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6. Die Poliklinik im Dienst der herrschenden Wissenschaft
Die Psychiatrische Universitätspoliklinik Heidelberg hat in den letzten Jahren durch die Initiative einiger Ärzte eine Veränderung ihrer Aufgaben und ihrer Arbeitsweise erfahren bis zum Rausschmiß von ca. 60 Patienten und dem behandelnden Arzt im Februar 1970.* Diese Ärzte haben in ihrer täglichen Praxis erfahren, daß die herkömmliche Arbeitsweise der zunehmenden psychischen Massenverelendung weniger denn je gerecht werden kann. Die Hauptfunktion der Poliklinik war und ist die eines Umschlagplatzes, einer Verteilerstation für "Krankengut", verbunden mit ihrer Funktion als Ausbildungsstätte und Karriere-Etappe für Fachärzte. "Fälle", mit denen niedergelassene praktische Ärzte und Fachärzte nicht fertig werden, die sie aber auch nicht direkt in eine geschlossene "Heilanstalt" einweisen wollen, werden an die Poliklinik zur Untersuchung überwiesen und von dort aus weitergeleitet an die stationären Abteilungen der Hauptklinik oder – weil dort selten Betten für Kassenpatienten frei sind – eben in die geschlossenen Anstalten überwiesen. Behandlungen werden nur bei entsprechend qualifizierten Patienten durchgeführt. Diese Qualifikationen sind bestimmt durch das Interesse, das der behandelnde Arzt am Geldbeutel oder an der "wissenschaftlichen" Verwertbarkeit der Krankheit des Patienten hat. Die Auswahlkriterien für eine Psychotherapie orientieren sich am Lebensalter und am Bildungsstand des Patienten. Das geht so weit, daß Patienten über 35 Jahre oder ohne Abitur nicht in Behandlung genommen werden. Die Arbeit der Poliklinik ist also keineswegs an den Bedürfnissen der weit überwiegenden Zahl der Kranken orientiert, sondern an den Profit- und Karriereinteressen der wenigen Ärzte und dem streng hierarchischen System des sogenannten Gesundheitswesens. Diese Patientenfeindlichkeit ist nicht spezifisch für die Poliklinik, sondern ein Merkmal des gesamten "Gesundheits"apparats vom niedergelassenen Arzt bis zur Klapsmühle. In der Poliklinik als Selektionsrampe für die verschiedenen Institutionen dieses Apparats wird die Unmenschlichkeit dieses Systems brennpunktartig deutlich.
*Anmerkung von
SPK/PF(H) vom 24.01.1995:
Tatsächlich ging es um Folgendes: Rauswurf von 180 Patienten und ihrem Arzt, Dr.
med. Wolfgang Huber, aus der Psychiatrischen Poliklinik. Betretungsverbot für
die Klinik und No-go-Zone (Bannmeile) für 180 Patienten, die praktisch alle von
Huber behandelt wurden. Etwa 60 Patienten erfuhren von diesem Coup am
Wochenende. Die anderen wußten noch nichts von dem Schock (der schlechten
Nachricht). Rektor Rendtorff war von den Patienten über die bevorstehende
drohende Katastrophe informiert worden. Noch heute gibt er vor, von all dem erst
im Nachhinein erfahren zu haben.
7. Die Poliklinik im Dienst der Krankenversorgung
Diese Funktion der Poliklinik wurde deutlich für diejenigen, die bereit waren, sich dem Problem zu stellen, und die in den Forschungsaufgaben des Universitätsarztes die tendenzielle und praktische Patientenfeindlichkeit, die Verletzung des ärztlichen Gebots "primum nil nocere" ("vor allem nicht schaden"*) erkannten. Im Verlauf der Auseinandersetzungen der Patienten mit der Klinikhierarchie wurde aber auch klar, daß die Verantwortlichen keineswegs blind und unwissend dieser Problematik gegenüberstehen, sondern ohne weiteres bereit sind, Patienten auf dem Altar ihrer "Wissenschaft" zu opfern. So äußerte Oberarzt Blankenburg** mit Billigung des Klinikdirektors v. Baeyer im Februar 1970 Patienten gegenüber unumwunden: "Wissenschaft fordert eben ihre Opfer. Wenn Forschung und Krankenversorgung miteinander in Kollision geraten, so müssen eben auch mal Köpfe rollen". "Die Köpfe der Patienten in diesem Fall!", wurde von uns eingewandt und von den Herren kaltlächelnd hingenommen.
*
"Formel" aus dem Hippokratischen Eid ** Dr. med. Blankenburg – Oberarzt in der Psychiatrischen Universitätsklinik in HeidelbergDie Auseinandersetzung zwischen der Klinikleitung und einigen Ärzten, die sich nicht länger dem patientenfeindlichen Diktat ihrer Herren beugten, sondern die Bedürfnisse der Kranken zum Ausgangspunkt der Therapie machten, wurde von karrieresüchtigen "Kollegen" für deren egoistische Profitinteressen ausgenutzt. Die Ärzte aber, die sich für die Patienten und nicht für den Profit einsetzten, wurden gefeuert.
So wurde dem leitenden Arzt der Poliklinik im Mai 1969, Dr. Spazier, die bereits zugesagte Habilitationsmöglichkeit entzogen; Dr. Rauch*
wurde versetzt** und Dr. Huber schließlich im Februar 1970 samt Patienten gefeuert und mit Hausverbot für die Psychiatrische Klinik und Poliklinik belegt.*
Anmerkung von SPK/PF(H) 2016:
**Anmerkung von SPK/PF(H) 1997:
Ein anderer war Dr. Pfisterer.
Die Ärzte Pfisterer und Rauch waren dank der von Dr. Huber geführten
Verhandlungen gerettet worden, mit dem Ergebnis, dass sie einen Arbeitsplatz in
anderen Abteilungen der Klinik bekamen. Andernfalls hätten sie ihren
Arbeitsplatz verloren, das heißt, sie wären in der offenen Konfrontation
geblieben, in
der sie zugunsten der Patienten und von Dr. Huber Stellung bezogen hatten.
Die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient ist im herrschenden System nicht vorgesehen, vielmehr ist die Arzt-Patient-Beziehung bestimmt von der Distanz, der Mittelbarkeit. Der Arzt, der es gewohnt ist, seine Patienten als Fall, als Ding zu begreifen, muß lernen, Ausdrucksformen der kranken Bevölkerung nicht länger per Diagnose festzulegen, sondern als realitätsadäquate Lebensäußerung der Unterdrückten zu begreifen. Die Bildung eines proletarischen Bewußtseins als Voraussetzung und Instrument einer progressiven Therapie im Massenmaßstab ist nur möglich unter Preisgabe des Führungsanspruchs des Arztes als Person im therapeutischen Prozeß. Und dazu ist die Erkenntnis notwendig, daß das vermeintliche Subjekt Arzt selbst Objekt dieser Verhältnisse ist! Das Rüstzeug einer an den Bedürfnissen der Patienten orientierten Therapie erhält der Arzt nicht im Studium, nicht in Konferenzen, Seminaren, Tagungen, sondern nur in der täglichen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit der Patienten, dem Elend von Ausbeutung und Unterdrückung. Dieser Realität steht gegenüber ein selbstgerechtes System versteinerter Hierarchie in Gestalt des Gesundheitswesens, das zwangsweise von den Patienten durch Sozialabgaben und Steuern bezahlt wird.
Akademische Konferenzen mit Kollegen, die die Kranken nur unter dem Etikett der Diagnose kennen und behandeln, nützen nichts und finden auf Kosten der Wartezeit der Patienten statt. So war es denn auch das Fernbleiben von diesen zeitraubenden (die Zeit der Patienten) und ineffizienten, d.h. im Dienst der Selektionsfunktionen der Poliklinik stehenden Konferenzen, das zum Vorwand für die Entlassung Dr. Hubers genommen wurde. In Wirklichkeit aber wurde die therapeutische Arbeit mit den und für die Patienten zur praktischen Kritik an den Institutionen des Gesundheitsapparates und ihrer Krankheitsverwertung.
In den Universitätskliniken ist das Gesundheitswesen zumindest seiner möglichen Tendenz nach im progressiven Sinne sozialisiert. Somit besteht hier die Möglichkeit und damit für die Ärzte das Gebot, diese Privilegien der Bevölkerung (die sie schließlich bezahlt) zugänglich zu machen.
Die Universitätskliniken genießen gegenüber niedergelassenen Ärzten und kommunalen sowie staatlichen Krankenanstalten bestimmte Privilegien:
Die dort tätigen Ärzte sind nicht auf das Honorar oder die Krankenscheine der Patienten angewiesen; sie beziehen ein – wenn auch bescheidenes – Gehalt. Die Verwaltungsarbeit und die Ausrüstung mit ärztlichem Instrumentarium wird von der Klinikleitung besorgt.
Die Rezeptur ist frei, d.h. sie unterliegt nicht der Kontrolle und den Restriktionen durch die Krankenkassen bzw. kassenärztlichen Vereinigungen, denen sie bei niedergelassenen Ärzten unterworfen ist. Diese "Freiheit der Rezeptur" liegt in den Forschungsaufgaben einer Universitätsklinik begründet: Pharmakologische Forschung für die Profite der Arzneimittelindustrie wird staatlicherseits mit den Geldern der Patienten gefördert.
8. Die Selbstorganisierung der Patienten
Die Patienten waren nicht mehr so ohne weiteres bereit, sich schlimmer als Vieh verwalten, verschieben und abspeisen zu lassen. Sie forderten ihr Recht auf Therapie, sie begannen sich zu organisieren. So fand in der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg am 12.2.1970 die erste Patienten-Vollversammlung in der Geschichte der Medizin statt. Auf dieser Versammlung wurde der Rücktritt des neuen Poliklinikleiters, Dr. Kretz, gefordert, der seit seinem Amtsantritt im Oktober 1969 bereits die Auflösung mehrerer Therapiegruppen betrieben hatte; darunter eine Gruppe von älteren Patienten, die ihren Wohnsitz extra nach Heidelberg verlegt hatten, um an der für sie existenznotwendigen Behandlung teilzunehmen, die für sie an keinem anderen Ort möglich war. Weiter versuchte er die in der Poliklinik bis dahin tätigen Ärzte, insbesondere Dr. Huber, durch sein eigenes "Team" zu ersetzen. Eine statistische Untersuchung, die die Patienten im Wartezimmer der Poliklinik durchgeführt hatten, ergab ein Verhältnis von 12 Patienten bei Dr. Huber zu 1 Patienten bei Dr. Kretz. Die Patienten beschlossen weiter, eine Kommission zu bilden, die eine ihren Bedürfnissen gerecht werdende Verfassung für die Poliklinik ausarbeiten sollte. Im Flur wurde ein schwarzes Brett für Mitteilungen der Patienten angebracht, das ein paar Tage später von Poliklinikleiter Dr. Kretz vor den Augen einer Patientin, die einen Anschlag lesen wollte, von der Wand gerissen wurde, woraufhin die Patientin einen Weinkrampf erlitt.
Die Klinikleitung wollte die sich emanzipierenden und sich organisierenden Patienten nicht länger in der Klinik dulden. Patienten, mit denen man nicht mehr ohne weiteres machen konnte, was man wollte, waren unbrauchbar für die "Wissenschaft". Auf einem Teach-in der Patienten im Hörsaal der Psychiatrischen Klinik in Anwesenheit der Klinikdirektoren von Baeyer, Prof. Bräutigam* sowie der Oberärzte und Assistenzärzte der psychiatrischen und psychosomatischen Universitätskliniken forderten die Patienten noch einmal die Zurücknahme der Kündigung Dr. Hubers und den Rücktritt Dr. Kretz’. Einen halben Tag später folgte die fristlose Kündigung und das Hausverbot Dr. Hubers.
*
Prof. Bräutigam – Direktor der Psychosomatischen Universitätsklinik in HeidelbergNach einem 1 1/2-tägigen Hungerstreik der Patienten im Dienstzimmer des Verwaltungsdirektors der Klinischen Universitätsanstalten sah sich der Universitätsrektor Rendtorff veranlaßt, die materiellen Voraussetzungen für die Weiterführung der Therapie und Selbstorganisation der Patienten zur Verfügung zu stellen: Universitätsräume, regelmäßige finanzielle Unterstützung und freie Rezeptur. Das war der Inhalt des sogenannten Kompromisses, der am 28.2.1970 unter Mitwirkung der Medizinischen Fakultät (Dekane Schnyder und Quadbeck) und Klinikdirektor von Baeyer sowie Studenten der Projektgruppe Medizin zustande kam. Der Kompromiß wurde zwischen den Patienten und Rektor Rendtorff geschlossen. Die Annahme des Kompromisses durch die Patienten geschah ohne die Zustimmung Dr. Hubers, er erklärte sich lediglich den Patienten gegenüber bereit, mit ihnen weiter zusammenzuarbeiten.
Durch die faktische Institutionalisierung als autonome Arbeitsgruppe in Universitätsräumen hatten die Patienten erreicht, daß die Gesamtuniversität in Gestalt des Rektors die Inkompetenz der Medizinischen Fakultät für die Krankenversorgung bestätigt hatte. Die Durchführung des Kompromisses scheiterte allerdings von Anfang an:
Die Arbeitsräume, die (auf Kosten der Steuerzahler) seit über einem halben Jahr leergestanden hatten, mußten von den Patienten erst renoviert werden.
Die zugesicherte freie Rezeptur wurde von Klinikdirektor von Baeyer und Oberarzt Oesterreich in krimineller Weise sabotiert (Oesterreich: "Man kann Huber keine Rezepte verschreiben lassen. Er könnte ja Dynamit verschreiben!"): Patienten, die mit von Baeyer über die technische Durchführung der Rezeptur sprechen wollten, wurden gewaltsam durch die von v. Baeyer herbeigerufene Polizei aus der Klinik entfernt und nunmehr auch formell mit Hausverbot für das Klinikgelände belegt. Oberarzt Oesterreich verhängte über die Selbstorganisation eine Rezeptblockade in den Heidelberger Apotheken, d.h. Rezepte, die von Dr. Huber ausgestellt waren, wurden nicht mehr entgegengenommen. Ein schwer kriegsbeschädigter Rentner, der ein Rezept in einer Apotheke einlösen wollte, wurde von Oberarzt Oesterreich – der inzwischen über Alterskrankheiten habilitiert hat – per Telefon zur Gegenzeichnung seines Rezepts zu Prorektor Podlech (einem Juristen, der mit der Durchführung der Kompromißvereinbarungen befaßt war) geschickt. Dieser schwer kriegsbeschädigte Rentner wurde bei einer öffentlichen Veranstaltung von Oesterreich so beschimpft: "Sehen Sie, das ist Ihr Werk, Herr Dr. Huber."
Die zugesicherte Monatspauschale wurde seitens des Rektorats von März bis Juli nicht ausbezahlt. Vielmehr wurde die Räumung der Arbeitsräume und die Sperrung des Telefons angedroht. Das Rektorat versuchte, die Patienten durch ein Vertragsdiktat völlig willkürlich zum 30. September 1970 aus den Universitätsräumen hinauszukatapultieren. Dr. Huber sollte unterschriftlich bestätigen, daß die Patienten ab 30. September keine qualifizierte Therapie mehr nötig hätten. Als Druckmittel benutzte das Rektorat die Hungerblockade gegen die Selbstorganisation: Die Universität verweigerte die Auszahlung der im "Kompromiß" zugesagten Gelder. Es stellte sich bald heraus, daß der "Kompromiß" ein Diktat gegen die Patientenselbstorganisation war; daß Krankenversorgung als Kompromiß sich als weiterer Schritt in der Vernichtungsstrategie gegen Patienten entlarvte.
9. Das Sozialistische Patientenkollektiv
Nach 4 Monaten fortgesetzter Erpressung und Aushungerung durch das Rektorat hatten es die Patienten schließlich satt und sie besetzten am 6. Juli 1970 das Dienstzimmer des Rektor Rendtorff.
Die Forderungen des Sozialistischen Patientenkollektivs an das Rektorat:
Kontrolle der Krankenversorgung durch die Patienten; Abschaffung der Fremdbestimmung des Gesundheitswesens beispielsweise durch Industrie und Bundeswehr etc.
Kontrolle des Hausrechts in den Kliniken durch die Patienten. Als Übergangsregelung wird das Hausrecht an den Rektor delegiert.
Inbesitznahme der Klinikgelder durch die organisierten Patienten. Als Übergangslösung fließen alle Klinikgelder in die allgemeine Universitätskasse.
Erste Maßnahme zur Realisierung dieser Forderungen ist:
a) Unbefristete und kostenlose Überlassung eines Hauses, in dem die Patienten vor Übergriffen Außenstehender geschützt sind. Das Haus hat mindestens 10 Zimmer. Alle therapeutisch notwendigen Ausrüstungsgegenstände sowie die laufenden Kosten übernimmt die Universität. Zwei Träger ärztlicher Funktionen des Patientenkollektivs übernehmen die Krankenversorgung und werden von der Universität bezahlt. Für Büroarbeiten und sozialpflegerische Tätigkeiten werden Mittel zur Verfügung gestellt.
b) Sofortige, unbefristete und kostenlose Überlassung eines Hauses mit mindestens 10 Zimmern für die Unterbringung von Patienten, die durch die herrschenden Verhältnisse in spezifischer Weise gefährdet sind. Dies ist notwendig, um sie vor einer weiteren Gefährdung durch die etablierte Psychiatrie zu schützen.
c) Bis zur Übernahme der neuen Räumlichkeiten verbleibt das SOZIALISTISCHE PATIENTENKOLLEKTIV in der Rohrbacher Str. 12.
Alle seit März entstandenen bzw. bis zur Übernahme der neuen Räumlichkeiten noch entstehenden Kosten – abzüglich der unter Wahrung der beim Kompromiß getroffenen Vereinbarungen durch die Universität getätigten Teilzahlungen – übernimmt die Universität. Die noch ausstehenden Gelder werden sofort überwiesen.*
*
Die Patienten forderten die Verfügungsgewalt der Produzenten über die Produktionsmittel, sie forderten die materiellen Voraussetzungen zur Umwandlung der Universität des Kapitals in die Volksuniversität. Diese Forderung war übrigens im Einklang mit der Grundordnung dieser Universität, die in ihrem § 2 die Universität als Produktionsstätte von "Wissenschaft für den Menschen" deklariert. Als erste Maßnahme im Rahmen dieser umfassenden Forderung wurde die formalrechtliche Institutionalisierung des SPK als Universitätseinrichtung, die Bereitstellung bedürfnisadäquater Universitätsräume und eines realistischen Etats für die Patientenselbstorganisation gefordert.
Am 9. Juli 1970 beschloß der Verwaltungsrat der Universität, die Institutionalisierung des SPK als Universitätseinrichtung zu betreiben und beauftragte 3 anerkannte Wissenschaftler mit der Erstellung von Gutachten über Arbeit und Funktion des SPK.*
Diese Wissenschaftler setzten sich für die Institutionalisierung des SPK an der Universität ein.*
Die Gutachter: Prof. Dr. Dr. H. E. Richter, Direktor der Psychosomatischen Klinik der Universität Gießen; Prof. Dr. Peter Brückner, Direktor des Psychologischen Seminars der Technischen Universität Hannover und Dr. med. Dieter Spazier, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und ehemaliger Leiter der Psychiatrischen Universitätspoliklinik Heidelberg. Außerdem lieferte das SPK eine wissenschaftliche Darstellung seiner laufenden und zukünftigen Arbeit. Die 4 Arbeiten sind in der Dokumentation zum SPK Heidelberg, Teil I (hier als PDF) der Fachschaft und Basisgruppe Medizin der Universität Gießen veröffentlicht worden.Die Diffamierung der Patienten und die Aufhetzung der Öffentlichkeit gegen die Patienten in Presse und Rundfunk, die bis zum Verwaltungsratsbeschluß allein von der Medizinischen Fakultät (Prodekan Dr. Kretz) und der Fachgruppe Psychiatrie/Psychosomatik (stellvertretender Fachgruppenleiter Dr. Kretz) in Presseerklärungen, offenen Briefen und Leserbriefen betrieben worden war, wurde jetzt verstärkt durch die Stimme des Kultusministers von Baden-Württemberg, Prof. Wilhelm Hahn vom christlich-demokratischen Underground (CDU). Die reaktionäre bürgerliche Presse öffnete ihre Spalten für die Hetzartikel derer, die sich Kompetenzen für die Sache der Patienten anmaßten, während Ausführungen oder Gegendarstellungen der Patienten entweder sinnentstellend verstümmelt oder überhaupt nicht veröffentlicht wurden. Der Kultusminister bezeichnete den Verwaltungsratsbeschluß bereits am 20. Juli 1970 pressekundig als "in höchstem Maß rechtswidrig", er erklärte im Rundfunk, die Patienten des SPK müßten "schleunigst der Behandlung zugeführt werden, die sie verdienen und die sie brauchen", er verbot schließlich in seinem Erlaß vom 18.9.1970 der Universität, den Beschluß ihres Verwaltungsrats durchzuführen. Diese öffentlichkeitskundigen Hetztiraden der Mediziner, begünstigt und unterstützt durch den Kultusminister, wirkten sich auf die Arbeit der Patienten aus: Einerseits zeigten sie klar die grundsätzliche Patientenfeindlichkeit der medizinischen und akademischen Institutionen; andererseits versuchten nun – teilweise mit Erfolg – Familienangehörige und Arbeitgeber von Patienten, die das SPK lediglich durch die Hetzartikel der Gegenseite kannten, die ohnehin unbequemen Kranken unter Druck zu setzen und von der Mitarbeit im SPK abzubringen.
Diese Erfahrung zeigte sinnlich konkret den Zusammenhang, der zwischen dem bürgerlichen Bewußtsein, dem sogenannten gesunden Menschenverstand, und der Rationalität des Kapitals wirksam ist.
10. Das Räumungsurteil und der Senatsbeschluß
Das erste Räumungsurteil gegen die Patienten (formal gegen Dr. Huber) am 4. November 1970 war ein weiterer Versuch, das SPK zu liquidieren. Postwendend erklärte Kultusminister Hahn am 9.11.1970 (das Räumungsurteil in der Tasche) die Patienten des SPK zu einem "Wildwuchs, der nicht länger geduldet werden kann und der schleunigst mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln beseitigt werden muß".
Am gleichen Abend verpflichtete sich der Universitätsrektor Rendtorff schriftlich gegenüber dem SPK, die Räumungsklage, die die Universität auf Veranlassung Hahns eingeleitet hatte, zurückzunehmen und den Erlaß des Kultusministeriums vom 18.9.1970, auf dem sie basierte, vor dem Verwaltungsgericht anzufechten. Ebenso erklärte Rendtorff mit seiner Unterschrift, er werde den Antrag auf formale Institutionalisierung des SPK dem Senat als dem dafür zuständigen Universitätsorgan unter Hinzuziehung der Rektoratsgutachter Richter, Brückner und Spazier vorlegen.
Der erste Schritt des Rektors nach seiner Erklärung war der, daß er sich vom Senat, dessen Vorsitzender er ist, die Ungültigkeit seiner Unterschrift bescheinigen ließ (Selbstentmündigung). Daraufhin stellten die Patienten am 16.11.1970 beim Verwaltungsgericht Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen die Pogromhetze des Kultusministers Hahn und erhoben Klage gegen den Erlaß vom 18.9.1970, beides unter Berufung auf Grundrechte wie das der Unverletzlichkeit der Person und das der Freiheit von Forschung und Lehre. Die Klage wurde dank der Verschleppungstaktik der Gerichte erst im Januar 1972 "verhandelt". Die Klage ist inzwischen kostenpflichtig abgewiesen worden.
Am 24.11.1970 beschloß der Senat schließlich in einer Geheimsitzung, zu der zwar nicht die oben genannten Gutachter, wohl aber Herr Professor Dr. Dr. Heinz Häfner als Experte in Sachen Profitmaximierung bei der Krankenverwertung hinzugezogen wurde, auf Antrag der Medizinischen Fakultät (Schnyder, Kretz), "daß das SPK keine Einrichtung in und an der Universität werden kann". Dieser Beschluß sollte auf sachkundige Anweisung des Dekans der Juristischen Fakultät, Professor Dr. Leferenz, und auf Anregung der Mitglieder der Naturwissenschaftlich- Mathematischen Fakultät vom Kanzler der Universität "auf dem Verwaltungsweg unter Anwendung staatlicher Hilfsmittel" unverzüglich vollstreckt werden. In dem offenbar wahnhaften Glauben an die Verbindlichkeit der Unterschrift des Theologen Rendtorff hat Dr. Huber zusammen mit den Patienten des SPK durch einen Rechtsanwalt Berufung gegen das vollstreckbare Räumungsurteil vom 4.11.1970 eingelegt. Am 13.5.1971 erging erneut ein vollstreckbares Räumungsurteil gegen das SPK (bzw. Dr. Huber). Der daraufhin vom SPK beim Gericht beantragte Vollstreckungsschutz wurde von diesem gar nicht erst behandelt.
11. Die Räumung
Vielmehr erfolgten am 24., 25., und 26. Juni 1971 die willkürliche Festnahme von SPK-Patienten, verbunden mit Verhören, Anwendung von physischer Gewalt, Hausdurchsuchungen (ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl, versteht sich), Bedrohung und Geiselnahme
* mit Waffengewalt. Diese Polizeiaktion, bei der Hubschrauber, Hunde, Maschinenpistolen und mehrere Hundertschaften Polizeibeamte in Uniform und Zivil zum Einsatz kamen, wurde durchgeführt im Zusammenhang mit einer in der Psychopathologie von Wahnsystemen als "Beziehungssetzung ohne Anlaß" höchst relevanten Konstruktion von Staatsanwaltschaft und Polizei. Diese Konstruktion brachte unter Einschaltung der juristischen Krücke "Gefahr im Verzug" das SPK in Verbindung mit einer Schießerei zwischen der Polizei und zwei bis heute unbekannten Autofahrern, die am 24.6.1971 in der Nähe der Wohnung eines SPK-Patienten stattgefunden hatte.* – Das Kind eines SPK-Patienten wird als Geisel zur Haustür geschickt, da die Bullen annehmen, daß sich Leute mit Schußwaffen im Haus aufhalten.
– Verhaftete werden
folgendermaßen unter Druck gesetzt:
"Wir machen jetzt eine Hausdurchsuchung bei Ihnen. Wenn Sie die Aussage
verweigern, dann können dabei Personen, die vielleicht unschuldig sind und
die Ihnen vertrauen, erschossen werden. Das müssen Sie dann alles
verantworten."
Bis auf zwei wurden alle Verhafteten nach maximal 47 Stunden wieder "auf freien Fuß" gesetzt. Für die beiden festgehaltenen SPK-Patienten wurden schließlich mit Hilfe der Beschuldigung, sie seien Mitglieder einer kriminellen Vereinigung, zwei Haftbefehle gebastelt. Besuchserlaubnisse (zunächst auch für Ehegatten) wurden wegen SPK-Zugehörigkeit der Antragsteller abgelehnt. Ebenso blieb ein fachärztliches Gutachten, das die dringende Notwendigkeit von Besuchserlaubnissen für mindestens 40 Patienten des SPK bescheinigt, die mit den beiden gefangen gehaltenen SPK-Patienten in Einzel- und Gruppenagitation zusammengearbeitet hatten, von der Staatsanwaltschaft und den Haftrichtern bis heute unberücksichtigt. In den frühen Morgenstunden des 21. Juli 1971, einen Tag vor der gerichtlicherseits angekündigten Vollstreckung des Räumungsurteils schließlich überfielen mehrere Hundertschaften Polizei mit Maschinenpistolen und Hunden in einer erneuten Dämmerattacke die SPK-Arbeitsräume, die von uns bereits am 13. Juli öffentlichkeitskundig als Arbeitsräume für Patienten wegen der nicht mehr zu verantwortenden Gefährdung der Patienten durch Polizeispitzelterror geschlossen worden waren. Gleichzeitig wurden weitere 10 Wohnungen von Patienten, von denen die meisten bereits im Juni von der Polizei durchsucht worden waren, erneut heimgesucht und auf den Kopf gestellt. 9 SPK-Patienten wurden inhaftiert und in 8 verschiedenen Gefängnissen, über ganz Baden-Württemberg verstreut, in strenger Einzelhaft untergebracht und ständigen Repressalien und Verhören ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat auch dafür gesorgt, daß 9 von den 11 Gefangenen keine anwaltliche Vertretung (Verteidigung) mehr hatten: Der Anwalt der inhaftierten SPK-Patienten wurde kurzerhand der Begünstigung seiner Mandanten, gegen die noch nicht einmal Anklage erhoben war, beschuldigt und erhielt Verteidigungsverbot. Das Verteidigungsverbot mußte nach über einem Monat wieder aufgehoben werden.
9 der 11 Inhaftierten sind mittlerweile gegen Auflagen und teilweise gegen Kaution wieder auf "freiem Fuß". Bezeichnenderweise werden zwei zu Rädelsführern gestempelte Ärzte immer noch festgehalten*
.*
September 197212. Die herrschende Rechtlosigkeit und die Patienten
Unsere Stärke als Patienten besteht darin, daß wir aus dem bürgerlichen Recht völlig herausfallen. In der bürgerlichen Gesellschaft besteht ein Zusammenhang zwischen Besitz und Recht; als Person wird bestimmt, wer über Besitz verfügt. Der einzige Besitz, über den der Arbeiter verfügt, ist die Ware Arbeitskraft.
Vom Gesundheitswesen werden diejenigen als krank definiert, die über die Ware Arbeitskraft vorübergehend oder für immer nicht mehr verfügen. Mit dem Verlust der Ware Arbeitskraft werden alle Rechte, die für die Besitzer einer durchschnittlichen Ware Arbeitskraft zumindest formal gelten, völlig außer Kraft gesetzt. Wer seinen letzten Besitz – die Ware Arbeitskraft – verloren hat, ist kein "Rechtssubjekt" mehr. Daraus folgt aber, daß wenn das Recht gegen uns angewendet wird, und das geschieht ständig, es nicht auf Personen trifft, sondern auf Rechtlose! Auf Menschen-Wracks, die nach der gängigen Auffassung keinerlei Macht besitzen, nicht einmal über sich selbst, geschweige denn über andere. Ein Recht aber gegen Rechtlose ist ein Un-Ding, ein Un-Recht, nach dem wir uns nicht richten dürfen, weil es uns gar nicht betrifft, denn es ist für uns gar nicht gemacht.
Die Wegnahme der für die Selbstorganisation nötigen Räume, des Instrumentariums, der finanziellen Krücke und schließlich des Lebens kann von uns nur verstanden werden als Aufforderung zur Selbstverteidigung. Und da die Wegnahme von Produktionsmitteln und die Vernichtung von Leben jeden betrifft, der nichts als die Ware Arbeitskraft besitzt, können alle Ausgebeuteten ihr Recht auf Leben nur in der Praxis der kollektiven Selbstverteidigung verwirklichen.
Erst dadurch, daß wir unter das Strafrecht fallen, werden wir überhaupt rechtsrelevant. Durch den Übergang aus dem Patientenstatus in den Straf- bzw. Untersuchungsgefangenen-Status sind wir "rehabilitiert", aus dem Status der Rechtlosigkeit objektiv in den der Rechtsrelevanz übergegangen.
Zum Glück wurde den Patienten das Vorrecht der Rechtlosigkeit durch die Universitätsgewaltigen nicht streitig gemacht. Im Gegenteil, Rektor Rendtorff und Anhängsel machten die Patienten immer wieder nachhaltig auf diesen Status aufmerksam, in dem sie nicht nur die Legitimation für Waffengewalt gegen Kranke sahen, sondern unverkennbar auch einen Schandfleck. An der Zugehörigkeit von Patienten zur Universität dürften aber wohl keine Zweifel aufkommen. Wo um alles in der Welt blieben sonst die Klinikdirektoren und die, die es über die Leichen der Patienten hinweg werden wollen, mit ihren Millioneneinnahmen?
Das die Kapitalinteressen schützende Recht ist für die Patienten vor und nach Inkrafttreten der Grundordnung der Universität Heidelberg und des Hochschulgesetzes dasselbe. Sie haben als Patienten keinerlei Ansprüche zu stellen. Bekanntlich sind – und darauf tut sich die Demokratie seit alters her viel zu Gute – vor dem Gesetz angeblich alle gleich. Dies bedeutet beispielsweise, daß jeder, wirklich jeder, sich formalrechtlich genau so viel herausnehmen kann wie, na sagen wir mal Herr Axel Springer; denn beide sind vor dem Gesetz völlig gleich. Die Wirklichkeit ist anders. Beileibe nicht jeder kann nach bestem Können Volksverhetzung betreiben, wie Axel Springer, obwohl das Gesetz des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats alle zu Axel Springers gemacht hat, ob sie wollten oder nicht: allerdings nur der Möglichkeit nach. In Wirklichkeit bleiben sie zeitlebens Objekte jener Axel Springer. Oder nehmen wir das Recht auf "Freiheit für Forschung und Lehre"; auch das gilt für jeden. Sogar einige Studenten können es gelegentlich in Anspruch nehmen, wenn es der Geldbeutel erlaubt. Neuerdings wird es bekanntlich vom Professorenverband "Bund Freiheit der Wissenschaft" alleinvertretend gegen die Masse der Beteiligten und Betroffenen in Anspruch genommen.
Man sieht: Alle stehen wenigstens formal innerhalb des Gesetzes. Dies gilt nicht für Patienten. Sie haben weder an der Universität, noch sonst irgendwo Anspruch auf Behandlung. Umgekehrt unterliegen sie in manchen Fällen dem Zwang, sich behandeln zu lassen (Pockenimpfung, "vertrauens"ärztliche Untersuchung etc.) ohne gesetzlich fixierte Möglichkeit der Einflußnahme auf Inhalte, Umstände und so weiter. Jeder kann akut krank werden, alle sind potentiell Patienten; das ist schon an den Sozialabgaben zu merken.
Dieser freiheitlich-demokratische Rechtsstaat, dessen Notwendigkeit durch die Sachwalter des Kapitals immer wieder damit gerechtfertigt wird, daß jeder einzelne ihn zu seinem Schutz bitter nötig habe, schützt die nicht, die ihn tragen. Vor einem Staat, der auf die Ansprüche Schutzbedürftiger, wenn sie dennoch gestellt werden, mit Rechtsmitteln gegen die, die er zu schützen vorgibt, reagiert, vor einem solchen Staat sollte man sich vorsehen!
Zur Rechtlosigkeit der Patienten, wie sie sich für das SPK konkret manifestiert hat:
Kranke haben in der Universitätsklinik von Rechts wegen nichts zu suchen. Sie sind dort, wie überhaupt allerorten, bestenfalls geduldet. Selbst dies nur mit Einschränkung, nämlich nur solange, als sie ihren Nutznießern keinen Ärger machen und bereitwillig, am besten auch noch voller Dankbarkeit, alles mit sich geschehen lassen, wovon sich ihre Wohltäter Nutzen in eigener Sache versprechen.
Für Ärzte der Universität gilt, daß sie mit der Einwilligung ihres Dienstherrn Patienten vor die Tür setzen können. Diese Verwertung von "Krankengut" und sonstigen Abfallprodukten ist rechtlich völlig einwandfrei.
Der Universitätsrektor kann den Arzt vor die Tür setzen. Wird dies gar von anderen Ärzten beantragt, die Patienten vor die Tür gesetzt haben, so wird dadurch der Rechtsstandpunkt des Rektors nicht geschmälert.
Erhebt der Arzt gegen seine Entlassung Klage beim Verwaltungsgericht im Sinne einer Verfassungsklage, so bleiben die Punkte 1) bis 3) davon selbstverständlich unberührt.
Erheben die Patienten Klage beim Verwaltungsgericht im Sinne einer Verfassungsklage (Unversehrtheit der Person etc.), so bleiben die Punkte 1) bis 3) selbstverständlich unberührt.
Trotz dieser juristisch einwandfreien Sachlage war das Kultusministerium gezwungen, über das Rektorat auch noch eine Räumung durchzuführen: Die Patienten hatten sich nach dem Rausschmiß aus der Klinik das Recht auf Universitätsräume erkämpft. Um den Widerstand der Patienten zu brechen, griffen die Verantwortlichen des Rektorats auf eine privatrechtliche Räumungsklage zurück, die sich formal allein gegen Dr. Huber richtete, der die SPK-Räume längst verlassen hatte. Hier zeigt sich die Scheu besagter Herren, ihre Maßnahmen vor der Öffentlichkeit zu vertreten; das hat mit Sicherheit keine psychologischen Ursachen. Denn die ausgebeutete Bevölkerung – und sie sind die Betroffenen, die Kranken – würde den Kopf schütteln. Vielleicht würden einige Enthemmte sogar ihre Sprache wiederfinden und fragen: "Mehr ist da nicht dran an unserem Recht? – Wessen Recht ist das überhaupt? … Wem nützt es?" und schließlich: "Wie können wir uns gegen dieses Recht wirksam schützen?"
Alle wissen, daß permanent gegen das Volk regiert wird. Aber der Klassenkampf der Kranken hat schon begonnen. Dies kommt unter anderem darin zum Ausdruck, daß sich die politische Macht der Reaktion, wenn auch nur vorübergehend, mit einer privatrechtlichen Räumungsklage tarnen muß. Die Diktatur des Proletariats aber richtet sich auf die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und die Beseitigung der Verkrüppelung der Menschen, auf Momente somit, die das öffentliche Interesse betreffen. Dieses aber hat Rechtstitel der Reaktion am wenigsten nötig. Was es braucht, sind alle Mittel zur Selbstverteidigung. Deren Art wird durch das Gewaltpotential der Gegenseite und dessen notwendige Lücken bestimmt.
Zur Universität: Es ist keine besondere Anstrengung nötig, um nunmehr die Form des Konfliktes klar zu umreißen.
Für ihre und die Interessen der Bevölkerung – das Proletariat unter der Bestimmung Krankheit – hatte sich eine ständig wachsende Zahl politisch bewußter Patienten im SPK organisiert, um die Universität ihrem ursprünglichen Zweck endlich zuzuführen, nämlich Wissenschaft zu betreiben: Natur und Wissenschaft in den Dienst aller zu stellen. Dieser Versuch stellt einen Rechtsbruch in doppelter Hinsicht dar. Einmal, weil laut Universitäts-Grundordnung und Hochschulgesetz Patienten an der Universität nichts zu suchen haben. Zweitens, weil das Kultusministerium auf dem Wege der Fachaufsicht, d.h. durch Entzug von Geldern und Räumen notfalls, und dieser Notfall ist offenbar eingetreten, dafür sorgen muß, daß wissenschaftliche Bestrebungen, die Natur und Wirtschaft in den Dienst aller stellen zu wollen, unterbunden werden.
Die Universität hätte in jedem Fall Gerichtsvollzieherei und Polizei gegen die – wenn auch noch so begründeten – Ansprüche der Patienten einsetzen müssen, und zwar in Wahrnehmung der Autonomie der Universität. Hochschulgesetz und Grundordnung sahen vor, daß Patienten, über den ihnen ohnehin zuerkannten Status der Rechtlosigkeit hinaus, an der Universität erst recht keinerlei Ansprüche zu stellen haben. Hätte – man stelle sich vor, wenn man kann! – der Kultusminister statt der Ausräumung die Einräumung (Institutionalisierung) des SPK verlangt, so hätte der Rektor, blutenden Herzens vielleicht, dagegen rechtlich vorgehen müssen, und zwar in dem durch das Gesetz geforderten Interesse der Autonomie der Universität. Denn die Universität ist durch das Recht gehalten, ihre Autonomie gegenüber der Bevölkerung, vor allem wenn sie als Proletariat unter der Bestimmung Krankheit auftritt, zu wahren. Diese Sternstunde in Form einer Selbstanzeige wegen Mißbrauchs der Universität zum Zwecke der Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation hat uns das Räumungsurteil erspart. Soll die Universität dem Pöbel dienen? Gott bewahre! Umgekehrt wird ein Schuh draus: Der Pöbel diene der Wirtschaft, er unterwerfe sich der Naturgewalt, dem Pistolen ziehenden, Knüppel schwingenden, Tablettengift und Elektroschocks wohltätig verteilenden Staatsapparat! Diese Losung der Ausbeuter, Quintessenz all ihrer Gesetze, ist schlechthin allgemeingültig.
Die vorliegende Situation, wie sie sich aus dem Überlebenskampf der Patienten ergeben hat, erlaubte dank des offenen Zutagetretens von Gewalt, hier ausgeübt von Medizin, Universitätsbürokratie, Landesregierung und Justiz – ein selten "glückliches" Zusammentreffen: die exemplarische Darstellung eines absurden Systems, gegen das man sich mit allen irgendwie erreichbaren Mitteln schützen muß. Eine hochorganisierte Gesellschaftsform mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten steht einer geschichtlich überholten Gewaltstruktur gegenüber, die den Schein des Rechts auf ihrer Seite hat. Sie braucht diesen falschen Schein, damit Gewalt leicht mit "Natur" verwechselt wird und entsprechend rücksichtslos handeln kann. Deshalb muß sie sich als Recht tarnen, nämlich mit dem Recht, das sie sich auf Grund ihres Wirkens geschaffen hat. Revolutionäre Gewalt hat nur dem Schutz derer zu nützen, die sie ausüben. Hier steht hinter der Gewalt ein Mensch, dort hinter dem Recht die Gewalt. Recht und Gewalt gehen nicht aus Menschenköpfen hervor, sondern aus den kapitalistischen Produktionsverhältnissen. Revolutionäre Gewalt hingegen entspringt bewußt gewordenem Leiden, das an die Stelle bewußtlos hingenommener Verkrüppelung tritt und diese in Beziehungen, Kenntnisse und Werkzeuge umwandelt, zum Schutze des Einzelnen und zum Weitertreiben der notwendigen Entwicklung der kollektiven Praxis.
Das kapitalistische Recht füllt die Kluft zwischen Bevölkerung und Universität mit den Leichen derer, die als Kranke den passiven Widerstand gegen kapitalistische Arbeit bewußtlos zum Ausdruck gebracht haben und von der Universität für die kapitalistische Endlösung nicht mehr zurechtgeflickt werden konnten.
In der Geschichte des SPK zeigte sich die Gewaltförmigkeit des herrschenden Rechts folgendermaßen: Um die Selbstorganisation der Patienten zu vernichten, wurden mit dem Rechtsmittel "Fristlose Entlassung des Arztes Dr. Huber aus dem Beamtenverhältnis und Hausverbot" folgende Zwänge und Gewalten – vor allem von den Sachwaltern des Gesundheitswesens – gegen Kranke eingesetzt:
*Wer den Ausdruck "Vergiftungsbehandlung" übertrieben findet, dem sei gesagt, daß der auf sozialistische Politik mit Sicherheit unverdächtige Ordinarius und 2. Vorsitzende der Weltorganisation für Psychiatrie und Neurologie, von Baeyer, immer wieder seinen Assistenten gegenüber die Anwendung von Elektroschocks herausstrich, weil die Belastung einer medikamentösen Behandlung für das zentrale Nervensystem sehr viel größer sei als seine durch Elektroschocks zu gewärtigenden Schädigungen. In beiden Fällen gehen bekanntlich Nervenzellen zugrunde, die im Gegensatz zu sonstigen Zellen nicht mehr ersetzt werden.1. Verdummung und Ausbeutung rechtloser Menschen-Wracks des kapitalistischen Produktionsprozesses durch "freie" – d.h. mit den Möglichkeiten der allgemeinen Profitmaximierung in eigener Sache versehene – Arztpraxis; die von den Patienten verteidigten und in Anspruch genommenen Privilegien der Poliklinik: freie Rezeptur, kein Liquidationszwang, Inanspruchnahme der klinischen Universitätseinrichtung (Röntgen, Elektro-Encephalogramm, Labor etc.) – sollten den Patienten wieder entzogen werden, und diese Maßnahme durch das "Angebot" einer "freien" Arztpraxis schmackhaft gemacht werden. Um uns die "freie" Arztpraxis noch schmackhafter zu machen, sollte sie – nach den Vorstellungen von Rektor Rendtorff – einem "Kuratorium" aus Universitätsangehörigen unterstellt werden; das nie zu einer konstituierenden Sitzung zusammentrat, und das juristisch – weil in der Grundordnung der Universität überhaupt nicht vorgesehen – ohnehin ein Unding ist.
Es war von Anfang an das Ziel der Universitätsbürokratie, den Störfaktor Patientenselbstorganisation aus der Universität hinauszudrängen, um sie damit direkt dem Zugriff von Gesundheitsamt (Gesundheitspolizei), Vormundschaftsgericht und Polizei auszuliefern. Diese Maßnahmen der Unibürokratie wurden sekundiert durch Diffamierungen seitens der niedergelassenen Nervenärzte, die einerseits versuchten, das Gesundheitsamt zum Einschreiten gegen das SPK zu bewegen, und andererseits gezielte Maßnahmen ergriffen, um einzelne Patienten wieder ihrer "privaten" Verfügungsgewalt zu unterstellen.
Fristlose Entlassung und Hausverbot sollten somit die Patienten in eine Lage bringen, in der sie zwischen den Mühlsteinen der "freien" Arztpraxis und der Universitätspsychiatrie zermahlen werden sollten.
2. Durch plötzlichen Abbruch der nach den herrschenden Verhältnissen einwandfreien Vergiftungsbehandlung mit Psychopharmaka etc. wurden dem Tod die wichtigsten Eintrittspforten weit geöffnet, denn Blutkreislauf und Atmung sind seit alters her in der Physiologie als "atria mortis" (Vorhallen des Todes) definiert, und der plötzliche Entzug von Medikamenten ist immer in Form des sogenannten Entzugsdelirs mit der Gefahr eines tödlichen Zusammenbruchs von Kreislauf und Atmung verbunden.*
3. von Baeyer, Häfner usw., die sich zu Richtern über die von Ärzten im Nazi-Regime begangenen Verbrechen aufgespielt haben*, "bewältigen" diese Vergangenheit praktisch so, daß sie schwerkranke und kriegsbeschädigte Patienten wegen eines Rezeptes von Institution zu Institution schickten und sie somit schwersten körperlichen Strapazen aussetzten.
*von Baeyer, Häfner u.a. in "Psychiatrie der Verfolgten": "Es gibt immer einzelne oder auch viele … häufig sogar sehr begabte Wissenschaftler, die sich vom Wege unbestechlicher Objektivität durch Machteinflüsse abbringen lassen, meist gar nicht durch unmittelbaren Befehl oder materielle Bestechung, sondern mehr indirekt-atmosphärisch durch das unbewußte Bedürfnis, im großen Strom der Zeit mitzuschwimmen." – von Baeyer in: die Bestätigung der NS-Ideologie in der Medizin unter besonderer Berücksichtigung der Euthanasie.
4. Aushungerung (März bis Juli 1970 und Dezember 1970 bis Juli 1971 wurden die notwendigen Gelder vorenthalten) und jahrelang (1970 bis 1971) ständig wiederholte Androhung der gewaltsamen Aussperrung.
5. Selbstmord = Mord: Innere Verblutung durch Herabstürzen von einem Turm.* Der "humanere" Mord durch Vergiftung mit Tabletten war durch die infolge fristloser Entlassung und Hausverbot von der Gegenseite geschaffene Situation blockiert.
*siehe Dokumentarischen Teil: "Zur politischen Ökonomie der Identität Selbstmord = Mord
Am Gründonnerstag des Jahres 1971 wurde im Wald bei
Heidelberg, am Fuß eines Turms die Leiche einer SPK-Patientin gefunden. Der
Obduktionsbefund ergab: Tod durch innere Verblutung. Laut Polizeibericht
fanden sich am Tatort verstreut Tabletten in großer Menge. Bei der Obduktion
und gezielter forensischer Untersuchung wurden jedoch nicht einmal Spuren
einer Tabletteneinnahme festgestellt. Die Tabletten wurden nicht geschluckt,
sondern verworfen. Die Ware Arbeitskraft nicht verkauft, sondern
zerschmettert.
(Laut Abschlußbericht der Kriminalpolizei lag ein Verschulden Dritter am Tod
des Mädchens nicht vor.)
6. Schwerste Belastung der organisierten Patienten durch Übergriffe der Gegenseite in Form von Terrormaßnahmen, Patientenhetze, Spitzelaktivitäten, Unterstützung von Morddrohung* – die Strafanzeige wegen einer telefonischen Morddrohung der Eltern einer Patientin an den ärztlichen Funktionsträger des SPK wurde von Polizei und Justiz nur äußerst schleppend und oberflächlich bearbeitet und schließlich "zu den Akten gelegt", auch deren gezielte Vorbereitung durch Pogromhetze unter zusätzlicher Einschaltung von Ministerien, korrupten Medizinmännern und so weiter.
*"Am Sonntag, den 21.3.1971 um 18.00 Uhr ging im Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) eine telefonische Morddrohung gegen das SPK-Mitglied Wolfgang Huber ein. Der Anrufer bekundete seine Absicht, Huber innerhalb dieser Woche zu erschießen, falls nicht dafür Sorge getragen wird, daß seine Tochter (SPK-Mitglied) das SPK verläßt und nach Hause zurückkehrt. Diese Morddrohung hat ein progressives und reaktionäres Moment. Progressiv, insofern sie Protest beinhaltet. – Protest gegen die bestehende kannibalische Produktionsweise. Konkurrenzprinzip – die Großen fressen die Kleinen auf (wie zu erfahren war, machte die Firma des Anrufers letzte Woche pleite). Reaktionär, insofern sich der Protest gegen diejenigen richtet, die sich gegen diese krankmachenden, kannibalistischen Verhältnisse wehren und sich im SPK organisiert haben, anstatt diejenigen zu bekämpfen, die für diese Verhältnisse verantwortlich sind. …
Spätestens durch solche Drohungen und deren Vollstreckung zeigt sich, wie die herrschende Ideologie zur materiellen Gewalt wird. Jeder, der kritiklos RNZ (Rhein-Neckar-Zeitung), BILD liest oder fernsieht, wird somit zum potentiellen Attentäter, der entsprechend der ihm eingeimpften Ideologie zu einer solchen Handlung verführt wird." (aus SPK-Dokumentation II, S. 108–110, Patienten-Info Nr. 33)
Zusammenfassend bleibt auf Grund dieser Zergliederung der Kräfteverhältnisse folgendes festzuhalten:
Die Wirklichkeit der ökonomisch und juristisch geradezu als unangreifbar erscheinenden Fassade unserer Gegner ist die in Volt, toxischen Einheiten, Meterkilopond und Kalorien meßbare Zerstörung menschlicher Gewebe und Formen menschlichen Zusammenhalts. Diese Wirklichkeit von Ökonomie und Recht ist in doppelter Hinsicht praktisch belegt. Einmal durch ihre Wirkungen, wie sie im letzten Abschnitt Punkt für Punkt, wenn auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aufgezählt wurden. Zum anderen dadurch, daß wir unseren Anspruch auf eine Minimalbasis für unsere wissenschaftlich abgesicherte, eminent notwendige und nützliche Arbeit und unseren Anspruch auf Recht allen in Betracht kommenden Adressaten gegenüber nachdrücklich und immer wieder geltend gemacht haben. Der gegen uns gerichtete Gewaltapparat hat sich dadurch nicht im mindesten anders gezeigt, als eine in Volt, Vergiftungseinheiten, Meterkilopond und Kalorien meßbare Zerstörungsgewalt menschlichen Lebens. Als wir der Gewalt nicht mehr unter dem Vorzeichen Recht, sondern mit dem Anspruch auf Leben zu Leibe rückten, z.B. beim Hungerstreik im Februar 1970 und bei der Rektoratsbesetzung im Juli 1970, bekamen wir nahezu mühelos nicht nur Recht, sondern auch das uns vorenthaltene Geld.
Es gibt also weder ein Recht für, noch ein Recht gegen Kranke. Vielmehr gibt es nur Gewalt gegen, ebensosehr aber auch Gewalt für Kranke. Das Recht ist die dem Gegner überlassene Zerstörungsgewalt. Die revolutionäre Gewalt ist das Recht auf Schutz des Lebens gegen die Zerstörung. Kranke haben keine Rechte. Das Recht kann es daher nicht dulden, daß sie sich in Vollversammlungen organisieren, als Betroffene eine Kontrolle des gebremsten Mordes (Krankheit) durchführen, oder gar eine Massenorganisation bilden mit dem Ziel, Krankheit als Produktivkraft für das Kapital abzuschaffen, denn diese allein hält das Produzieren und Konsumieren in den Wohlstandsinseln und damit auch das Profitgeschäft mit dem Massenmord in der Welt in Schwung.