Iatrarchie

Macht, Iatrarchie / Krankheit, Gewalt

Anwenden. KRANKHEIT auf alles anwenden. Alles auf Krankheit anwenden. Krankheit als durch und durch technischer Sachverhalt. Sich für Krankheit verwenden, jeder, jederzeit und überall. Und was nicht mehr, noch weniger ist: umkrempeln. Sich über alles, was gesundschrumpft kranklachen. Sich für Krankheit selbst brandmarken. Die Patientenfront zum Frontpatienten krank schrumpfen.

Von welcher Krankheit ist die Rede? Die Rede ist von jener in sich verschränkten KRAFT, die sich als SCHRANKE überspringt. Die Rede ist also von jeder Krankheit. Die krebsende machts nicht anders, als die wähnende, die tödliche nicht anders, als die hungernde. Es ist todernst, machbar auf der Stelle, dringlich.

Wer Krankheit als Waffe wagt, dem wird Gewalt (Wurzel: Tod) zum kraftlosen Wert, Macht (Wurzel: Magie) zum schrankenlos faulen Zauber. Krankheit ist das Brecheisen aus Kraft und Schranke. Iatrarchie (Heilsgewalt) das passende, weil pleonastische Überflußwort jenseits und rechts von Krankheit und Bruchstrich.

Taktische Anwendungsgebiete von Krankheit (pathopraktische topoi) sind Werden, Welt und Wort. Die Pathopraktik besteht darin, Kraft und Schranke von Werden, Welt und Wort soweit in sich selbst zu krümmen, bis der Punkt erreicht ist, an dem sie springen: KRANKHEIT DER SPRINGENDE PUNKT, wenn wir
Werden aus Gesundbleiben in Wirre wandeln
Welt in Krankwerden
Wort in Widerstreit.
Bisher sind Werden, Welt und Wort heilsgewaltig verfaßt.
Werden ist natürlich, um nicht zu sagen iatrarchisch: Gesundbleiben;
Welt schrankenlose Wertgewalt;
Wort Terrorwalze und Panzerpresse gegen Krankheit (Therapie).
Und sie selbst, Krankheit, zerhackstückt in Somatose, Psychopathie, Reaktion, Übel, Schuld, Psychose, Neurose und Normabweichung ist Blasebalg und Kraftspritze für Iatrarchie und Metaphysik, kurz: aufgeblasener Kraftspeicher der Gesundschrumpfung.
Diese "Krankheit" will genommen werden, wie das Leben: um sich dran krank zu lachen.

Pathopraktik ist gleich weit entfernt von militärischer Taktik, wie von deren Schrumpfprodukt, dem ärztlichen Takt. Pathopraktik kennt keine Angleichung der technischen Mittel, keine Adäquanz. Schon garnicht Äquivalenz, Wert, Gesundheit, Nuance, Nutzen, Schaden. Sie setzt auf die lichtleicht-weltschwere Materie Krankheit, auf die potenzierte Negation, nicht auf die Nuance. Sie setzt auf die Krankheit in der Waffe, nicht auf Waffen.

Der Hungerstreik ist eine Pathopraktik in der Hand des Frontpatienten, die binnen Tagen Iatrarchie, wertlose Gewalt und ohnmächtigen Zauber, bloßlegt und beiseite fegt. Denn die Hungerkrankheit im unbefristeten, bedingungslosen Hungerstreik bricht die Solidarität von Magie und Tod im Kern einer jeden Heilsgewalt.
   Wo aber der Hungerstreik auch nur mit dem Anschein von Forderungen verknüpft ist, auf das Ergattern kleiner Vorteile, womöglich sogar "der Freiheit" zielt, da bringt er Krankheit um Kraft und Schranke, und die Iatrarchie dazu, neue, geheime Triumphe zu feiern, anstatt das Terrain total, wieder und wieder von Iatrarchie zu säubern, Iatrarchie samt Terrain.
   Vor drei Jahren fanden sich irgendwo beim Aufbrechen eines sog. konspirativen Waffenlagers Anamnese und alte Ausweispapiere eines Patienten. Die Waffen sind längst in irgendwelchen Asservatenkammern hängengeblieben. Sie waren bald vergessen. Aber die Anamnese rief die Iatrarchie auf den Plan. Mehr als 1 1/2 Jahre lang bombardierten Klinikärzte die anamnestisch dingfest gemachte Krankheit mit Vorladungen. Schließlich ließen sie den protestierenden Pathopraktiker unverhofft auf offener Straße durch Polizei überfallen, um ihn zum Röntgen seines Ellenbogens abzuschleppen. "Erkennungsdienstlich" aber wurde zuvor auf der Polizeistation ermittelt, wieviel Schmerzen jemand aushalten kann, der keine Frage beantwortet und kein Glied rührt, statt der Iatrokratie zu folgen. Und auf seinem Aktenpaket prangt der jeder Demokratie spottende Aufkleber: "polit. Strafsache".
   Aber zum Röntgen konnte es überhaupt nicht kommen, weil von Anfang an, anstatt des anamnestischen Firlefanzes, ein totaler Hungerstreik, Krankheit, auf der Tagesordnung war. Fünf Verschleppungen von einem Gefängnis ins andere innerhalb der ersten beiden Tage trennten die Ärzte von Ziel, Maß und Aktivität ab: Reaktive Iatrarchie auf der einen, kränkende Krankheit, aktive Reflexion auf der andern Seite. Am achtzehnten Tag des Hungerstreiks wurde der Patient von irgendeinem Arzt genau demselben Gefängnisarzt zur Nutritionstortur ausgeliefert, den dieser Patient drei Jahre zuvor wegen vollendetem Mord durch Ernährungsfolter an einem anderen Gefangenen angezeigt hatte. Natürlich vergeblich. Aber ausgerechnet innerhalb dieser Todeszone verzettelte sich die Iatrarchie, als solche angegriffen, in weitere Nebensächlichkeiten. Verteidigerbesuche wurden unmöglich gemacht, der Rechtsanwalt im Gefängnis krankenhausreif geschlagen. Aber nichts wollte verfangen. Nach der siebten Nutritionstortur, bei der er dem gefesselten Patienten mittels Brecheisen die Kiefer öffnen ließ und ihm mit eisenhutbewehrten Fingerschützern die Sonde in den Magen rammte, ließ der Arzt den Frontpatienten am 21. Tag des Hungerstreiks 150 km vom Tatort entfernt und nach mehr als zweistündigem Transport im Krankenwagen, flankiert von zwei Einsatzwagen der Polizei, obdachlos und seiner Papiere beraubt, wieder aussetzen. Zu den Bedingungen des Patientenwiderstands: genau an der Stelle, an der die Schergen 3 Wochen zuvor zugeschlagen hatten.

Pathopraktik ist über-windende Aktion rund um Krankheit, der Achse dieses Gewindes.
Krankheit ist mächtiger als die Iatrarchie und gewaltiger als der Tod. Krankheit ist reflexive, in sich gekrümmte Aktivität und nicht spaltbares Reagieren auf dies und jenes.
Bleischwer war der Weg in die Krankheit, federleicht und mit zerbrochenen Ärzten gepflastert der Weg aus der Folter. Die von der Polizei so trickreich ersonnene Patientenfalle traf und zerschlug die Iatrarchie in, neben und über der Polizei.

Und es ist, wie in der Fabel von Hase und Igel: Krankheit ist schneller als Iatrarchie. Wo immer man hinkommt ist Krankheit schon da.

Ein weiteres Merkmal der Pathopraktik ist ihr offensiver, Reaktivität ausschließender Charakter. Die Selbstauflösung des SPK am 13.7.71 war eine solche Offensivpraktik aus der Defensive.
Mit Waffengewalt wollte die Iatrarchie das ihr durch den kollektiven Hungerstreik der Patienten seit März 1970 entrissene Terrain, vor allem aber die Körper der Patienten zurückerobern, um sie als "Wildwuchs, der nicht länger geduldet werden darf, schleunigst der Behandlung zuzuführen, die sie verdienen und dringend nötig haben".
Aber als es soweit war, konnte die Iatrarchie kein SPK verbieten und niemanden zwangsbehandeln, keine Körper besetzen und kein Papier schwärzen; denn die Karteien und Aufzeichnungen waren unauffindbar, die messende Magie also auf Scheinheiligkeit, die wertende Gewalt auf Krankheit zusammengeschrumpft.

Wo immer in den folgenden Jahren SPK-gezeichnete Iatrarchie Boden suchte, schlug ihr aus den in alle Winde zerstreuten Körpern, die sie nicht hatte zurückgewinnen können, Krankheit um die Ohren.
Kliniken, Hörsäle, Lehrstühle und der zugehörige Privatbesitz an Liegenschaften, Parlamentssitze und Parteikarrieren nicht zu vergessen, in Heidelberg wie in Bonn, in Berlin wie in Karlsruhe, PLATZTEN. Hohe Polizeibeamte und Richter, die als Wurmfortsätze der Iatrarchie aktiv geworden waren, sahen sich auf Ruheposten befördert. Der eine oder andere sogar auf Zeit und Ewigkeit.

Die 150 Quadratmeter Raum, die das SPK der Iatrarchie wieder hatte überlassen müssen als sie, 800 Polizeibeamte, Maschinenpistolen, Bluthunde, Gesundheitsbehörden, in die leeren Universitätsräume einbrach, wo sie auch kleine Kinder vermutete, sind reichlich aufgewogen: Durch das Quadrat an Quadratmetern Terrainverlust zum Schaden der Iatrarchie.

Die Pathopraktik bestand hier in der Selbstauflösung. Die Akten, diese "natürlichen" Brandmarken der Patienten verschwanden. Krankheit hatte zu Sprache und Wirksamkeit gefunden.

Als potenzierte, in sich gekrümmte, Schranken setzende, raumschaffende Kraft kommt Pathopraktik gerade dann zum Tragen, wenn sie von der Iatrarchie in die äußerste Defensive gedrängt ist. Unabhängig vom technischen Mittel, dessen sie sich bedient, bleibt sie offensiv, solange Krankheit Substanz der Reflexion ist.

Auf dem Gipfel ihrer Machtentfaltung ist die Heilsgewalt die wirkliche Ohnmacht: ungebremste Naturgewalt im Zustand der Autokatalyse.
   Wasserüberflutung und Zehrfieber in Isolations- und Nutritionstortur sind Ohnmachtsprodukte derselben Heilsgewalt, die Ketzer einäschern und ertränken ließ, als Feuer und Wasser Hölle und Himmel noch mittels Fegefeuer und Taufe herbeizauberten. Das Ertränken und das Einäschern des Ketzers vollzieht die Iatrarchie heute direkt, d.h. ärztlich, dafür aber nicht weniger magisch. Sie ertränkt den Gefangenen in seiner eigenen Körperflüssigkeit (Oedeme in Lungen, Hirn, usw.) und zwingt ihn, Schilddrüsenhormon (TSH) im Überschuß zu produzieren, um ihn auszubrennen, wie adiuretisches Hormon (ADH), um die Körpergewebe im eigenen Urin von innen heraus zu ertränken. Das milieu intérieur wird dabei totales Außen. Der ganze Körper des Gefangenen zu einem einzigen Brandmal und Wasserzeichen. Waren zu Zeiten der klassischen Inquisition die zu verbrennenden, wie die zu ersäufenden Ketzerkörper hinter Feuer und Rauch und wasserüberflutet noch der Wahrnehmung entzogen, so trifft dies heute nur noch für die Werkstätten, nicht mehr für die Wirkstätten zu, nicht mehr für die geschundenen Körper.

Denn Werkstätten und Werkzeuge der Heilsgewalt sind nicht von dieser Welt. Die Gewaltkomponente der Iatrarchie geht weit hinaus über alles, was Naturgewalt im Urzustand vermag.
   Quarantäne (sensor. Depriv. usw.) in der Einzelzelle ist dem Aufenthalt im schwerelosen Raum äquivalent; die Heilskomponente unter den Bedingungen der Nutritionstortur äquivalent der Astronautenkost, deren spezifisch dynamische Wirkung aber Öl ins Feuer der Auszehrung ist und Wasser auf die Mühlen der Ödembildung.
   Hier verrät die Heilsgewalt ihre allgemeine Tendenz: in alle Zukunft zurück ins fernste Archaikum. Aber nicht das Amphibium ist gefragt, das die Schranke zwischen Meer und Festland bewältigt. Es geht um die Heilsgewalt als solche, die sich anschickt, KRANKHEIT, ihre absolute Schranke abzuschütteln, um als Biotechnik universal zu werden.
   Aber in der Pathopraktik stellt sich Krankheit den Weltraumkapriolen des Arztes von Anfang an als undurchdringliche Schranke entgegen. Sie reißt die Heilsgewalt aus ihrer Verankerung, sobald sie als in der Pathopraktik gesammeltes Kraftwerk sich anschickt, den Körper des Arztes, die ärztliche Körperschaft, mit anderen Worten: die Platzhalterschaft des vernichtenden Nichts, Körper gegen Körper zu zermürben. Denn es ist nicht so, daß Krankheit und Iatrarchie sich nur hart im Raum stoßen. Pathopraktik ist vielmehr die schrankensprengende Krankheit, die dem taktischen Operationsfeld der Iatrarchie den Körper entreißt.

Dazu muß der Pathopraktiker als erstes den Patientenstandpunkt beziehen und in jeder Art Isolation die in Quarantäneeinheiten meßbare Iatrarchie ermitteln. Die Grundeinheit der Quarantäne beträgt aus ärztlicher Sicht, wie schon der Name sagt, zwar nur 40 Tage. Um 41 x 40 Tage ging es aber in dem Zusammenhang, auf den wir hier abheben.*

* Hier und im Folgenden ist die Rede von Dr. med. Huber, ass. prof., PF/SPK

Iatrarchie ist von allem Anfang an Überfluß (Pleonasmus), Macht und Gewalt, Tod und Magie, Schrankenlosigkeit und Ohnmacht. Ohnmacht, die Quarantäne mitzuvollziehen, Schrankenlosigkeit, die Quarantäne bis zur Exekution voranzutreiben.
   Diesseits wachsende Krankheit, jenseits ("extra muros") eine Heilsgewalt, die vor keinem faulen Zauber zurückschreckt, keinen Trick unversucht läßt, das zu vereinnahmen, was sie unter Krankheit zu verstehen vorgibt. Und sei es auf dem Sektionstisch (Gefängisarzt zum Sanitäter am vierzigsten Tag des Hungerstreiks 1973 in Stammheim: "Wenn er sich lebend nicht untersuchen läßt, dann eben auf dem Sektionstisch").
   Auf jeder Stufe der Quarantäne aber ist Krankheit stark genug, heilsgewaltige Taktik zum ärztlichen Takt gesundzuschrumpfen, Iatrarchie zu vernichten.
   Erste Stufe: Entzug von Bewegung und Wahrnehmung 1971 - '73, dann wechselbadweise weiter bis zur totalen Kontaktsperre 1975 bis '76, plus Halbrationen ("Nulldiät") ab Mai 1975. Das war die ärztliche Macht- und Gewalttaktik. Verhandlungsangebot 1972: Krankheit geht freiwillig ins Irrenhaus und erhält dafür Haftverschonung (s. Akten der politischen Polizei zur Taktik des "Mannheimer Kreises fortschrittlicher Psychiater").
Das war der ärztliche Takt.
Letzte Stufe: Schwindende Halbrationen ab Mai 1975. Das war noch nicht die ganze ärztliche Taktik. Hinzu kam, daß das Gefängnispersonal Stoffpuppen am Hals aufhing. Die taktische Planung von ärztlicher Seite wurde so in die Magie einer Scheinexekution vermummt, mit dem Ziel, Mord für Selbstmord auszugeben.

Und das war die befreiende Pathopraktik, Bewegungsprinzip in Richtung Machtfrage: Hungerstreik ab November 1975, den die inzwischen krankgeschrumpften Eingeweide spontan zum Durststreik ergänzten.
   Es folgten 82 Ernährungsfoltern in 71 Tagen. Monate hinterher lag der Blutzucker zwischen 0 und 30, statt bei 120 mg%. "Bluteindickung". Cholesterin und Gerinnung "vermindert". Hypophysenfunktion "drastisch eingeschränkt". Körpergewicht "15 kg unter dem Sollwert".

Und dabei hatte die Heilsgewalt beachtliche Mengen Astronautenkost durch die Nase in den Magen gestopft. Sie wirkte in einem Büroraum der Festung Hohenasperg. Während der Nutritionstortur erhob dieser Büroraum sogar den Anspruch, Intensivstation der chir. Abt. zu sein. Anfangs war die Nasensonde so dick gewählt, daß sie beim Herausziehen blutverschmiert war. Die Dosierung der heimlich beigemischten Psychopharmaka war überreichlich: Krämpfe, Mißempfindungen, Mundtrockenheit, Schwindel.
   Aber mittlerweile hatte sich die ärztliche Taktik in ärztlichen Takt gesundgeschrumpft, war Iatrarchie an Pathopraktik gescheitert, die ärztliche Taktik der Verweigerung von allem und jedem, am Angriff aus der Krankheit zerschellt. Der Arzt hatte als Herr der Folter Ort und Instrumentarium samt Folterknechten sorgsam ausgesucht. Aber wenn zur Folterbank geprügelt, gefesselt und geschleppt wurde, war er, gekränkt, weinend und kettenrauchend hinter verschlossenen Türen.
   Sadismus, Liebe und Mitleid waren gegen Ende erschöpft. Krankheit war die Tagesordnung. Sie griff auch auf das Personal über. Die Krankmeldungen häuften sich. Nutritionstortur gab es nur noch ganz sporadisch.

Wo Patientenwiderstand ist, kann Pathopraktik ansetzen. Also auch hinter Anstaltsmauern. Die Iatrarchie von außen klinisieren und kriminalisieren, darauf kommt es an. Zielscheibe der Klinisierung ist der juristische Komplex, Zielscheibe der Kriminalisierung die Medizin. So wird die Iatrarchie gespalten. Macht wird zur Magie, Gewalt zum ungesunden(!) "Wert" rearchaisiert.
   Der Anstaltspatient verweigert kompromißlos jede Medikamenteneinnahme. Er läßt der Direktion eine schriftliche Erklärung übermitteln, daß er den Arzt im Fall einer Zwangsbehandlung wegen schwerer Körperverletzung anzeigen wird.
   Die Justiz wird über kurz oder lang offen ärztlich, der Arzt offen kriminell agieren. Krankheit hat es also geschafft, das Wertgefüge, den ganzen faulen Zauber der Iatrarchie an einer wichtigen Nahtstelle auseinanderzubrechen, Juristen in klinische Fälle, Ärzte in weiße Bluthunde zurückzuverwandeln.
   Dazu ein Beispiel: Seit Oktober 1976 sind 14 Patienten hinter Anstaltsmauern im Medikamentenstreik. Frontpatienten vor den Mauern erfuhren, daß sie selbst auf Schritt und Tritt aus einer eigens für diesen Zweck heimlich gemieteten Wohnung mit lastwagenweise angekarrten Gerätschaften ausspioniert werden. Der vom Patientenwiderstand entkräftete, von der entfesselten Krankheit in Schach gehaltene Psychiatriechef hatte das zuständige Justizministerium davon überzeugt, daß eine verhaltensdiagnostische Früherfassung und Speicherung des "gewaltbejahenden" Patientenwiderstands außerhalb der Mauern dringend geboten sei. Parlament und Presse hatten nichts dagegen.
   Daraufhin ging ein Patient am St. Valentinstag blumenverteilend durch Straßen und öffentliche Gebäude. Die Polizei nahm ihn wegen seiner Mönchskutte erwartungsgemäß vorübergehend fest. Presse und Priester recherchierten wo immer erwünscht und machten der Polizei einen riesen Skandal. Denn die Sache hatte keinen erkennbar politischen Bezug. Die Spitzel der weißen Bluthunde aber verstauten ihr diagnostisches Gerümpel in Transportern und verschwanden fluchtartig. Ihr Versteck war unreparierbar geplatzt.
   Den beiden in Richtung des Patientenwiderstands tätigen Rechtsanwälten droht seither immer dringlicher Berufsverbot. Ein Ehrengerichtsverfahren wegen Kränkung der Justiz. Zur Kränkung reichten 11 "Beleidigungen" in 4 Jahren: u.a. daß die Anwälte "Irrenhaus" schreiben, statt Heilanstalt, daß sie die Justiz als "Wurmfortsatz ärztlicher Gewalt" angreifen, anstatt wenigstens als staatliches Gewaltmonopol usw.
   Der Platz der beiden Rechtsanwälte an der Seite der Patientenfront bleibt. Bleibt für die Iatrarchie gesperrt.

Heilsgewaltig rein von Pathopraktik dagegen erscheinen der Patientenoptik die bisherigen Krawalle um Kernkraftwerke und Umweltzerstörung. Die Gegner haben ihre individuelle Gesundheit im Kopf, d.h. in Wirklichkeit das verwertete, gewaltsam niedergehaltene Leben, das keins ist: Todesvaluta auf den Walstätten* der heutigen Heilsgewalt.

* Sogar etymologisch interessierte Experten hätten sich schon lange vor uns 
  wundern können: es geht um Leichen, die hier nicht unser Thema sind.

  Nach der indogermanischen Sprachwurzel ist alles, d.h. jedes -wal-, jedes 
  valore, d.h. jeder -wert- und jede Ver-wal-tung, jedes in-val-id 
  Leichenhausrequisit. Leben aus Sicht der alleinherrschenden Iatrarchie, 
  längs der gesamten Realgeschichte, reduziert sich demzufolge von Wiege 
  bis Grab auf z.B. Kadavergehorsam. "Freunde, das Leben ist lebenswert" 
  - wirklich? Und Euer Stolz, und Euer Versäumnis, dieses Joch abzuschütteln, 
  um dann von Freiheit erstmals reden zu können, ja, wo ist er geblieben, 
  Euer Stolz?, auf welcher Walstatt, in welcher Anpassungsfabrik, in welcher 
  Wahlurne, in welcher "demokratisch-freiheitlichen" Urne "Eurer" "geheimen" 
  "Wahl"? Das Geheimnis ist: es gibt kein Geheimnis!
(Zusatz 2002)

Im Kopf der Macher die universelle Gesundheit, das gleiche nazistisch-biologistische Hirngespinst. Beide Parteien fußen objektiv auf derselben gedoppelten ärztlichen Ethik, einem Zwiespalt, den kein mit Pathopraktik konfrontierter Arzt aushält: auf der grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Individualwohl und Volksgesundheit. Beide Parteien haben ihre Ärzte und unterliegen deren Magie. Beide Lager schonen die "Gesundheit" und verherrlichen die Heilsgewalt. Der Arzt ist einstweilen noch Abwender ihrer Gesundheitssorgen, Superentsorgungsanlage. Unter der Hand ist er aber auch schon Anwender der Biotechnik, Züchter, der aus synthetisierten Colichromosomen- und Kristallbruchstücken kerngesundes, kruppstahlhartes Menschenmaterial kultiviert; Züchtiger, der Hirne und Hirnströme, Hypnotisches und Hypophysäres schlitzt, verkocht und vergiftet, entgrenzt und entkräftet.

Wer aber im Ethiker der Absurdität oder im Anwender der Wissenschaft und Verantworter der Biotechnik den Arzt angreift, entzieht ihm nicht nur das Vertrauen. Er trennt ihn vor allem von Krankheit, als dem vorgeschobenen Grund ärztlichen Handelns, kurz: er zieht dem Ärztestand den Standpunkt unter den Füßen weg und kränkt ihn dadurch tödlich. Und der Arzt seinerseits, gezwungen sich auf Biotechnik und ärztliche Ethik zurückzuziehen und hinauszureden, leistet unfreiwillig einen entscheidenden Beitrag zur Selbstpreisgabe des Systems und seiner Klasse. In vergleichbare Schwierigkeiten brachte sich der Adelsstand zu Zeiten der 1789-iger Französischen Revolution. Von den Verelendeten zur Rechenschaft gezogen, konnte er nur die Biotechnik, damals die Tierzucht, als Beweismittel seiner blaublütigen Abstammung bemühen. Nicht anders der Klerus mit seiner Ethik in Sachen Gottesgnadentum Marke Eigenbau.
Das war der Anfang vom Ende.

Ob als Anwender der Heilskultur oder als Abwender der Gesundheitsschäden: nur am Ärztestand können Kernkraftwerke zur gegen-ständlichen Angriffsfläche werden, Biotechniken zunichte gemacht, Gewalt und Macht zu Fall gebracht werden. Der Angriff auf den Ärztestand trifft den Kern, weil und wenn mit und um Krankheit gekämpft wird.
   Denn Krankheit hat Kraft zum Drehmoment, ist übergreifende Kraft über alle Schranken, über Materie, Energie, Raum und Zeit hinaus: absolute Beschleunigung, Lichtgeschwindigkeit, innen wie außen, physikalisch abstrakt, wie gesamtgesellschaftlich konkret.
   Kraft ist nicht schrankenlos Masse mal Beschleunigung (K= m . b), ist nichts Mechanistisches, nichts Maschinelles, ist nicht einmal mehr in der Physik zu Hause. Die Heimat wirklicher Stärke, Kraft und Schranke untrennbar miteinander verklammernd: A-tomkraftwerk, ist Krankheit. Der Rest ist bestenfalls Vorwand für politisch vermummte Techniken etappenweiser totaler Machtergreifung und schon im Ansatz Iatrarchie.
Also: Sackgasse oder Pathopraktik.

Krankheit anwenden. Kränken - sich, wen, womit, worüber - darum geht es hier. Die dazu gehörenden strategischen Grundlagen finden sich in IATROKRATIE IM WELTMASSTAB. Über politische, wirtschaftliche und theoretische Zusammenhänge orientieren schwerpunktmäßig die SPK-Dokumentationen und SPK - AUS DER KRANKHEIT EINE WAFFE MACHEN. Dort ging es hauptsächlich um Iatrorassismus und um die Enteignung von Krankheit. Hier kam es darauf an, Krankheit zu ereignen, d.h. Krankheit zu realisieren.

Kann Krankheit überhaupt anders, als kränken? Wenn kränken nicht als leere Bezeichnung, sondern als Zeitwort für erfüllte, einheitliche Aktivität genommen wird, Tätigkeitswort der Krankheit, dann ist kränken randvolle Wirklichkeit. Wirksam war jeweils nur das, was weiter kränkt.
   Dazu ein Hinweis. Krankheitsverdächtig, zumindest aber materialismusträchtig sind alle Gattungs-, Ernährungs- und Sinnesprozesse, all diese "Grenzfälle", kurz: alles Schlechte, um nicht zu sagen Geschlechtliche (vgl. malattia, maladie). Und dies sogar aus ärztlich-philosophischer und daher "gesunder" Sicht (s. bei V.v.Weizsäcker und Ludwig Feuerbach).

Ohne Krankheit keine Welt, keine Wirklichkeit, keine Orientierung.

In allen hier erwähnten neueren Beispielen ist das, was kränkt, das, was Krankheit zum Ereignis macht und verwirklicht nichts anderes, als die körperliche Konfrontation in der Gefängnis- und Anstaltsquarantäne, kränkend gerichtet gegen den Arzt. Und zwar bis hinter die Mauern, d.h. durch die Mauern hindurch.

Wo diese direkte Konfrontation ausbleibt oder umgangen wird, ist es mit Krankheit nichts. Sie kränkt nicht, sondern stirbt sich gesund: stirbt den ewigen Tod des kapitalistischen Verwertungsprozesses mit. Sie ist des Arztes. Der Arzt ist Vollstrecker, Produkt und Verweser der sterbenden Krankheit. Alles überformender Wert, arche tes arches (Aristoteles, Arztsohn!) ist er universaler Sterbehelfer. Die Stelle der körperlichen Konfrontation nimmt das freie Spiel der Werte ein, das archaisch ist, handfeste Metaphysik, aber nach wie vor als Gewalt bestimmt und zwar unterbestimmt wird. An die Stelle des Ereignisses tritt die Macht. Macht, recht verstanden ist das gemacht Gesunde, der gespensterhafte Riesenartefakt, nicht Ereignis, sondern Enteignung der kränkenden Krankheit. "Gewalt" ist entgegen allen Regeln der Physik das Wertpotential dieser Macht. Macht macht über ihre Überbewertung hinaus - garnichts.

Alle Produktivität kommt aus der Krankheit. Der Zufall und der Abfall. Raum und Zeit erschlagen den Menschen, könnte der Arzt sogar mit Hegel denken und geht hin und verordnet Quarantäne. Aber wenn der Weg aus der Folter mit zerbrochenen Ärzten gepflastert ist, dann war Krankheit stärker.

Die pathopraktische Konsequenz aus diesen Sachverhalten zieht jeder, der Gewalt und Macht aus seinem Vokabular streicht, der Macht und Gewalt durch Iatrarchie ersetzt weiß, Wort in Widerstreit wandelt, Krankheit aktiviert und Iatrarchie vernichtet, anstatt auf Macht und Gewalt auch nur noch in Gedanken zu reagieren.

Es gibt älteste Reaktionen auf Krankheit und es wird noch ältere geben.
   Krieg, die älteste Iatrarchie, gute 60 000 Jahre zurück. Die Welt-Genberatungsstelle, die noch ältere Iatrarchie, perfekt aber erst so etwa ab dem Jahr 2 000.
   Zwischenzeitlich hat Krankheit den Urstaat verkraftet, den Staat Ur, die Staatsgewalt und die Supermächte, den Welthandel und noch einiges mehr.
   Nicht nur verkraftet, sondern im Gegenwurf hervorgebracht und was mehr ist und schwerer wiegt, weil es alles leichter macht: Sie wird allgegenwärtiges Prinzip revolutionärer Veränderung, menschliches Geschlecht.
   Nicht weil es "menschlicher" zugeht, sondern in Abgrenzung gegen die Iatrarchie und im pathopraktischen Ereignen von Krankheit in jedem Zusammenhang. Bis hin zur gesamtgesellschaftlichen Solidarität in der Krankheit. Diese Solidarität ist Spannkraft in der Zerrissenheit, Intensität durch und durch, zu intensiv, um noch "menschlich" zu sein. Zu menschlich, um aus der Art zu schlagen.
   Denn das ständige Wachsen und Erstarken von Krankheit hat der Iatrarchie eine neue Variante hinzuzufügen, um sie zu überwinden: Das unmenschliche Geschlecht.

Vor dieser Iatrarchie-Variante sind Mächte, Gewalten und Kriege nur noch Eintagsfliegen und Atavismen, sprunghafte, insgesamt folgenlose Wiederkehr dessen, was ärztlich betrachtet taktlose Unart der Vorfahren war, ein letztlich ineffizienter Fehlgriff sogar als neuer Weltkrieg wäre.

Aus pathopraktischer Sicht, d.h. in Wirklichkeit nämlich war der Krieg, angefangen bei den ältesten Stammesfehden Iatrarchie, Mordwaffe gegen Krankheit in der Hand des Magiers "vom Dienst", Heilsgewalt gegen aufkommende Solidarität in der Krankheit, Reproduktionsmittel des archiatrischen Wertpotentials (Gewalt von Walstatt bis Walhall) und seiner Heilswirkung (Magie), Verkehrung des fusionierenden Kränkens in Rückwirkung und Reaktion, in die Bereitschaft solidarischen Sterbens.

Neueste ethnologisch fundierte Hypothesen (vgl. P. Clastre) mit dem Anspruch auf Fundamentalkritik, nach denen Krieg und Aggression die Ausbildung einer gesellschaftlichen Wertordnung (Häuptlingswesen usw.) verhindern, Staat und Wirtschaft aber ihrerseits kriegsverhindernd, daher hierarchiefördernd seien, kommen immerhin nicht darum herum, den Schamanen als Initialzünder dieser gesellschaftlichen Abläufe ausdrücklich zu nennen. Aber vom Treibstoff dieser Reaktionskette, sei es nun Krankheit oder was denn eigentlich sonst, wenn schon "Schamane", ist mit keinem Wort die Rede. Wohl aber am Rand von Sozialpathologie im Stil von "Volk ohne Raum".

Ein Beispiel also für iatrarchischen Neomalthusianismus im Gesamt der pathopraktisch nicht einmal theoriefähigen Befunde und Unterstellungen am Leitfaden wechselnder Gesundheitsmodelle. Aber, wie gesagt, mit dem heiligen Krieg, dem Krieg der Heil war, weil er die Probleme der Heilsgewaltigen löste, ist es vorbei. Und mit dem Unheil auch. Aufs Ganze gesehen kann die Macht nichts mehr machen und auch Gewalt hat ihren Wert nur noch im Namen.

Schlechte Zeiten für Nietzsches Epigonen, wenn die Iatrarchie ihren krankheitsreaktiven Schein nicht mehr verbergen kann, wenn Krankheit reflexiv, doppelte Bejahung ist. Steinerweichend schlechte Zeiten für Nietzsches Epigonen, wenn sie der Teufel reitet, Promiskuität mit Kristallen zu predigen und das menschliche Geschlecht in Gestalt von madame maladie in die rechte Ecke zu stellen. Dafür aber, Nietzsche sei's geklagt, selber der Iatrarchie auf den Strich gehen. Das kommt davon, wenn man nicht wahrhaben will, daß es die Iatrarchie ist, die, seit einigen Jahrhunderten erst, von Krankheit gezwungen wird, in der Verteufelung des menschlichen Geschlechts ihr Heil zu suchen. Wo denn auch sonst? (Prozeß der Gattungsherstellung über Krankheit, und nur über diese). Das unmenschliche Geschlecht ist nämlich noch nicht voll synthetisierbar. Der Gattungsprozeß kann noch nicht in die Ursoße aus genetischem Kristallmaterial, Strahlen und Strömen zurückgelenkt werden, vorbei am gesellschaftlichen Menschen. (Prozeß der Gattungsherstellung über Krankheit, und nur über diese).

Doch für den Anfang tut sich schon was. Auch ohne Knopfdruckelektrode.
   Mit langer Quarantäne und leichter Mühe gelingt es dem Arzt, Schwere mit Schwerelosigkeit zu begatten, Hitze mit Frösteln und Austrocknung mit Wassersucht. Und das metaphysische Wunder geschieht: Die unmenschlichen Elemente kriegen Junge. Wie verrückt vermehren sie sich. Oder auch wie investiertes Geld, wenn es, wie "mit Gewalt" mehr und mehr wird, Mehrwert heckt. Dieses abartige Geschlechterspiel, eine der neuesten medizinischen Errungenschaften und immerhin schon Lichtjahre und Weltzeitalter zurück hinter der Menschheitsgeschichte, ist aber nicht schon allein deshalb Iatrarchie. Um reine Gesundheit zu sein - dies ist nämlich ein unabdingbarer Iatrarchie-Modus - dürfte sie Krankheit nicht mehr vor sich, geschweige denn gegen sich haben, müßte sie gegen Kränkung gefeit sein.

Wer die Kasuistik im Mittelteil dieser Abhandlung auch nur oberflächlich mitbekommen hat, der wird zumindest ahnen, daß dem noch keineswegs so ist.
   Was dieses vordergründig faschistische, bei Licht besehen aber doch so umwerfend unarische Geschlechtsspiel der Elemente aber dennoch als Iatrarchie kennzeichnet, ist der "klinisch unauffällige Befund". Unauffällig nur dank Krankheitswirkung. Der Beweis dafür ist die Möglichkeit der Pathopraktik, Selbstbegattung in der kränkenden Krankheit und Wiedervermenschlichung in Überwindung des unmenschlichen Geschlechts.
   Wenn übrigens ärztlicherseits keine oder doch irgendwelche Befunde erhoben werden können, dann muß das nichts mit gutem oder bösem Willen zu tun haben. Daß Kriege, Konzentrationslager, Knäste, Klapsmühlen und sog. konspirative Verstecke gesund sind, heilsamer jedenfalls, als seine Bemühungen, gibt der Arzt nicht ungern zu. Denn er hält diese Art Heilsgewalt nicht für sein Verdienst. Völlig zu Unrecht übrigens, wie ausgeführt.

Daß dieses Heil aber von einer klinisch nicht faßbaren Krankheit, der Krankheit schlechthin unterminiert wird die, Geld und guten Worten zum Trotz, die Oberhand behält, weiß er seit mehr als 30 Jahren. Es handelt sich um den Quarantänekörper (nicht krank, dafür aber pathopraktisch, keltisch und martialisch: cranc), den Quarantänekörper von dem es heißt, daß er "nicht mehr auf die Verhaltensnormen zurückgreift, die den von Ärzten als krank Bezeichneten zu Verfügung stehen".

Diesen Körper brandmarkt die Iatrarchie als frech, keck, kaputt und widerwärtig, denn er verschlägt ihr die Fachsprache. Dieser Fall tritt spätestens dann ein, wenn der Quarantänekörper - sich selbst brandmarkend - der ärztlichen Körperschaft körperlich zu schaffen macht.
 

Inhalt

Die Verarztung des Überalterten im unmenschlichen Geschlecht (Iatrarchie).

Radikaldialektik der Krankheit und ihre geschichtsdialektischen Ereignisse.

Pathopraktische Methode und etymologische Implikationen.
 

PF/SPK(H)
Huber