist das unerreichbare Ufer des Arztes. Schlimm genug für
die Kunst. Um so schlimmer für den Arzt.
PF/SPK(H)
Huber
1979