Zum 46. Jahrestag des SPK-Teach-In am 19.11.1970
im überfüllten Hörsaal 13 der Universität Heidelberg
(1200 Teilnehmer!)

 

Der Arzt scheißt sich in seinen Kittel,
denn: gegen Patienten in Front gibt’s keine Mittel.
Umsonst sein Gattungsgift-Geschrei,
das SPK ist nie vorbei.

 

Patientenfront transnational,
heute in vielen Ländern multi-fokal,
Krankheit begreifend, kosmisch-sozial.
Für die Doktatur katastrophal.

 

SPK 1970/71 Gattungs-Geschichtsbeginn.
Sich als Patient und für Krankheit selbst brandmarken,
nur so kriegt man das hin.
Wer sich befreien will von Ärztenorm und HEILsdiktat
mit Krankheit-Waffe Gegenschlag,
macht SPK zu seiner Tat.

 

SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen,
Schluss mit Waren, Dingen, Sachen,
Teach-In lesen, selber machen:

 

 

Zur Arbeitsweise des SPK

Beitrag zur Informationsveranstaltung des SPK
in der Universität Heidelberg – 19.11.1970

Aus: SPK-Dokumentation II

 

Im Folgenden soll nun eine kurze Darstellung unserer Arbeit und Tätigkeit im SPK gegeben werden. Dazu ist vorauszuschicken: Wir leben in einer Klassengesellschaft, d.h. es gibt Ausbeuter und Ausgebeutete; in Zahlen: 2,7 % der BRD-Bevölkerung besitzen 95 % der Produktionsmittel. Bei der heutigen Entwicklung der Produktivkräfte, sprich Technik, könnten 2 Stunden tägliche Arbeit genügen, die notwendigen Mittel für den Lebensunterhalt für alle zu erarbeiten; die Lohnabhängigen sind aber gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und mindestens 8 Std. täglich so intensiv zu arbeiten, daß der Rest des Tages gerade zur Erholung ihrer Arbeitsfähigkeit ausreicht.

Dem Einzelnen tritt das in wenigen Händen konzentrierte Kapital als übermenschliche Macht gegenüber; Kapital wird nicht begriffen als Beziehung zwischen Menschen, sprich Herrschaft-Knechtschaft, sondern als Sachzwang. Gearbeitet wird nicht, um die Bedürfnisbefriedigung aller sicherzustellen, sondern um hohen Profit zu machen für wenige. Die Warenwelt ist also nur Abfallprodukt der kapitalistischen Mehrwertproduktion. Eine Ware ist aber der Arbeiter selbst: er gilt nur etwas in Bezug auf seinen Tausch- und Gebrauchswert.

Auf einen kurzen Begriff gebracht: der Lohnabhängige verkauft sein Leben für seine Lebensmittel; er lebt also ein Leben, das nicht ihm gehört, das bestimmt ist durch Sachzwänge; seine Persönlichkeit gibt es gar nicht, er ist nur Zusammenfassung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Jede Individualität und Qualität ist ausgelöscht; Arbeitskraft ist austauschbar; Personen sind isoliert, vereinzelt, atomisiert; Robinsons in einer Welt von Waren.

Der Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital stellt sich dem Menschen darin dar, daß er nur Funktionsträger im kapitalistischen Produktionsprozeß ist und gleichzeitig in diesem totalen gesellschaftlichen Zusammenhang absolut isoliert ist. Nicht mehr die Bedürfnisbefriedigung ist Anfangs- und Endpunkt der Produktion, sondern die Profitmaximierung, abstrakter Reichtum. Aus der Bedürfnisbefriedigung, die nur gesellschaftlich geleistet werden könnte, ist die Warenvernichtung der Konsumenten zur Erhaltung der dem Kapitalisten gehörenden Arbeitskraft geworden.

Das Abbild dieser allgemein entmenschten Verhältnisse im einzelnen Individuum ist die Krankheit. Um der totalen Vernichtung seiner Bedürfnisse zu entgehen, formt er aus seinen unterdrückten Trieben die Krankheit, ein Produkt, das Einheit von Protest und Hemmung des Protests, von Aufschrei und Ohnmacht, von progressiver und reaktionärer Seite ist. Die Krankheit ist einerseits Vernichtung von Leben, andererseits erhält gerade sie das Leben, da sie die Bedürfnisse aufbewahrt, da in ihr der Widerspruch sinnlich erfahrbar wird. Wird die reaktionäre Seite der Krankheit in Anspruch genommen, wie im herrschenden sogenannten Gesundheitswesen, so folgt die Kapitalisierung der Krankheit.

Das heißt, nicht der Arbeiter ist als Patient Konsument klinischer Dienstleistungen, sondern er wird im Prozeß der herkömmlichen klinischen, diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen konsumiert und zwar arbeitsteilig konsumiert, weil diese Arbeitsteilung allein den Gewinn der vorübergehenden Wiederherstellung der Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft im kapitalistischen Verwertungs- und Produktionsprozeß (KVP) und den "Fortschritt der Wissenschaft", d.h. ihre zunehmende Verselbständigung als Ganzes ebenso wie ihre Einzeldisziplinen gewährleistet.

Dieser Patientenkonsum der institutionalisierten Medizin ist analog dem Konsum der Arbeitskraft im krankmachenden gesellschaftlichen Verwertungsprozeß, der wiederum als Zulieferer der Einrichtungen des "Gesundheitswesens" fungiert. Die Krankenhäuser sind in genau derselben Weise Produktionsstätten wie die Fabriken. Der Patient muß dort alles abliefern, was er produziert hat: Stuhl, Blut, Urin, Gallen-, Nieren-, Blasensteine, Körperteile, Kopfschmerzen, Halluzinationen, Hypertonien, Unruhezustände etc. Diese Produkte werden umgewandelt in Arztrechnungen, Laborrechnungen, Verwaltungskosten etc. Die Krankheit fließt auf diese Weise in die Staatskasse und meistbietend in den Wirtschaftsprozeß. Ein winziger Bruchteil kommt in Form von Krankenhauseinrichtungen, Medikamenten, Pflegekosten etc. wieder zu dem Kranken zurück. Der Verzehr dieser Konsumleistungen liefert neue Profite an Wirtschaft und Staat. Als entfremdetes Objekt verhält sich der Kranke außerhalb dieses mit ihm veranstalteten Kreislaufes der Profitlichkeit ganz analog dem Fabrikarbeiter, der gerade so viel Lohn bekommt als nötig ist, um seine Arbeitskraft zu reproduzieren.

Dem Patienten wird somit die Krankheit, die er produziert hat, weggenommen zum Zweck ihrer Umwandlung in Geld – aus Geld wird Kapital. Nicht anders als in der Fabrik ist das Produkt Krankheit, d.h. Beschwerden, Symptome etc., vergegenständlichte Lebenszeit, die als Ware Mensch gehandelt wird, nicht anders als die entfremdeten Produkte, die der Unternehmer dem Arbeiter in der Fabrik wegnimmt.

Wie sieht nun die "Therapie" (= Agitation) aus, die die progressive Seite der Krankheit für sich in Anspruch nimmt? Krankheit als Einheit von Protest und Hemmung des Protests ist Einheit von unterdrückten Trieben = Menschsein und übermächtigen Sachzwängen = Kapital. Die Hemmung wird aufgelöst und die freiwerdende Energie in politische Aktivität umgesetzt. Dazu einige Beispiele:

 

1. Verfolgungswahn

Ein Patient hat die übermächtige Angst, von irgendjemand verfolgt und bedroht zu werden. Er flieht und zwar deshalb, weil er den genauso übermächtigen Wunsch hat, auf denjenigen zuzugehen, ihn zu lieben, dieser Wunsch aber verboten ist und er sich negativ dazu verhalten muß. Das ist erscheinungsmäßig durch die Erziehung begründet, die dem Patienten bestimmte Liebesobjekte gleichzeitig aufdrängt und verbietet. Dem Wesen nach ist dieses Verhalten des Patienten rational begründet in dem Grundwiderspruch von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften, in dem die Familie gesetzlich und moralisch institutionalisiert ist als kleinste Produktions- und Konsumptionseinheit im kapitalistischen Verwertungsprozeß als Ideologiefabrik der bestehenden Verhältnisse.

2. Höflichkeit

Im Studentenparlament fiel von Hildebrandt der Satz, wir würden uns wie ungezogene Kinder benehmen. Die progressive Seite der Höflichkeit ist der versteckte Wunsch nach Zärtlichkeit, die reaktionäre Seite ist die erzwungene Verschleierung der unmenschlichen Produktionsverhältnisse. Die Forderung nach Höflichkeit, wo es um die Entlarvung der kapitalistischen, krankmachenden Verhältnisse geht, gründet sich ganz auf der reaktionären Seite, auf dogmatischen Stillhalte-Strukturen.

3. Konzentrations- und Arbeitsstörungen

Diese stellen wie alle anderen Symptome Einheit von Trieb und Abwehr dar. Der Trieb, den wir als Einheit von Verstand und Vernunft, im Hegelschen Sinne als Geist begreifen, will sich das Wesentliche nehmen, zum Zentrum vordringen; das Zentrum heißt aber in einer Welt einzelner allgemeiner Waren den Gesamtzusammenhang begreifen oder die Erscheinungen dieser zerrissenen Verhältnisse entwickeln aus dem Grundwiderspruch von Herrschaft und Knechtschaft, vermittelt durch die Arbeit. Dieser Trieb oder Geist wird aber in der kapitalistischen Gesellschaft notwendigerweise gehindert, d.h. der Konzentrationsgestörte bleibt immer an der Oberfläche, womit er haargenau die Vereinzelung und Atomisierung der äußeren Verhältnisse im Denken reproduziert. Da die Oberfläche nicht das Wesen ist, irrt dieser Trieb ruhelos umher. Genauso sind die Arbeitsstörungen aufzulösen: die abstrakte Arbeit im kapitalistischen Verwertungsprozeß zur Reproduktion des Lebens muß aus der politischen Arbeit im Gesamtzusammenhang entwickelt werden.

Auf einen kurzen Begriff gebracht, lösen wir die Symptome der Krankheit auf nach den Kategorien Erscheinung/Wesen, Form/Inhalt oder Identität der Unterschiede.

Die "Therapie" (= Agitation) nimmt nun anfangs folgenden Verlauf: der neue Patient braucht keine Wartezeiten in Kauf zu nehmen. Es findet am Anfang eine psychiatrisch-neurologische Untersuchung statt, wenn nötig, Abklärung allgemeiner medizinischer Belange. Gleichzeitig wird die Biographie auf dem Hintergrund des Widerspruchs von Individuum und Gesellschaft erarbeitet. Das heißt, dem isoliert gestrandeten Robinson werden seine krankmachenden Beziehungen ins Bewußtsein gebracht. Dasselbe gilt für die Erarbeitung des tiefenpsychologischen Materials der Träume, Einfälle, Ausdrucksverhalten.

Mit der Formulierung der politischen Zusammenhänge wird aus der Therapie Agitation, d.h. Vorantreiben der eigenen Widersprüche, die sich in der Krankheit manifestieren, ist identisch mit dem Vorantreiben der gesellschaftlichen Widersprüche. Aus der Einzelagitation, konsequente Bearbeitung der kapitalistischen Atomisierung, entwickelt sich der Wunsch nach Gruppenagitation als progressive Wendung und Aufhebung der Vereinzelung. In der Gruppendynamik kann der Patient Krankheit unter der Form des Objekts behandeln, nämlich die Krankheit der anderen. Er erfährt die Gleichheit des Wesens, das den unterschiedenen Symptomen zugrunde liegt und ist selbst Objekt für die anderen in diesem Prozeß. Die Einsehfähigkeit für die Krankheit der anderen hat er aber nur durch seine eigenen Widersprüche und umgekehrt. Im Behandeln der anderen behandelt er also sich selbst; im progressiven Auflösen nicht-eigener Widersprüche ist er selbst progressiv. Er wird also in Bezug auf die eigene Tätigkeit tätig und hat damit höchste Objektivität erreicht, nämlich Identität von Subjekt und Objekt.

Besondere Bedeutung kommt jetzt dem Verhältnis von Einzel- und Gruppenagitation zu hinsichtlich der Dialektik von Form und Inhalt. Die Form der Gruppe, Integration in einen objektiven Zusammenhang, wird Inhalt der Einzelagitation; umgekehrt, die Form der Einzelagitation, die kapitalistische Vereinzelung und daraus folgende Ängste, Inhalt der Gruppenagitation. Oder: Gruppen- und Einzelagitation entsprechen Gesellschaft und Individuum, die genauso wenig mechanisch zu trennen sind.

In diesen Agitationen nimmt der Patient auf eigenen Wunsch teil. Will er dabei eine mehr aktive Rolle einnehmen, etwa selbst Einzelagitation übernehmen, so ist er auf die Arbeitskreise verwiesen. Die Arbeitskreise orientieren sich an der Aufhebung der Entfremdung des Menschen und der Freilegung von Intelligenz als aktiver Protest. Es gibt deshalb Arbeitskreise in Dialektik, politischer Ökonomie, Sexualität und Religion. In diesen Arbeitskreisen wird die bürgerliche Wissenschaft auf ihren Begriff gebracht und damit aufgehoben, neben Mathematik, Physik, Medizin, Biologie usw. insbesondere die klassische Psychiatrie, Psychoanalyse und Psychotherapie. Am Beispiel der Psychoanalyse heißt das, der Deutungshintergrund ist nicht mehr die Familie, sondern ökonomische Kategorien. Fixierungen etwa erscheinen als Haften an Personen, sind aber nur Ausdruck ökonomischer Zwänge. Autoritätskonflikte werden auf dem Hintergrund des Warenfetischismus, d.h. nach Dialektik von Gebrauchs- und Tauschwert betrachtet.

Allgemein ist zu sagen, daß die bürgerlichen Wissenschaften quantifizierend vorgehen und auf abstrakte Sachlichkeit gegründet sind. Dabei ist etwas rein Qualitatives, nämlich die Zusammenarbeit derer, die in diesem wissenschaftlichen Prozeß drinstehen, die Grundlage dieser Produktion. Genau das aber erscheint nicht in den Methoden und Ergebnissen der bürgerlichen Wissenschaft. Diese Trennung von Sachlichkeit und Personen ist notwendig, damit diese Wissenschaft ihre Funktion für das Großkapital erfüllen kann.

Bei uns dagegen ist es so, daß wir vom Start weg die Kooperation erzeugen und zum Objekt unserer Arbeit machen, d.h. sie materialistisch gestalten, dadurch Veränderungen erzeugen, die das ganze System, innerhalb dessen sich der Prozeß der Agitation vollzieht, betreffen und mitgestalten. Diese Kooperation nimmt konkrete Formen an etwa in der wechselseitigen Selbstkontrolle von Patienten, wo dann jeder Patient Einheit von Wissenschaft und Krankenversorgung ist. Dies liegt ganz auf der Linie der angestrebten Sozialisierung der Medizin, Prinzip Patientenkontrolle. Produkt unserer Tätigkeit ist Solidarität, Kooperation und Emanzipation; dieses Resultat enthält den Anfang, die Bedürfnisse und ist Einheit von Rationalität und Emotionalität oder von Gefühl und Intellekt. Nur dieses in sich selbst, also im Menschen begründete Resultat, das ständiger Prozeß ist, ist wirkliche Wissenschaft.

19.11.1970

 

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Zur Vorbereitung der Informationsveranstaltung am 19.11.1970

Man hört da den Ausdruck Sachzwänge. Man muß da die Frage stellen, was ist wichtiger – die Sache oder der Mensch? Daraus ergibt sich die Bewertung wohl von selber, der Mensch nämlich ist wichtiger. Sofern die Sache eine Negation menschlicher Möglichkeiten darstellt, ist diese Sache zu negieren. Und erst über die Negation dieser Negation gestaltet sich der Prozeß zwischen Mensch und Wirklichkeit, aus dem heraus sich ergibt, was man als Realitätsprinzip zutreffenderweise umschreiben könnte unter dem Hinweis darauf, daß Freud das Realitätsprinzip keineswegs zureichend erfaßt hat, denn er hat es nur auf Sachen bezogen, auf Tatsachen, somit auf Sachzwänge. Er hat somit von Anfang an angesetzt und ist dabei stehengeblieben, daß der Mensch hinter der Sachwelt, oder marxistisch gesprochen, hinter der Warenwelt zu verschwinden hat, da er selbst nur eine Ware mit einem ganz bestimmten Tauschwert ist, abhängig von der jeweiligen Marktlage.

Bezüglich der Räumungsklage und des Säumnisurteils werden sich vielleicht viele Hörer wundern, daß in dieser Weise das Gesetz offensichtlich gegen den Menschen angewandt wird. Das will aber gar nichts heißen; man muß sich überlegen, worauf die Gesetze basieren. Sie beruhen auf ökonomischen Grundkategorien, d.h. sie helfen die Warenproduktion, damit in eins die Ausbeutung des Menschen, seine Verwandlung in eine Ware, d.h. die Tatsache, daß er sich immer und überall verkaufen muß, diese Tatsache helfen die Gesetze regulieren. Sie haben gar keine andere Aufgabe. Mit anderen Worten: die Gesetze sind nicht für den Menschen, sondern für die Warenwelt, also gegen den Menschen. Das sollte man sich vor allem klar machen jedesmal dann, wenn ein Politiker den Mund weit aufreißt und sagt – wir leben doch schließlich in einem Rechtsstaat. Der will dann damit ganz einfach nur etwa folgenden Sachverhalt ausdrücken: Hauptsache die Wirtschaft funktioniert, der Mensch kann draufgehen.

Gegen den oft gehörten Vorwurf, wir wären emphatisch oder pathetisch ist soviel geltend zu machen: der Kultusminister und selbstverständlich auch Herr Rendtorff, mit dem wir es zu tun haben, können es sich jederzeit leisten, ganz ruhig und sachlich zu argumentieren, denn sie wissen genau, daß die Exekutivorgane – also sagen wir Polizei und Bundeswehr – auf ihrer Seite stehen, z.B. bei einer Demonstration fährt einer in die Menschenmenge. Der Wagen wird durch die sich bedroht fühlenden Demonstranten beschädigt. Der, den man als Täter bezeichnet – selbstverständlich ein Demonstrant – wird angezeigt; der Nicht-Demonstrant hingegen, der in die Menschenmenge reingefahren ist, kann unbehelligt davonziehen; die Polizisten weigern sich, auch nur seine Personalien aufzunehmen.

Die Universität hat bekanntlich schon im Kaiserreich versagt, sie hat auch unter Hitler versagt. Es gilt jetzt festzustellen, ob die Öffentlichkeit, also die derzeitige Gesellschaft, in diese Universität irgendwelche Hoffnungen setzen kann, wenn es sich darum handelt, ob sich das Hitlerregime in irgendeiner Form wiederholt oder nicht.

Wenn man von faschistisch redet, dann sollte man das irgendwie definieren. Das versteht nämlich keiner mehr allmählich. Also in der Weise: Fascesbündel, Henkersarbeit, Drohen, Triebeinschränkung, Untertanenstruktur, Vorbereitung für die Ausbeutung im kapitalistischen Wirtschaftssystem.

Im Übrigen steht in den Flugblättern schon alles drin. Wenn es um das Flugblatt "Der Betrug in der Medizin" geht und jemand der Ansicht ist, das, was da behauptet wird, sei naturwissenschaftlich nicht genug abgesichert, z.B. der Einfluß der Gesellschaft auf die Chromosomalstruktur, dann kann man doch zumindest darauf hinweisen, daß, wenn man den in diesem Flugblatt aufgeführten Gesichtspunkt zur Grundlage nimmt, niemandem dadurch Schaden entsteht. Auf der anderen Seite ist klipp und klar nachgewiesen, wenn man von der erbgenetischen Festlegung ausgeht, daß daraus nur die bekannten Praktiken des Faschismus resultieren können: Euthanasie, Sterilisation usw.

Inwiefern hat das SPK das Recht sich auf Wissenschaftlichkeit zu berufen?

1. Die 3 Gutachten,

2. das Hochschulgesetz,

3. die auf Naturwissenschaft gegründete übrige Medizin folgt ausschließlich dem Prinzip der Quantifizierung, d.h. der Beweis für ihre Wissenschaftlichkeit wird daher genommen, daß sie das, was sie als richtig behaupten, messen, zählen und wiegen können. Das Moment ist aber etwas, was man weder zählen, wiegen noch messen kann. Die Zusammenarbeit derer, die im naturwissenschaftlichen Prozeß drinstehen, ist demnach die Grundlage dieses naturwissenschaftlichen Prozesses, ist aber etwas rein Qualitatives, das auf jeden Fall nicht in der Methode und in ihren Ergebnissen erscheint; insofern gründet sich die ganze Medizin, soweit sie sich mit Hilfe der Naturwissenschaft rechtfertigt, auf etwas völlig Abstraktes.

Bei uns dagegen ist es so, daß wir vom Start weg die Kooperation erzeugen, die erzeugte Kooperation – man denke z.B. an die Einzelagitation – zum Objekt unserer Arbeit machen, d.h. sie materialistisch gestalten, dadurch Veränderungen erzeugen, die das ganze System, innerhalb dessen der Prozeß der Agitation sich vollzieht, betreffen und mitgestalten. Das nimmt z.B. in der Weise Gestalt an, daß der Einzelne sich dann entschließt, in der Gruppenagitation oder in den Arbeitskreisen mitzuwirken, wodurch sich dann sein Verhältnis bereits erneut geändert hat.

Wenn´s darum geht, daß wir beweisen wollen, daß unsere Arbeit was taugt, dann müssen wir auf die wissenschaftstheoretischen Grundlagen des Beweises zurückgreifen. Es geht in der Naturwissenschaft darum, daß man etwas für bewiesen hält, wenn zweimal dasselbe mit anderen Mitteln erzeugt ist. Zweimal das gleiche ist aber in keinem Fall dasselbe; wo der Unterschied liegt, wissen wir. Es geht beim naturwissenschaftlichen Beweis darum, daß die Ergebnisse auf Grund zweier Operationen gewonnen worden sind, die grundsätzlich verschieden sind, sowohl in der Weise, in der vorgegangen wird, als auch danach, was jeweils rauskommt.

Zum Beispiel, wenn man einen geometrischen Beweis führt, dann löst man irgendeine Figur in ganz andere Bestandteile auf, die ihrerseits nichts mit der Figur gemeinsam haben. Man ordnet also die Sache so zurecht, daß man sich sagen kann: also die ganze Sache ist nun bewiesen. Es geht dabei also auch wieder um ein rein quantitatives, quantifizierendes Verfahren; man denke z.B. an die Konstruktion, auf Grund derer man beweist, daß die Winkelsumme im Dreieck 180o ist. Man macht über die Spitze des Dreiecks eine Parallele zur Grundlinie und erklärt das zum gestreckten Winkel; infolgedessen ist dann die Winkelsumme im Dreieck 180o. Das stimmt natürlich, aber daß eine gestreckte Linie 180o ist, das muß man auch in dem System, in dem man experimentiert als gegeben, also axiomatisch ansetzen.

In unserem Fall, wo wir davon ausgehen, daß wir die Qualität, die dann eventuell quantifiziert werden könnte, erst selber erzeugen müssen, kann der Beweis nur darin liegen, daß sich die Qualität ständig verändert und daß die Identität innerhalb dieser Änderung gewahrt bleibt, d.h. Kooperation, Solidarität und Emanzipation z.B., wenn die erzeugt werden, dann sind sie nicht ein für allemal da, sondern müssen sich in jeder Situation immer wieder bestätigen; und wer so weit ist, daß sich für ihn diese 3 Momente immer wieder und in jeder Situation bestätigen, führt damit exakt den Beweis für die Methode.

Also man könnte in etwa sagen, die Naturwissenschaft hält etwas für bewiesen, wenn sie Verschiedenes gleichsetzt. Die marxistische Gesellschaftswissenschaft geht von der Qualität aus, die in all ihren Veränderungen identisch bleibt; oder auch so: In der marxistischen Gesellschaftswissenschaft hat der Beweis die Bedeutung, daß es zu keiner Übereinstimmung dessen, was verglichen wird, kommen kann; oder nach Hegel, wie man es auch bei Lukács aufgeführt findet, es geht um die Dialektik von Sein und Sollen, wobei das Sollen dem Sein immanent ist, aber davon wesentlich verschieden, das Ganze Prozeß bleibt, also Sein und Sollen, die zwar völlig miteinander verschmolzen sind, nie zur völligen Übereinstimmung kommen dürfen. Nur unter der Bedingung ist der Wahrheitsbeweis tatsächlich geführt; oder nach Hegel: Die Wirklichkeit ist endlich, dem würden Marx und Lenin keineswegs widersprechen – wir wissen ja, daß diese Einsicht für beide konstitutiv war; der Begriff dagegen oder die Kategorie der Totalität ist unendlich und deshalb darf es, wenn die Sache bewiesen und richtig sein soll, eben niemals zur Übereinstimmung kommen – uns ist das natürlich wieder dialektisch – weshalb man auch sagen kann, daß die Nicht-Übereinstimmung, also daß der Begriff nicht mit der Realität übereinstimmt in Bezug auf eine bestimmte Sache, eben der Beweis dafür ist, daß man die Sache richtig erfaßt hat.

Dabei kommt nämlich raus, daß die Sache – so wie sie vorliegt – über sich hinausgetrieben wird, und damit wäre man wieder dabei, daß die Tatsachen die Möglichkeiten des Menschen beschränken, daß die Tatsachen also Negationen in Bezug auf menschliche Möglichkeiten darstellen und dieses nur durch das Negieren dessen, was die menschlichen Möglichkeiten negiert, aufgehoben wird.

 

16.11.1970

Sozialistisches Patientenkollektiv
an der Universität Heidelberg

 

 

Die Lage der Welt ist Krankheit. Was tun?

Der vollständige Krankheitsbegriff

Geschichte der Patientenfront

Was wir bis jetzt revolutionieren wollten?
Antwort: Die Revolution ab unseren allerersten Anfängen und bis zur Stunde

 

PF/SPK(H), 09.11.2014