Gérard Hof: 
Hunde, wollt ihr ewig sterben

Übersetzung aus dem Französischen von Huber PF/SPK
Vorwort und Nachwort von Patientenfront/Huber

1. Aufl. 1976, 2. Aufl. 1993, 
ISBN 978-3-926491-20-6, 215 S., EUR 12.-

Gegen den Antipsychiatriehumbug. 
Lexikon gegen die Psychiatriemordwerkzeuge. 
Nachwort: Dolly-Prophezeihung, Gründe, Folgen, todsicheres Antidot (1976!!).

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Patientenfront

Vorworte zur autorisierten Übersetzung

Einleitung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

Epilog

Anhang 1

Anhang 2: Für eine Internationale der rasenden Narren, Heidelberg 1972

Randglossen und -kommentare

Nachwort

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"Was taugt geistige Gesundheit, wenn sie mir die Wirklichkeit verstellt und meine Fantasie ruiniert?"

FRANCOISE D‘ EAUBONNE
(Feminismus oder Tod)

"Ich sage, daß wir tätig sind, wenn in uns oder außer uns etwas geschieht, von welchem wir die voll entsprechende Ursache sind, das heißt eine Sache in uns oder außer uns, die nicht klar erkannt werden kann, es sei denn als Ausfluß dieser unserer Natur.
Umgekehrt sage ich, daß wir leiden, wenn etwas in uns oder außer uns geschieht oder Ausfluß unserer Natur ist, wovon wir lediglich Teil-Ursache sind".

 

SPINOZA
(Die Ethik, III. Kapitel,
"Über die Natur der Affekte")

"Die Tätigkeit ist aus dem Leiden zu entwickeln. Die Hemmung des Protests, wie sie in den Symptomen erscheint, ist in der Dialektik von Individuum und Gesellschaft aufzulösen; aus den gehemmten Affekten der Kranken (der bewußt Leidenden) wird genau der Explosivstoff freigesetzt, der nötig ist, um das herrschende System des permanenten Mordes in die Luft zu sprengen".

SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen

Vorwort

Gerade der deutsche Leser, und gar der politisch gebildete, weiß mit Krankheit umzugehen: man schaltet ihre Träger aus.

Wie man das auf imperialistisch besser macht als früher im Hitler-Deutschland, davon macht der Autor nur das aller Not-wendigste her.

Was ihn in Bewegung hält, ist das am Tod-in-Weiß geschärfte, am eigenen Leib erfahrene Wissen um die subversive Gewalt Krankheit; Maßeinheit Milligramm. Sie weiß er gegen die Megatonnen-Mächte gewendet – und zu wenden.

Wo Befreiung als Befreiung in Krankheit anvisiert ist, da sind die Siege so greifbar nahe wie das Ziel ein fernstes.

Patientenfront

 

Vorworte zur autorisierten Übersetzung

Befreit erraten, bestimmt nicht erfunden.

Wolfgang Huber

 

Einleitung

Das Minimum dessen, was ein Psychiater tun kann, um seine Gewalttätigkeit wirksam gegen das System zu richten und nicht länger auf diesem Schauplatz zu bleiben ist, seinen eigenen Wahn, der ihn bis dahin getragen hat, freizusetzen. Den Wahn, der ihn zu diesem krankhaft voyeuristischen Beruf hingezogen hat. Desgleichen hat er seine Rolle aufzugeben, Medium cartesianischer Normvorstellungen* zu sein. Denn wahrlich, der Klassenkampf bewegt sich heute in der Dimension kollektiver Fantasmen.

* cartesianische Normvorstellung: Betonung auf Norm, wie "normal" im Unterschied zu "verrückt". Die Kopflanger täten besser daran, sich nicht auf René Descartes (latinisiert Cartesius, 17. Jahrhundert) zu berufen, wenn sie einen Unterschied zwischen "normal" und "verrückt" festschreiben wollen. Daß jedes "Ich denke" verrückt ist: eben dies führt zum selbstkritisch-kritischen "unerschütterlichen Fundament" (fundamentum inconcussum) des zu Lebzeiten eben deshalb politisch verfolgten, von Kerkerhaft und Mordanschlägen bedrohten "Irrlehrers" Descartes.

Die ganzen antipsychiatrischen Attitüden, gleichgültig welcher Spielart auch immer sie sich zurechnen, sind, soweit sie außerhalb dieser radikalen Subjektivität lokalisiert sind, opportunistischer Liberalismus und nichts außerdem.

"In revolutionären Kollektiven ist der Liberalismus extrem schädlich. Ein Rost, der die Einigkeit zerfrißt, die Bande der Solidarität löst, Passivität erzeugt und Meinungsverschiedenheiten einführt (...). Sie (die Liberalen) habe keine Lust, ihren Liberalismus durch Marxismus zu ersetzen. Sie haben sich Vorräte vom einen, wie vom anderen zugelegt: Sie reden vom Marxismus, aber den Liberalismus praktizieren sie; sie wenden ersteren auf letzteren an; letzeren auf sich selbst. Sie haben diese beiden Waren und machen von jeder fallweise Gebrauch" ("Gegen den Liberalismus", Mao Tsetung).

Nicht zufällig sind die liberalen Ausläufer unserer Drugstores* in die antipsychiatrischen Erzeugnisse seit Mai ´68 eingebettet. Die Antipsychiatrie ihrerseits ist eine bourgeoise Rückeroberungsstrategie mit der Bestimmung, Verwirrung zu stiften und dergestalt die abweichenden Intellektuellen und andere "Psychopathen" so weit zu bringen, zwischen Freund und Feind nicht mehr unterscheiden zu können.

*drugstores: Trödelläden. Der Autor spielt hier auf gewisse Strömungen bei Drogenabhängigen, Spontis, Freaks, Gammlern usw., d.h. auf die Verfallsformen antiautoritären Widerstands der sechziger Jahre an, die sich unter dem Diktat kapitalistischer Marktmechanismen so bereitwillig wie bewußtlos den Gesetzen serieller Ohnmacht (siehe Sartre "Kritik der dialektischen Vernunft", 1967) unterwerfen. Einer der vielen ideologischen Reflexe (Fantasmen rund um den Kristallisationspunkt Ware) ist die Antipsychiatrie. Das Instrumentarium der Rückeroberungsstrategen, das sich vor allem gegen Jugendliche richtet, reicht von Drugstore-Unterhaltungssendungen im Rundfunk bis zur "Hafterleichterung" im Strafvollzug, wenn der Gefangene sich unter dem Vorzeichen "soziale Gymnastik" (Gruppendynamik, Psychologie, Gestalttherapie, Anti-Psychiatrie usw.) PSYCHIATRISIEREN läßt. Er kommt dann beim nächsten Mal eventuell über den Psychiater vom Amt ohne Gerichtsverhandlung gleich in die Klapsmühle.

Es steht Antipsychiatrie jeder Art und für jeden Geschmack bereit; aber ein spezifischer Teilaspekt ist ihnen allen gemeinsam. Dies Wesentliche nämlich, in letzter Instanz und koste es, was es wolle, das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Arzt und Patient, Gesundem und Krankem, aufrecht zu halten.

Und so sind wir, die "rasenden Narren" baß erstaunt darüber, daß wir noch nie einen Psychiater und einen Antipsychiater sich haben neutralisieren sehen, wo doch diese Negation, betrachtet man sich nur einmal daraufhin Materie und Antimaterie, für uns zum schlechterdings Alltäglichsten gehört ...

Nun denn, falls der Wahn das ist, als was ihn Deleuze und Guattari* (allzu?) verführerisch ausgeben "unbewußte Umzingelung durch einen gesellschaftlich historischen Bereich", dann gehen wir, die rasenden Narren, demütig die Antipsychiater und die progressiven Psychiater um Rat fragen und lassen sie an unserer Perplexheit teilnehmen.

*Gilles Deleuze, Félix Guattari: Namen von Charaktermasken der Psychiatrie, die sich von manchen Antipsychiatern (s.o.) durch ihren Glauben an die Ewigkeit der Krankheit, sogar bezogen auf sog. Geisteskrankheit "unterscheiden". (die geschichtsmaterialistische Kritik des wirtschaftlich bedingten Kategorialhorizonts jeder sonstigen Wissenschaft, einschließlich der Naturwissenschaften, nachzulesen u.a. bei Alfred Sohn-Rethel, in "Geistige und körperliche Arbeit", Suhrkamp Verlag 1973, macht ihre Grundthese a priori undiskutabel.)

Ziehen wir diese Schwachsinnsakrobaten oder Vergeßlichen zur Verantwortung:

Derart unbewußte Demagogen ZU SEIN, daß sie sich nicht einmal darüber Rechenschaft geben können, daß ihr Kampf IMMER partiell ist; bei vollem Bewußtsein wahnhaft vergessen ZU HABEN, was es mit der Unterdrückung von Großpapa Descartes auf sich hat (der Schizo, das ist Großväterchen, vgl Guattari)*.

* Schizo: steht hier mit "Schizophrenie", "Großpapa", "Guattari" zusammen als Hinweis auf nachtträumerisch-fantasmatische Archaismen (näheres bei Ernst Bloch "Das Prinzip Hoffnung", Bd. 1)

Gegebenfalls, wenn´s anders nicht geht, gestehen wir ihnen als Entschuldigung FÜR DEN AUGENBLICK zu, im Besitz eines schlecht vom Zaumzeug der Schuld befreiten Unterbewußtseins zu sein, das sie gezwungen sind, sich unter dem Siegel ihrer libertären Verruchtheit anzulegen, um Arzt-Patient-Verhältnis und antiautoritäres Prinzip zu vermählen.

Dies Buch ist der Beginn einer Commune der Verrückten, deren Keime sich derzeit in der "bahnbrechenden" Irrenanstalt Vinatier bei Bron-Lyon absetzen. Dort, wo ein Assistent seine Stelle verloren hat. Ein Disziplinargericht hat ihn ausradiert. Wenn es nun schon einmal soweit ist, daß die Behörden Psychiater für Psychiater nötig haben, wird es wohl erlaubt sein anzunehmen, daß der Sieg nicht mehr fern ist.

 

Für eine Internationale der rasenden Narren

Es ist kein Zufall, daß Gruppen aus verschiedenen Nationen sich seit dem Prozeß gegen das SPK in Heidelberg getroffen haben. Jede dieser Gruppen hat auf ihre Art, aber mit Krankheit als zentralem Bezugspunkt, die theoretische und praktische Kritik des kapitalistischen Systems aufgenommen.

Es ist kein Zufall, wenn revolutionäre Kräfte auf dem Feld des Gesundheitswesens in Bewegung kommen, auf einem Feld, das von Grüppchen und Parteien, die sich dem Marxismus-Leninismus, dem Maoismus und dem Gewerkschaftswesen zugehörig fühlen, bestenfalls als Tummelplatz für Randgruppenstrategien abgetan wird.

Es ist kein Zufall, wenn man überall in den sogenannten "zivilisierten" Ländern Existenzkämpfe ausbrechen sieht, so die wilden Streiks, die den Rahmen der Forderungen nach Lohnerhöhung überschreiten, sporadische Erhebungen von Banden Jugendlicher aus der Arbeiterklasse, Gefangenenaufstände, Gehorsamsverweigerung im Militär, Desertationen, Meutereien im Heer, Mietstreiks, Häuserbesetzungen, Schülerbewegungen, Bewegungen zur Frauenbefreiung, revolutionäre Internationale der Homosexuellen usw.

Diese Kämpfe sind Teil einer unbezwingbaren Bewegung. Was sie alle gemeinsam haben ist, daß sie die Unterdrückung im Alltag angreifen. Allein schon die Existenz dieser Bewegungen ist die mit Händen zu greifende Verurteilung der althergebrachten Formeln der Opposition, die allesamt ihre Wirklungslosigkeit bewiesen haben, wo nicht gar allzu oft ihre komplette Kehrtwendung hin zur Beteiligung an der Herrschaft des Bestehenden.

Die unaufhebbare Unzufriedenheit pflanzt sich fort und höhlt das Machwerk Überflußgesellschaft aus. In dem Maß, wie diese Existenzkämpfe sich immer mehr auf Grundsätzliches beziehen, sich radikalisieren, finden sie ihre Sprache und münden in eine allumfassende Forderung aus. Der Revolutionskampf wird heute an allen Fronten geführt.

Und es ist kein Zufall, wenn diese aus der Enteignung des Alltags aufsteigenden Kämpfe Kenntnis vom Mangel nehmen, das heißt von der körperlichen und psychischen Verelendung als einziger Möglichkeit, in der kapitalistischen Gesellschaft zu überleben. Die Medizin des Kapitals redet dann von Krankheit. Aber wir sagen, daß die Krankheit nichts ist, als die Bezeichnung für Ausbeutung und Wiederkehr des Mangels, und dies ist kein Zufall mehr.

Die Theorie des SPK faßt diese Erscheinung in folgender Formel zusammen: Krankheit ist Voraussetzung und Resultat des kapitalistischen Produktionsprozesses.

Die Psychiatrie und ihre spätkapitalistische Form Antipsychiatrie sind die letzte Antwort der Bourgeoisie auf dieses Bemerken des Mangels, dessen Bedeutung, nicht anders als seine Tragweite ihr unbegreiflich bleibt.

All diese Bewegungen sind eine Antwort auf die Fortentwicklung des Monopolkapitalismus und auf die aktuellen Formen der Ausbeutung. Der Ausplünderung der Dritten Welt entspricht im Innern der kapitalistischen Länder ihrerseits die verstärkte Anpassung aller Bereiche des menschlichen Lebens an die neuen Gesetzmäßigkeiten dieses Monopolkapitalismus. Das heißt: dieser Monopolkapitalismus ist auf absolute Rationalisierung angewiesen.

Diese Mußvorschriften manifestieren sich durch die Vertiefung der Ausbeutung und die fieberhafte Suche nach neuen Märkten. Bei all dem werden die Frustrationen und Enttäuschungen, wie sie schon in Familie und Schule begonnen haben und durch eine Verunsicherung, die nie zum Stillstand gekommen ist fortgesetzt wurde, fortgesetzt wurde auch durch das Gleichgewicht des Terrors mit Drohungen, Einrichtung und Kontrolle der Freizeit, diese Frustrationen und Enttäuschungen werden in den Kernbereich des Ausplünderungsverhältnisses verrückt.

Diese Imperative und Gebote mit Zwangscharakter fordern auch die Rationalisierung des überlieferten Ordnungsgefüges: Gemeinsamer Markt, in dessen Konsequenz die Grenzen fallen, die Kleinhändler zu Gunsten der großen Verkaufsketten unterdrückt werden, endgültiger Untergang der kleinen und mittleren Unternehmen, Verwüstung des landwirtschaftlichen Sektors, Umbrüche im Erziehungswesen, Siebereien im Schulwesen, den Staatsgymnasien, der Justiz, modernes Leben in der Stadt und sozialpsychiatrischem Sektor.

Die Bereiche, die nicht unmittelbar rentabel waren, wie beispielsweise Asyle, wurden dessenungeachtet nach Maßgabe ihrer Rentabilität veranschlagt. Große Industrieunternehmen richteten auch dort Zweigbetriebe ihrer Werkstätten ein.

Dies alles im Rahmen der Arbeitstherapie. Damit auch noch die allerletzten Restbestände an Arbeitskraft von Patienten ausgebeutet werden.

In dem Maß, in dem die Krankheit zum "Normalzustand" wird, werden die Landeskrankenhäuser, Asyle, Klapsmühlen und dergleichen in Industriebetriebe verwandelt und die Fabriken werden psychiatrisiert. So wird die systematische Austeilung von Tranquilizern und dergleichen Gefühlsbremsern an die Arbeiter immer mehr sozusagen gängige Münze. Diese Gefühlsbremsen sollen die Schwelle, bis zu der man die Arbeitsbedingungen ertragen kann, noch ein Stück weiter anheben und die Aggressionen dämpfen, zu denen diese Arbeitsbedingungen führen.

Die durch Regierungsgesetze verordnete generalstabsmäßige Ausbreitung der Psychiatrie auf die Wohnbezirke, eine generalstabsmäßige Unterteilung dieser Stadtbezirke in Sektoren, die den jeweiligen Polizeirevieren übergestülpt werden, zielt darauf ab, gleichsam experimentell-labormäßig zu erforschen, wie im einzelnen eine Gesellschaft von psychiatrisch kontrollierten Freizeitverbrauchern machbar ist. Es handelt sich dabei um die letzte Ausgestaltung einer Hygiene für Heim und Herd, die unter polizeilichem Vorzeichen für Humanismus steht. Kleine Unebenheiten und Mängel, die sich aus der so gearteten Verflechtung von Psychiatrie und Polizei ergeben, werden schon bald durch die Wendigkeit fliegender Spezialkommandos ausgeglichen sein (Social Intervention Team, Holland; Schizo-Analyse, Frankreich). Diese Maßnahmen dringen Hand in Hand mit monopolisierten Informationen (Fernsehen - Radio) und mit dem Polizeinetz des totalen Staats in der modernen Verstädterung in die Massen ein.

Im Blick auf die Automatisation ist für heutige Verhältnisse anzunehmen, daß die Ausbeutung der Muskelkraft Schritt für Schritt zu Gunsten der Ausbeutung des Nervensystems an Notwendigkeit und Bedeutung verlieren wird. Die Durchhaltekraft wird immer mehr zur Sache der Nerven – um nicht zu sagen der Psyche – und nicht des Körpers überhaupt. Die gesetztlich geregelte Dauer des Arbeitstags soll dadurch erhalten bleiben, während unter der Hand die Ausbeutung durch Raffen der Arbeitsabschnitte, die Kontrolle der für die jeweilige Produktion erforderlichen Handgriffe mit der Stoppuhr, verstärkt wird.

Diese Ausbeutung der Nervenkraft setzt sich auf der Ebene der Zeit und der Transportbedingungen fort, seien sie nun individuell oder kollektiv (Verkehrsstockungen, überfüllte Busse, Metros während des Stoßbetriebs, Vorortzüge, Lärm, Gedränge, etc.). Dabei ist an den Energieaufwand, ist an die Erniedrigungen und an die totgeschlagene Zeit, die der Einzelne erbringen muß, noch nicht einmal gedacht, an all die gleichsam polizeimäßigen Vorschriften, die als der Situation angemessen eingestuft sind. In dergleichen Vorschriften ist das ganze Leben in all seinen Bereichen in Form von Papieren, Erlassen, endlosen Schlangen an Schaltern von Ämtern in Regeln gefaßt, die man einhalten muß, wenn man haben will, was einem "nach dem Gesetz" zusteht (Sozialversicherung, Kindergeld, Arbeitslosenunterstützung usw.).

Die Ausbeutung der Nervenkraft tritt übergangslos in ihrer Hohlform in Erscheinung, achtet man nur einmal auf die gleichförmig und sich unaufhörlich wiederholenden geometrischen Formen der Zement- und Betonwohnklötze in Stahl und Glas, zum Standard erhobene Langeweile, in der die einzige Abwechselung vom unterschiedlichen Marktwert der verschiedenen Materialien herrührt, der sich in dem spiegelt, was man für "Abwechslung" halten könnte. Alles ist dabei so geplant und angeordnet, daß nichts läuft. Alles ist dabei so vorgeplant und angeordnet, daß das Fehlen gesellschaftlichen Lebens, wie es der Apparat jedem einimpft, eine höllische wechselseitige Kontrolle ins Spiel bringt, in der jeder, nach Maßgabe dessen, was die Leute zu meinen und zu denken und zu tun gezwungen werden, sich und den anderen beobachtet, ob er auch ja aus dem kleinkarierten Rahmen fällt*. Die einzige noch erlaubte und noch mögliche Unterscheidungsmöglichkeit ist der Preis, sei es derjenige vom Spielzeugauto der Kinder, sei es derjenige von anderweitigen Zeichen des Reichtums jenseits von Kredit- und Glaubwürdigkeit.

* ... kleinkarierten Rahmen fällt: dem kleinkarierten Rahmen derer, die Verhaltensregeln überwachen, geht es um die Störer, nicht um die Anpasser (vgl. Arno Plack u.a.). Ausdrucksformen: Sozialprestige (Angeberei) im Wohnbereich,Tätowierungen im Knast, Beiwohngemeinschaften im sog. linken Lager, dasselbe in grün: Beckmessereien im Tausch- und Täuschverkehr usw.

Die Primärausbeutung, aus der die Ware hervorgeht, bringt gleichzeitig auch die Enttäuschung und Frustration hervor. Und zwar diese ebenfalls als Ware. Es pfropft sich also auf sie ein neuer Markt auf, indem nämlich diese Frustration zu einem neuen Investitions- und Spekulationsfeld einer Traum- und Bedürfnisindustrie wird. Sie wird zur Geburtsstätte eines ins Ungeheure aufgeblähten "Tertiärsektors", der den ganzen Sektor der Wiederherstellung und Erholung der Arbeitskraft in tauschgesellschaftsfähige Warenform bringt und verwaltet. Direkter Abfall dieser Freizeitindustrie sind beispielsweise die Verbreitung und Mythologisierung der Freizeitzivilisation. Die fehlende Befriedigung und Frustrierung der einfachsten Bedürfnisse als Voraussetzung und Resultat des Warenkreislaufs in Herstellung und Verbrauch, bringt auf diese Weise den verängstigten Konsumenten hervor, dem man alles weis machen kann, dem man die einfachsten und elementarsten Wünsche verfälscht, atomisiert und in Stücke hackt. Dieser ewige Warenkreislauf bringt auch das gespensterhaft geschichtslose Vexierbild dieser Wünsche in immer gleicher Wiederholung hervor. Alles, was immer der Verbraucher konsumiert, ist sich darin gleich, daß es ihn hungriger und unbefriedigter zurückläßt als er vor dem "Genuß" war. Und daher kommt der bekannte Teufelskreis süchtigen Superkonsums.

In diesen Zusammenhang gehört auch der Gewinn, den das System aus der Hemmung und graduellen Zerstörung der Sexualität im Einzelnen und bei allen, längs der geschichtlichen Entwicklung zieht, ein Verbot, aus dem die Unterdrückung der Bedürfnisse, Wünsche, Wachträume, Fantasien und Vorstellungen in ihrer Gesamtheit aufsteigt, ein Gesamt das, wäre es nicht Kummerform, die Tendenz in sich trüge, aktiv und bewußt die Geschichte umzugestalten, das heißt, die Schranken setzenden Zwänge von Natur und Gesellschaft niederzureißen.

Dem von Verbrauchsgütern überfließenden Markt entspricht an allen Ecken und Enden ein weitgepanntes Netz der Reklame, bei der es sich um nichts anderes handelt, als um ein wirkliches Werkzeug politischer Propaganda, gesättigt mit dem Giftkeim der Gewaltideologie, die nur den einen Zweck verfolgt, ein Verhalten des Wettbewerbs und der schaustellerhaften Konkurrenz nach dem Zuschnitt der letzten Mode zu fördern. Die käuflich erworbene Ware schafft nach Form und Substanz neue Weisen kulturellen Verhaltens, die zur Grundlage der Herstellung neuer käuflicher Waren werden, denen ihrerseits wieder neue versteinerte Formen und Stereotype sogenannter Kultur entsprechen. Dieses seriell-seriöse Nacheinander führt so ganz nebenbei das Raffinement von Bespitzelung und Kontrolle jenseits all dessen, was auch nur möglicher Gegenstand dessen werden kann, was man weiß, dem Höhepunkt seiner Vollendung entgegen.

Die öffentliche Meinung in ihrer so amtlichen, wie veröffentlichten Form stellt die Gebrauchsanweisung, das Kochbuch sozusagen, für jede Kleinigkeit im Alltag bereit. Sie zwingt uns ihr Verhaltensmodell bis in die innersten Eingeweide und all unsere sonstigen Innereien auf. Das filmechte Ficken nicht anders als die Gewaltausbrüche am leinwandsparenden Leitfaden vorfabrizierter Gewaltdarstellungen in Farbe wie Fahllicht sind Ausdrucksformen derselben kapitalistischen Krankheit im Medium der Massen.

Die bildhafte Darstellung ist zu einer Art Universal-Dietrich geworden, mit dem der brave Bürger entschlüsselt, was heutzutage die Art des feinen Mannes ist, die sich sehen lassen kann. Und das Schloß, das er wie ein Eingeborener aus der Kolonialzeit bestaunt, ist das Mittelklassenideal des american way of life.

Die teilweise Anwendung der Technik oder, genauer ausgedrückt, die des sozial-ökonomischen Zusammenhangs, der die Tätigkeit des Menschen bestimmt, hat bis heute die Bedingungen, die zu Leiden und Tod führen, quantitativ vermindert. Aber gleichzeitig ist der Tod, vergleichbar einer unheilbaren Krankheit zur Dauereinrichtung im Leben eines jeden geworden.

Im selben Maß, in dem die Mittel der Technik die naturgegebene Entfremdung (Epidemien, Hungerkrisen) zum Verschwinden gebracht haben, hat diese Technik, deren Bestimmung es war, die Natur zu überwinden, einen Funktionswandel unter dem Zwang der Profitmaximierung erfahren und ist im Zug der steigenden Anhäufung und Konzentrierung des Kapitals zum krankheitserregenden Faktor geworden. Aber die raffende Realität dieser Produktion, weit davon entfernt, je zwischen Nutzen und Nachteil entscheiden zu können und tatsächlich unfähig, ihre eigenen wahren Möglichkeiten erkennen zu können, von denen sie vielmehr überhaupt nichts erkennen will, diese raffende Realität hat es nie geschafft, sich in Vergessenheit zu bringen. Und neuerdings kommt sie in Gestalt der Umweltzerstörung zum Vorschein.

Die Umweltverschmutzung ist also ein vordergründiges Übel bourgeoisen Denkens.

Es handelt sich um das höchste Stadium substanzgewordener Ideologie bei dem ganzen Umweltdreck, um die wirklich in Giftform erfolgende Preisgabe der Ware und um den wirklich erbärmlichen Abfall, der nichts anderes ist, als diese Prunk-und-Protzgesellschaft selbst, die sich einmal eingebildet hat, im Wohlstand zu glänzen.

Umweltverschmutzung und Proletariat sind heute die beiden zusammengehörigen und mit Händen zu greifenden Eckpfeiler der Kritik der politischen Ökonomie.

Krankheit ist der kritische Schnittpunkt, in dem Proletariat und Umweltzerstörung in eins gesetzt werden.

Und so kommt es, daß das Proletariat im eigenen Fleisch und Blut die Umweltverschmutzung erfährt, wie sie sich in der Entwicklung der Symptomatologie unbestimmter Sorge und Angst Ausdruck schafft, die kein ärztlicher Fachmann richtig diagnostizieren kann, weil sie schlechterdings nicht anders greifbar, schlechterdings nicht anders begreiflich zu machen ist, als in Kategorien der politischen Ökonomie. Das Kapital verteilt die Lebensdauer nicht anders, als es alle anderen Vorrechte auch verteilt und die Analogie zwischen dem Preis der Ware Arbeitskraft und dem Wert des sie tragenden Lebens ist keine Sache der bürgerlichen Logik. Sie ist blutige, um nicht zu sagen dialektische Wahrheit und Wirklichkeit. Es gehört denn auch zur Wahrheit dieser Analogie, daß der Faktor Ver-alten (kalkulierter und in das Erzeugnis eingebauter Verschleiß, in der Absicht baldmöglichst zum Erwerb eines neuen Erzeugnisses zu zwingen, wenn das alte kaputt gegangen oder unmodern geworden ist), daß dieser Faktor Ver-alten mit zwingender Notwendigkeit auf die Ware Proletariat übertragbar ist, weil er durch die herrschenden Verhältnisse ständig auf die Ware Proletariat angewendet wird.

Dies alles, um dem Kapital im Allgemeinen noch größere Profite zu garantieren, dem Kapital, das das Menschenmaterial abrichtet und auf Eis legt, das Menschenmaterial, dessen Arbeitskraft es nicht ausbeuten kann, sei es, daß diese Arbeitskraft bis auf Hülle und Hülse ausgesaugt ist, sei es, daß sie sich weigert, sich zu verkaufen, nicht anders ausbeuten kann als dadurch, daß das Kapital sich das Recht vorbehält, diese Ware Arbeitskraft je nach Marktlage zu reparieren oder zu liquidieren. Das Kapital macht im Überfluß vom Verschleiß Gebrauch, den es bei der Schaffung neuer Märkte für die medizinische, chirurgische und Arzneimittelindustrie unmittelbar mitgeschaffen hat, wobei es sich gerade bei letzterem um einen handelt, der den Höhepunkt seiner Entwicklung noch längst nicht erreicht hat (Spitzenelektronik*, chemische Industrie).

* Spitzenelektronik: dabei handelt es sich, um nur ein Beispiel aus der Politik zu nennen, auch um das Zubehör moderner Isolationsfolterzellen, das in Form der Diathermie Möglichkeiten gezielter, der Wahrnehmung des Betroffenen verdeckter Hirnchirugie bereitstellt.

All dies zum größten Gewinn der Lumpen des Systems, insbesondere der Ärzte, Psychiater und Antipsychiater, die für dieses System Arzneien verbrauchen lassen und Propagandaparolen unter der Maske ärztlicher oder psychiatrischer Information und in der Fachliteratur ausgeben.

Und so finden sie sich wieder, der Patient und der Sozialarbeiter, und zwar gänzlich eingefügt in den Kreislauf von Herstellung und Verbrauch, wobei der Patient darüberhinaus auch noch Versuchskaninchen wird, besonders im Bereich von Landeskrankenhaus und Sozialpsychiatrie. Sein Symptom wird ausbeutbares Produkt, wie seine Arbeitskraft in der Fabrik. Blut, Körpersubstanz und Urin werden ihm abgenommen und verarbeitet zwecks Gewinnung von Mehrwert.

Die Entwicklung psychotroper Substanzen auf der Grundlage von LSD und dergleichen, eine Entwicklung, die nicht zufällig mit der Entwicklung von sektorialer - sozialer - psychohygienischer - poliklinischer - ambulanter - amuraler* und beratender Psychiatrie, wie überhaupt mit der Entwicklung all dessen, was sich neuerdings unter dem Vorzeichen, für "Seelische Gesundheit"da zu sein, breit macht (vgl. auch: Zentralinstitut für seelische Gesundheit, Mannheim) – diese psychotropen Substanzen verwirklichen endlich den Traum der kapitalistischen Gesellschaft, nunmehr die alles steuernde Substanz in Händen zu halten, die zugleich und in der Auswirkung die Ware ist, ihr Produktionsverhältnis und Kontrolleur.

* amural: einer der vielen Verschleierungsausdrücke, dessen sich der Terror in Weiß bedient. Sinn in wörtlicher Verdeutschung: Mauern überwindende Psychiatrie. Gemeint können nur die Mauern der Heimstätte von Patienten sein: die Mauern der Klapsmühle müssen als Vor-wände herhalten.

Die Trennmarke zwischen Verstand und Verrücktheit, Aufrichtigkeit und Verbrechertum ist der letzte Angelhaken der Ideologie, den die Bourgeoisie voller Verzweiflung auswirft, um Proletarier, soweit es ihr gelungen ist, sie ihren Interessen gleichzuschalten, zu sich herüber zu ziehen. Diese Demarkationslinie soll dazu gut sein, jede praktische Kritik zu entschärfen, sie für das System zurückzugewinnen und zu isolieren. Dasselbe gilt für jede der sogenannten abweichenden Handlungen, die sofort in psychiatrischen und juristischen Kategorien dingfest gemacht werden (schwererziehbare Kinder, abnorme Persönlichkeiten, Psychopathen, Schizophrene, Verbrecher).

In der Krankheit kommt das gebrochene Leben zum Ausdruck und die Unfähigkeit, in dieser Gesellschaft zu leben. Indem der Tod sich in das Leben eines jeden wie eine unheilbare Krankheit als Dauereinrichtung einnistet, ist der Unterschied zwischen gesund und krank nichts weiter mehr als eben der Unterschied, den nur ein aus seinem Zentrum herausgefallenes verrücktes Denken machen kann. Ein ganz im Magischen befangenes Denken vom Kaliber und der Qualität der Götzendiener und anderer "Fetischisten". Denn vom Unterscheidungsmerkmal "Gesundheit" ist inhaltlich nichts geblieben, es sei denn ein Wort zur Umschreibung für Resignation und Anpassung.

Die Geisteskrankheit gibt es nicht. Sie ist ein bequemer Ausdruck, um diejenigen aufs Abstellgleis zu verfrachten und ins Abseits zu stellen, bei denen es sich um Betriebsunfälle im Rahmen der von jedem erzwungenen Identifikation mit dem herrschenden System handelt. Man findet darunter sowohl Extremisten als auch Rollenfanatiker. Man findet da aber auch jene, die für jede an sie gestellte Forderung, eine Rolle zu spielen nur Hohn und Spott übrig haben und die Rollenverweigerer überhaupt. Die ihnen zugefügte Isolation ist das Merkmal, das dazu dient, sie auf immer zu verdammen.

Mit der Krämergesellschaft und dem Finanzkapital ist der Rationalismus aufgekommen. Wenn er das dialektische Denken, mit dem er gleichen Ursprungs ist, schon bald völlig in den Hintergrund gedrängt hat, dann deshalb, weil das alleinige Feld, auf dem der Rationalismus etwas kapieren kann, das Feld der abstrakten Räumlichkeit ist. Die Domäne der Dialektik hingegen ist die konkrete Raum-Zeitlichkeit. Der Rationalismus, als ein geschwächtes Denken im Umkreis steriler Krämermentalität, wurde von den Philosophen des aufgehenden Kapitalismus endgültg jedem Denken eingeimpft. Das hat seinen Grund darin, daß der abstrakte Raum genau die zum Kapital passende Hohlform abgibt – denn beide sind völlig undialektisch – . Das Wesensmerkmal der Hohlform abstrakte Räumlichkeit nicht anders als das Wesensmerkmal der Kapitalbewegung ist die Quantität, wie überhaupt alles, was zählbar ist und sich darin erschöpft, zählbar zu sein. Und es hat sich schnell gezeigt, daß diese Zählerei in Ausschließlichkeit die "Bewegungen" des Kapitals vollendet zu bestimmen und zu erfassen geeignet war. Das Kapital seinerseits hatte und hat demzufolge allein Grund, sich für zeitlos ewig zu halten, denn es gehört ja zu den grundlegenden Voraussetzungen von Krämerkapital und zugehöriger Krämerphilosophie (Rationalismus) von Zeit und damit Veränderungen abzusehen, und sich den wahren Grund dieser Absicht nicht anmerken zu lassen. Nichts anderes steckt hinter der berühmten Reduktion der Zeit auf den Raum.

Ganz im Gegensatz zu diesem Krämerrationalismus in all seinen scientistischen, positivistischen, empiristischen Spielarten ist dialektisches Denken Sache des Kommunismus, dessen Feld dasjenige der Raum-Zeitlichkeit ist – denn bei Zeit handelt es sich um eine durch und durch dialektische Dimension, den anschaulichen Begriff als Elementarbewegung – , und sein Merkmal ist die Qualität (also nicht die Geldzähl- und Pillendrehbewegung, sondern die Übersetzung des Wesens in Erscheinung). Und daher die Rede vom dialektischen Sprung der Quantität in die Qualität bei der Revolution. Von daher zeigt sich in aller Deutlichkeit, daß in dem Maß, in dem die tatsächliche "Bewegung" des Kapitalismus den Wert seines wirklichen Inhalts entleert, auch der ganze rationalistische Entwurf bis zur völligen Substanzlosigkeit ausgehöhlt wird. Hierin und nirgends sonst liegt der Grund für die so oft bejammerte "Aushöhlung der sittlichen Werte überhaupt". Handelt es sich doch eindeutig um eine Aushöhlung der kapitalistischen Gesellschaft selbst und aus eigenen Mitteln dieser kapitalistischen Gesellschaft und zwar im genau marxistischen Sinn der Wortbedeutung Aushöhlung, Zusammenbruch usw. Diese Entwicklung erklärt unter anderen Phänomenen die ungeheure Entwicklung und den ungeheuren zahlenmäßigen Anstieg der "Geisteskrankheiten", bei denen es sich um nichts, als um die mit händen zu greifende Kritik des saft- und kraftlosen kapitalistischen Rationalismus handelt und die durch nichts gerechtfertigten und erklärbaren Schranken, die er in freier Willkür setzt. Vom Standpunkt des Kapitalismus aus wird das Denken im künftigen Kommunismus als unverständig, irrational erscheinen und die kommunistische Gesellschaft der Unverständigen, Nicht-Rationalen, der Verrückten und Narren. Es ist denn auch alles andere als übertrieben und es ist vielmehr völlig wahr, wenn einer sagt, daß alles Verständige konterrevolutionär ist und sich entsprechend verhält.

Es kann nicht unsere Absicht sein, an dieser Stelle alle krepierten Hunde auf den Tisch zu legen. Was hier noch folgt, sind einige grundlegende, banale Selbstverständlichkeiten und Alltäglichkeiten, wie sie sich seit Mai ´68 endgültig und ein für allemal bestätigt haben und zugegeben werden.

Man komme uns nur ja nicht mit der verbürgerlichten Arbeiterklasse und mit dem Verschwundensein des Proletariats. Das Proletariat sind wir. Wir sind es, die vom Klassenkampf reden, und wir sind es, die aus eigener Erfahrung wissen, was das ist. Denn wir haben den Klassenkampf direkt und unmittelbar im Alltag erfahren, und zwar als Arbeiter, als Jugendliche, als Homosexuelle, als Frauen, als Obdachlose, als Kinder, als Heterosexuelle, als Kranke, als Schüler, als Familienmütter, als Verknastete, als Fabrikarbeiter ... als Vereinzelte.

Der Proletarier heute ist der, dessen Leben fremdbestimmt ist und der das weiß.

Jede Produktion ist der Ausplünderung unterworfen und alles, was wir tun, ist Produktion.

Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen existiert in allen Lebensbereichen, in jedem Augenblick, überall um uns herum und in uns drin. Wir erkennen sie sogar in unserem Inneren, sobald wir uns des Bullen bewußt werden, den sie uns in den Kopf gesetzt haben. Um ihn da heraus zu schmeißen, müssen wir alle uns entgegenstehenden, alle Bullen uns gegenüber überwinden. Die staatlich geprüften und die anderen.

Die Front geht nur aus dem Kampf hervor, und nur der Kampf kann die Trennwand errichten, von der aus deutlich wird, wer vor und wer hinter der Barrikade steht.

Wir sprechen jedem, wer immer er sei, das Recht ab zu "heilen". Wir machen aus unserer Krankheit eine Waffe. Denn die einzige Möglichkeit, sich der Gallensteine, dieser versteinerten, galligen Rechenpfennige zu entledigen, besteht darin, von ihnen als einem Projektil Gebrauch zu machen.

In der Krankheit kommt ein Gewaltzusammenhang zum Vorschein. Es liegt in der Konsequenz dieser Tatsache, daß wir unsererseits uns all-überall weigern müssen, dem Problem anders zu Leibe zu rücken als in Begriffen der Gewalt und in der Organisierung von Gegengewalt.

Wir sind Patienten und wissen, was uns krank macht: die Ausplünderung des Menschen durch seinesgleichen, durch all jene Fachkräfte, die Ausbeutung behördlich regeln, durch alle Verbraucher und sonstigen Konsumenten, die sie gerichtlich bestätigen, durch all die Verhaltensweisen, die sie ständig neu hervorbringen, durch die ewigen Herrn und die ewigen Sklaven.

Wir spucken im Vorbeigehen den Psychiatern des Fortschritts, den Antipsychiatern und den Sozialarbeitern in die Fresse, diesen letzten Ladenhütern des christlichen Abendlandes mit der Aufgabe, die letzte Verwirrung auf der Ebene des Klassenkampfs zu stiften. Wir haben sie nicht vergessen, all die großen Wiedereingliederer vom Mai ´68, die Fachkräfte zur Behandlung von Abweichlern, die soweit gehen, DEM ANSCHEIN NACH die Vorrechte ihrer Klasse und alles, was ihnen Besitz garantiert zu opfern – diese Spezialisten vom Mythos der Entmystifizierung – , die aber bei all dem mit geradezu haarspalterischer Schläue vergessen, durch TATEN zu entmystifizieren.

Aus eigener Erfahrung wissen wir auch, daß das, was uns noch sicherer umbringt, alle die Gefolgsleute und Sympathisanten sind, die daherkommen und Verständnis heucheln, daherkommen und uns bis in unsere Behausung hinein beschützen wollen, all die, die auf uns als auf solche hoffen, die die Revolution für sie machen, und die dann ankommen und uns vorwerfen, daß sie, die Revolution, noch nicht gekommen ist, all das Rollenkriechvolk von Männern, Frauen, Pfarrern, Führern, Waisen, alten Mitkämpfern, all die, die Arbeitstherapie in Sachen Politik machen, die Gunstgewerbler der Vermarktung in Sachen "Revolution", die sich als Träger von Tauschwert feilbieten wollen.

Wir haben Funktions- und Organisationsarten ins Leben gerufen, die künftige Gestalten des revolutionären Prozesses antizipierend zum Aufleuchten bringen: Agitationsgruppen, die in der Lage sind, die Selbstregulierung aller Lebensbereiche vorwegzunehmen. Dies unter der Bedingung und für den Fall, daß diese Selbstregulierung von den Gruppen praktiziert wird, die konkret am Klassenkampf teilnehmen.

Wir machen die Erfahrung der Dialektik von Tausch- und Gebrauchswert, des Tauschwerts, der uns einem Netzwerk verdinglichter Beziehungen und Beziehungen des Wetteiferns um Dinge unterwirft, die sich nicht lohnen, die uns aber daran hindern, zum Gebrauchswert vorzudringen, dem Gebrauchswert, der kein anderes Ziel hat, als unsere wirklichen und wahren Bedürfnisse zu verwirklichen und dadurch das Netzwerk der kleinkrämerischen Warenverhältnisse zu zerreißen.

Wir wollen die Beziehung Objekt-Objekt in die Beziehung Subjekt-Subjekt verwandeln, um sich subjektiv als Objekt zu ergreifen und dadurch auch objektiv Subjekt zu werden.

Der totalisierte Gebrauchswert ist die Revolution als einziger Gebrauchswert der Zukunft.

Der Vereinzelung als Voraussetzung und Resultat des kapitalistischen Systems setzen wir die Mittel zu seiner Beendigung entgegen: die überlieferten Trennwände von Grund auf und radikal anzugreifen, wie die Rangordnung der Probleme, wie jedes Wertsystem, das diese Isolation begründet und stützt. Die Widersprüche überall auf die Spitze treiben, die Sabotagepraktiken verallgemeinern (Poliklinik für seelische Gesundheit) usw.

Wir kennen die strategische Bedeutung des Angriffs auf alle Einrichtungen, die der Vereinzelung dienen aus Erfahrung: Verrückheit-Verstand, Krankheit-Gesundheit, Spaß-Arbeit, Privatleben-Arbeitsstelle, Inneres-Äußeres.

Und wir werden diese Maßnahme verallgemeinern.

Wir haben beschlossen eine internationale Zeitschrift zu veröffentlichen, um dem internationalen Kapital, dem monopolistischen wie dem imperialistischen den Kampf autonomer Gruppen entgegen zu stellen, autonomer Gruppen, die im selben Bewußtsein verbunden sind, durch dieselbe Vorstellungskraft und durch dieselbe revolutionäre Identität. Dies fügt sich in unsere Taktik des multifokalen Expansionismus* ein. Jede Maßnahme des Spätkapitalismus sondert ihren eigenen Widerstreit ab. Wir sind die RASENDEN NARREN, ein Erzeugnis dieser Gesellschaft, das sie schlechterdings nicht mehr verdauen kann.

* multifokaler Expansionismus (MFE): cf. "SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen". Zur Phänomenologie des "Dritten" siehe auch "Kritk der dialektischen Vernunft", Jean-Paul Sartre, 1967.

Wir sind nicht-justiziabel, nicht-verurteilbar, nicht-psychiatrisierbar, nicht-wieder-eingliederbar, nicht zu vermarkten, nicht-amortisierbar ...

Wir sind gleichzeitig die geschichtlichen Produkte der kapitalistischen Vorgeschichte und der Sprengstoff, der die eigentliche Geschichte freisetzen wird.

Diese unsere Wesenseinheit rührt daher, daß unsere Explosivkraft aus einem weit gespannten Netz von Widersprüchen besteht, die totzukriegen ein Ding der Unmöglichkeit ist. Denn diese Explosivkraft läßt uns bald in der Art von Psychopathen, bald in der Art von Manikern, bald in der Art von Schizophrenen, bald als Paranoiker reagieren usw. Und es ist unmöglich, darüber im Voraus Bescheid zu wissen. Noch kein Psychiater hat es vermocht uns auszuspitzeln. Die "Symptome" der "Geisteskranken", die haben nicht wir. Aber ihn, den Psychiater können wir bis in seine Sprache hinein aus Leim und Fassung bringen. Sein Unterbewußtsein ist uns ein offenbares Geheimnis. Er weiß, daß wir sein Tod sind.

Wir sind der Faktor X, die große Unbekannte in der unermeßlichen Gleichung, in die uns die Agenten des Kapitals integrieren wollen. Kein Hellseher kann unsere Entwicklung weissagen, denn wir entziehen uns jeder Logik, weil wir die Logik sind.

Internationale der rasenden Narren, Heidelberg 1972  

SPK/PF(H), 17.10.2019