Zum Problem Widerstände,
die sich der praktischen Kritik entgegenstellen, wenn die Widersprüche des Systems Krankheit / Kapitalismus / Knast entfaltet werden
 

A Voraussetzungen

  1. Die Kontrolle über das "Krankengut" im Spätkapitalismus (= Imperialismus nach außen, gebremste Vernichtung nach innen) wird bestimmt durch

    1. Faktor der ökonomischen Rentabilität. Dementsprechend: billigste Methoden bei AOK-Patienten, Vollbelegung der Krankenstationen.
      Leitprinzip: das Kapital gehört in die Wirtschaft, Verschleiß und Exportmöglichkeiten garantieren dort am ehesten die Profitrate. (Im Zuge der zunehmenden organischen Zusammensetzung des Kapitals wirken sich Investitionen z.B. im Gesundheitswesen als zusätzliche Belastung der Profitrate aus.) Auch die Sozialabgaben kommen als Abfallprodukte der kapitalistischen Wirtschaft über die Kassen ins Gesundheitswesen zurück (Abfall zu Abfall!). Krankenhäuser etc. unrentabel – totes Kapital – Verschleißregulation, Absterbeetat – .

    2. Faktor Rentabilität für den beamteten Arzt: Zeit für Kranke ist Zeitverschwendung. Für die Karriere zählt nur das Mittelbare: die Kenntnis "wissenschaftlicher" Arbeiten über, oder auch nicht über bestimmte, einzelne Kranke, wobei der Autor einer solchen Arbeit, was seine Wertschätzung bei Vorgesetzten anbelangt, weit wichtiger ist, als was in der Arbeit über Krankheit und Kranke steht. Was außerdem zählt, ist das Verhältnis, nicht zwischen Arzt und Patient, sondern, also ebenfalls wieder die Kategorie Mittelbarkeit: das Verhältnis zwischen Arzt und Vorgesetztem. Daraus bestimmt sich in Zweifelsfällen, ob das Verhältnis zwischen Arzt und Patient "richtig" ist oder nicht.

  2. Der Patient ist als Kranker rechtlos, d.h. das Recht arbeitet gegen ihn.

  3. Als potentiell Kranker (daraus folgend: Sozialabgaben) hat er Pflichten, ohne deren Erfüllung die Zusammenbruchstheorie (Grossmann) mehr als nur eine Ausrede für Revisionisten wäre. (Wer Sozialabgaben zahlt, arbeitet für die Krisenfestigkeit der Wirtschaft, also seiner und anderer Krankheit in die Hände, und wenn er bereits krank ist, d.h. behandlungsbedürftig – und das sind mehr oder weniger alle – gleich doppelt.)
    Zum typischen Sozialdemokratistengequassel gehört ja das Argument: Wißt ihr denn nicht, wieviel ihr bekommt für das bißchen Beitrag? Antwort: Krisenstabilität, Ausbeutung, Verschleiß, Notstandsgesetze und im berühmten Krankheitsfall u.a. Reparatur (defekte Defektreparatur) und dann das Ganze nochmal in verschärfter Auflage.

    Bei der Analyse der Widerstände würde ich also das Moment der Mittelbarkeit ins Zentrum rücken: Der Mensch ist, wie immer im Kapitalismus, nur Mittel ökonomischer Zwänge und Zwecke. Nirgends sonst kommt dies so klar und mit soviel sinnlicher Gewißheit zum Ausdruck, als im Sektor Krankheitsproduktion und -verwertung.

    Aus diesem Spezifikum lassen sich dann auch bereits die initialen Widerstände ableiten.
    Historisch: die immer wieder in der Psychiatrischen Poliklinik von uns aufgeworfene Frage: Wie sieht der Haushalt aus, was wird aus dem von uns erarbeiteten Mehrwert, warum keine weiteren Assistentenstellen etc. (Fragen dieser Art sollen neuerdings – 1971/’72 – wieder zum Rauswurf von 20 Patienten aus der Poliklinik durch Dr. v. Held geführt haben).

    Mittelbarkeit hat die spezifische Bedeutung von Praxislosigkeit. Praxislosigkeit ist als Theorie verkauft = Metaphysik = kein Materialismus.
    Brauchbare Zusammenfassung hierzu: Mao, Ausgewählte Werke, Bd. I, 347, "Über die Praxis".

    Unmittelbarkeit der Patienten in der Psych. Poliklinik während der Vorbereitungsphase. Direkter Praxisbezug wurde artikuliert und bearbeitet: Arbeitsplatz, Wohnverhältnisse, Bett, zugehörige Ideologie, Verhältnis zu politischen Aktivitäten, Demonstrationen etc.

    Unmittelbarkeit des Arztes: persönliche Teilnahme an Demonstrationen, Teach-ins, Demokratismus auf der Kollegialebene, Kandidatur zur Grundordnung. Bearbeitung der Erfahrungsinhalte und des Leidensbewußtseins als konstituierendes Moment der Therapie bis hin zum Kollisionskurs mit Profit und Karrieremetaphysik = Widerstand im Besonderen, wie er sich jeder materialistisch ausgerichteten Berufspraxis als Hemmung von außen und innen darstellen dürfte.

 

B Stufen der Unmittelbarkeit

Direkte Kontrolle, Diskussion mit der Gegenseite, Vollversammlungen der Patienten, daraus folgend: Entlarvung der Gegenseite als System krankheitsstabilisierender Vermittlungen, Aufhebung des Arzt/Patient-Verhältnisses, wechselseitige Selbstkontrolle, Beseitigung der Abstimmungszwänge, Einzelagitation (EA), Gruppenagitation (GA), Arbeitskreise (AK), Veröffentlichung. Prüfung der Ergebnisse und Reaktionen an der Praxis.
Kennzeichnung von außen: "Naiv und militant".

 

C Stufen der Mittelbarkeit

Repressive Toleranz (Anbiederungstaktik, Zusicherungen, Offenheit für die Diskussion); Folgerung: Verkalkte Vernunft löst alle Konflikte.
Denunziation; Folgerung: Vorladungen mit an den Haaren herbeigezogenen Begründungen. Versuche, den Widerspruch Arzt/Beamter reaktionär zu wenden zwecks Konfliktlösung.
Mittel der fristlosen Entlassung und Hausverbot auf Grundlage Beamtenrecht wird "Interesse der Öffentlichkeit". Spätere Begründung durch Verwaltungsgericht bezeichnenderweise in rechtlicher Hinsicht äußerst sparsam, dafür umso mehr politisch gefärbte Entrüstung: "Speerspitze der Revolution" etc. "Rechts"mittel Podlech-Vertrag (immer gegen die Sache, oder daran vorbei, wie’s grade paßte, aber immer, vor allem was die von ihm geführten Verhandlungen mit Dritten anbelangt, patientenfeindlich; hat sich in der Rezepturfrage als Jurist wiederholt von den Medizinern reinlegen lassen, hatte dadurch leichteres Spiel und weniger Arbeit, dafür aber uns gezwungen, einen großen Teil des bißchen Geldes für Medikamente auszugeben und Arzneimittelkosten im Sinne zusätzlicher Ausbeutung (Patienten, die ohnedies ihre Abgaben für die Sozialversicherung weiter bezahlen mußten) aufzubürden, und mehr als 3000,- Mark Gerichtskosten!)

Somit hatten wir es mit einer pseudojuristisch vermittelten Rezepturblockade, ausgelöst durch Oberarzt Oesterreich (d. auch Quick-Artikel, Heft 33/’72 ) zu tun, die im Zusammenwirken zwischen Oesterreich und v. Baeyer zum ersten Polizeieinsatz gegen Patienten führte (März '70). Hungerblockade, Kündigung der Räume etc.

Die weiteren Stufen der Mittelbarkeit können hier durch Hinweise ersetzt werden: Häfner, Hahn, (Heinemann), Quadbeck, Schnyder, Kretz, Knorr (Chef der RNZ "Julius-Streicher-Nachfolge" und Mitglied des Landtags, an den wir trotzdem – Marsch durch die Institutionen – eine Petition gerichtet hatten), Staatsanwalt, Präventivüberfall, Knast und weiter Knorr (jetzt in Verbindung mit Staatsanwalt, Pressekonferenz, Programmierung des "Unparteiischen", Ausschaltung der Verteidigung, Aufbau des "Führers" durch gezielte Strafmethoden etc.).

Der Kontrast zur Unmittelbarkeit wird besonders deutlich an den Mitteln Fern-"Gutachten" (wo bei Thomae das jetzt ablaufende Programm schon vorweggenommen ist, d.h. und macht deutlich, daß sie schon damals darauf spannten, die Gründe für die Entstehung des SPK mit Hilfe von Gerichten zu ermitteln), Weigerung sich der Diskussion zu stellen (Rendtorff, Häfner, Hahn), Rendtorffs Falschspielerei in Sachen Räumungsklage "wir klagen nur, damit Sie drin bleiben können" … "ich vollstrecke nicht").

Schließlich der Kleine Senat als Mittelbarkeit (um die Mediziner nicht noch mehr gegen Rendtorff aufzubringen, d.h. was Patienten wert sind, bestimmt sich aus dem Verhältnis zwischen Rendtorff und Medizinern): "Mit allen staatlichen Mitteln … (SPK beseitigen)".
Unter Vermittlung fällt auch das Hohngelächter der demokratisch konstituierten Mediziner-Vollversammlung und ihre wütende Abwehr, während sie gleichzeitig sich im Zeichen der Sorge um das Wohl der Patienten versammelt hatten, dies und anderes entlarvte das "Patientenwohl" als Aushängeschild.

Soviel zum Widerstand im Besonderen, wie er sich aus dem allgemeinen Widerspruch kapitalistische Wirtschaft/Proletariat unter der Bestimmung Krankheit ergibt.

 

Nun zu den Widerständen im Einzelnen

  1. Ausgeprägte Angst und Haßbereitschaft gegen alles Kommunistische = Anarchistische = Sozialistische = die-Gesellschaft-Umstürzende. Argumentativ unkorrigierbar. (Ich beziehe mich hier auf die Konferenzdiskussion mit v. Baeyer etc. anläßlich der Schließung der Baldinger-Universität.)

  2. Futterneid, der sich beim Einbruch in das wissenschaftliche Jagdrevier eines Oberförsters (z.B. Häfner) bis zu paranoiden Verfolgungsängsten und Abwehrreaktionen der Revierpächter steigert (im Gutachten von Spazier näher ausgeführt mit Bezug auf eine sozialpsychiatrische Arbeit von W. Huber).

  3. Der Vorschlag einer gemeinsamen Problemlösung durch Klinikordinarius v. Baeyer und krankem Studentenproletariat in Sachen studentische Krankenversorgung in der Psych. Poliklinik löst bei v. Baeyer heftige Zorn- und Ekelreaktionen aus, läuft weg. Sein Verhalten wird nachträglich von der gesamten (?) Ärzteschaft der Klinik gebilligt. Wie soll man diesen Widerstand nennen, vielleicht Kastengeist, oder gibt es dafür einen treffenderen Ausdruck?

  4. Mordanschlag auf Patienten (Urheberschaft zunächst Kretz) durch Auflösung mehrerer Therapiegruppen und Ankündigung weiterer Maßnahmen zur Dezimierung der Patientenzahl; Weigerung, alte Patienten, die nirgends hinkonnten außer Klapsmühle = Totenschein, auch nur noch mit den nötigen bisherigen Medikamenten = Henkersmahlzeit zu versehen. Alles von Instituts wegen. Konfrontation der Kranken mit Rechtlosigkeit:
    kein Anspruch auf Behandlung, kein Einfluß auf Art der Behandlung oder gar auf Teilnahme am Wissenschaftsbetrieb. Alle externen Möglichkeiten waren ausgeschöpft, sonst wären sie nicht hunderte km weit hergekommen, um sich in Heidelberg eine Überlebensbasis zu suchen.

  5.  Bevormundung durch linke Gruppen (Projektgruppe Medizin). Einzelne vertraten gegen uns offen die Interessen der Klinik. Insgesamt: Kranke sind kein revolutionäres Potential. Es kommt auf sie nicht an, sondern auf: Ärztemangel beheben, Pflegepersonal agitieren, Arbeitgeber/-nehmer-Konflikt herausarbeiten, klassenloses Krankenhaus. Also engstirniger Dogmatismus von anno frühe Arbeiterbewegung.

  6. Widerstände gegen die angebliche Irrationalität von Kranken. Gegen rechts, links und liberal mußten wir immer wieder zeigen, daß ein Unterschied besteht zwischen totalem Einsatz in Sachen politische Identität und akademischer (Irr)rationalität, die eine kapitalismusspezifische Spaltung zwischen Gefühl und Intellekt darstellt und sich als Opportunismus, Revisionismus und Subjektivismus äußert.

  7.  Pressehetze: Ablehnung und Fälschung von Gegendarstellungen.

  8. Kein Eingetragener Verein, Kranke keine juristische Person = Ein Arzt, keine Kranken.

  9. Dadurch juristisch zementierte Führerideologie, also Widerspruch zwischen objektiv kollektivem Status des SPK und hierarchischer Interpretation von außen, die nicht ohne Rückwirkung auf das Selbstverständnis mancher Mitarbeiter blieb und "innere" Widerstände provozierte.

  10. SPK-Konzept für die traditionelle Psychiatrie unbegreiflich. "Nicht angepaßte, aber gesunde, leistungsfähige, unbegrenzt belastbare Patienten, gibt’s das?"
    Diesbezüglicher Widerstand: schleunigst zurück zur gebremsten (= Differential) Euthanasie.

  11. Enge Zusammenarbeit zwischen verhetzten Angehörigen, Presse und Kripo. Zwecklügen und Morddrohungen werden von der Kripo bis zum Amtsrichter unterstützt.

  12. Übergriffe der etablierten (praktizierenden) Nervenärzte, die sich der Rückendeckung von Gesundheitsamt, Kollegen und Kripo sicher sind, auf einzelne Patienten.

  13. Wachsende Spitzelaktivitäten, gezielter und diffuser Polizeiterror, Vorladung bei Kripo und Richter ohne adäquaten Anlaß.

  14. Drohbriefe mit Ankündigung von Gewaltmaßnahmen seitens der Bürgerwehr.

  15.  Reaktionäre Einheitsfront Unispitze, Medizin, Ober-Bürgermeister, Kultus-Ministerium (KuMi), Gesundheitsamt, 310 schwerbewaffnete Bullen (zivil und uniformiert), Amtsgericht, Oberlandesgericht (OLG) bei Endlösung SPK.

  16. Das IZRU, in das sich das SPK zum Schutz für Notfälle und zur wissenschaftlichen Unterstützung der politischen Arbeit gleicher Problemgruppen umgewandelt hat, liegt unter heftigem Beschuß der faschistischen Presse (RNZ).

  17. Uni hätte SPK gern in eine "freie Arztpraxis" umgewandelt. Daß dies prinzipiell falsch und in sich widersprüchlich war, wurde schließlich eingesehen. Nun sollte die freie Praxis kostensparend gewissermaßen nebenher laufen (Verhandlungen mit Verwaltungsrat nach Rektoratsbesetzung). Es wurde aber von uns vorgerechnet, daß wir nach Lage der Liquidationsordnung weder für "Privat" noch für Kassen etc. profitträchtig werden könnten (tendenzielle Abschaffung der Medikamente, weitgehendes Überflüssigwerden der traditionellen Untersuchungstechniken). Also ökonomische Widerstände. Dazu gehört auch Fall Durst (vgl. 12.).

 

Situative Bedingungen der Widerstände

Als Irre im volkstümlichen Sinn oder als psychiatrische Fälle im Sinne der Wissenschaft sind wir nie in Erscheinung getreten. Aus irgendeiner irren Anwandlung heraus wurde niemand geschädigt, lief keiner Amok, "beging niemand Selbstmord" etc. Von SPK-Zugehörigen wurden keine Kinder überfallen (aber von der Polizei), keine Sittlichkeitsdelikte, die im Gesetzbuch aufgeführten Greuel, z.B. öffentliches Onanieren, Coitus mit Hunden in der Öffentlichkeit fielen bei uns ebenfalls aus.
Einigen von uns wurden kleine Kaufhausdiebstähle angelastet – spezifisch für Irre? Sog. Wandschmierereien "Selbstmord ist Mord".
Ein weiterer Widerstand wäre eventuell darin zu sehen, daß man sich mit uns nicht glaubte auseinandersetzen zu können, aus Angst, sich dadurch in den Augen anderer etwas zu vergeben oder – und dies kam in der Folge immer deutlicher heraus – uns weder rational, noch was die Bereitschaft zu entschiedener Stellungnahme anbelangt, gewachsen zu sein. Dies interpretieren wir auch heute noch als Krankheit, als bewußtloses Unglück, als emotionale Pest (W. Reich), nicht etwa bürgerlich: als geistige Inferiorität oder psychoanalytisch als Ich-Schwäche etc.

Der spezifische Widerstand, dem wir als Kranke begegneten, war die in jedem unserer Gegner, in jeder der Institutionen – und wir haben jetzt alle durchlaufen – gebundene Krankheit. Bestimmend für beide ist das System totaler Vermittlung, für Krankheit und Kapitalismus und für deren Wechselbeziehung.
Ein Beispiel: Es nähert sich uns eine bestimmte (Amts)person. Wir stellen ihr die Rationalität unserer jeweiligen Praxis gegenüber. Sie fand, vielleicht mit gewissen Einschränkungen, alles richtig. Nun verlangten wir im Rahmen der gesellschaftlichen Funktion die Mitarbeit oder wenigstens ein klares Nein – Resultat: Unter dem Appell an die sie selbst konstituierende Praxis verwandelte sich die Person in eine Schutzbastion metaphysischer Vermittlungen. Selbstverständlichkeiten wurden zum unüberwindlichen Problem, sobald es um eigene Stellungnahme ging, es haperte nun plötzlich am "Durchblick" etc. Dergleichen ist sonst höchstens bei Zuständen schwer psychotischer Gestörtheit zu beobachten.

Angenommen, es ginge um die Stellungnahme zu folgendem Problem: Alle ärztliche Notwendigkeit hat ihren Maßstab im Patienten und in den Umständen, die ihn zum Patienten machen. Sie hat sich jetzt nicht nach den Bedürfnissen des Staats zu richten, es sei denn, dieser ist Patient, wobei es sich dann ja aber nicht mehr um die Anwendung ärztlicher Mittel im landläufigen Sinn handeln kann. Gibt es im Verhältnis Arzt/Patient Widersprüche, die durch den Staat bedingt sind, so hat dieser und evtl. der Arzt, der mit dem Staat allzuviel zu tun hat, zu verschwinden, nicht aber der Patient; oder: Die Universität gründet sich auf Wissenschaft für den Menschen. Gründet sie sich aber auf Macht gegen den Menschen, so ist ihr diese Grundlage zu entziehen.

Diese Gedankengänge hatten schweißtreibende Wirkung, Erzittern ganzer Kollegialorgane zur Folge, lösten Angst, Haß, Verfolgungsideen und Mordimpulse aus und waren begleitet von der Absonderung giftiger Substanz (Kündigung, Zeitungshetze, Räumungsklage, Polizeiknüppel …).
Für oder vielmehr gegen uns hatten diese Absonderungen die Wirkung von Naturgewalten (Hunger, Klapsmühlen mit Elektroschocks und chemisch-pharmazeutischen Giften, Verbluten an inneren Verletzungen usw.).

Wo aber durch aus der Praxis hervorgegangene Gedanken Krankheit zum Ausbruch kommt, deren Folge im Einzelfall Mord, gegen das Ganze tendenziell Massenmord ist, und übrigens alle sonstigen Handlungen und Handlungsansätze, die eingangs als Charakteristika von Irrsinn aufgezählt wurden, da sind diese Gedanken offenbar auf einen Widerstand gestoßen, der nichts anderes darstellt, als eben bewußtloses Unglück, Krankheit. Diese Krankheit, der erscheinende Widerstand, ist seinem Inhalt nach Staat, bewußtlose Macht. Das gemeinsame Wesen ist Kapitalismus. Kapitalismus ist der Grund aller volkstümlichen und wissenschaftlichen Auswirkungen von Krankheit und Irrsinn.

Die Zielrichtung einer kausalen Therapie samt konsekutiven Widerständen ist damit aufgewiesen.

 

Die Krankheit als Kapitalismus und der spezifische Widerstand

Es gibt wohl keine revolutionäre Bewegung, deren Vertreter man nicht in irgendeiner Phase der Auseinandersetzung für verrückt erklärt hätte. Wer ist man? Die Reaktionäre – von Staats wegen Mordwerkzeuge der Gewalt. Jener Macht, die als staatlich legitimierte Gewalt Judenkinder an den Beinen packte und ihren Kopf gegen die Mauer schleuderte; die vietnamesische Kinder, weil sie einem Volk von "Irrsinnigen" angehören, niedermäht, wobei sich die Unterdrücker den grenzenlosen Haß und Zorn jenes Volkes beim besten Willen und Wissen nicht anders erklären können. Dadurch wiederum ist die Diagnose Irrsinn hinreichend gestützt, und die Ausrottung gerät zu einer therapeutischen Großtat.
Es geht um jene Macht, deren solchermaßen verfahrende Henker freundliche, umgängliche und liebenswürdige Menschen sind, solange sie es sich nicht einfallen lassen zu behaupten, sie seien durch Irre zum Äußersten gereizt worden. Es wird sich zeigen, daß Reize von außen gar nicht einmal erforderlich sind, daß die "Therapeuten" des Wahns, oder sollte man nicht besser sagen, die Wahnsinnstherapeuten schneller über das äußerste hinaus sind als vermutet, wenn die Irrenhatz wirtschaftliche Vorteile verspricht.
Das ist dann, wie wenn ein Funke ins Pulverfaß fällt, nur mit dem Unterschied, daß die Explosion größten Ausmaßes ohne jede materielle Kontaktnahme stattfindet – wie gehabt. Das Pulver im Faß setzt sich selbsttätig in Bewegung, dieses führt zur Reibung, Reibung erzeugt Hitze … hinterher sind von dem Funken nicht einmal mehr brauchbare Spuren übrig. Was bleibt, sind die Exkremente – man kann auch sagen Inkremente, dank Urbach & Co – die Exkremente samt Zubehör. Dank Presse und Justiz entsteht aus den Exkrementen neues Pulver und für Wiederholung ist gesorgt (Ansätze zur Genesung).

Dieser Widerstand, um den keine revolutionäre Bewegung herumkommt, der eigengesetzlich Kettenreaktionen auslöst, ehe er als Hemmnis spürbar und ursächlich bewußt wird, ist keine Neuerscheinung.
Marx beschreibt ihn als "eine Krankheit, die diejenigen, die von ihr geschlagen sind, in einer imaginären Welt gefangen hält und ihnen jedes Begreifen der rohen äußeren Welt unmöglich macht". Als Symptom führt er parlamentarischen Kretinismus an. Als Ursache das Zurückschrecken vor jeder revolutionären Veränderung, um sich umso hingebungsvoller der bestehenden Ordnung zu unterwerfen. Nur in Krisenzeiten – wie die Neurosen bei Individuen – tritt diese Krankheit, die in einer offiziell gesunden und friedfertigen Gesellschaft steckt, offen in Erscheinung (vgl. Glucksmann, in "Revolution Frankreich 1968", S. 26 u. 27).

W. Reich hat die historischen und ökonomischen Verflechtungen zwischen Familie und Staat auf der einen und physiosozialer Defektstruktur – die freilich als das Normale gilt, weil sie unter den Bedingungen des Kapitalismus aller Spielarten regelhaft ist – aufgezeigt.
Wir haben diese destruktive Einheit durch unsere politische Praxis aufgespalten in (Psycho/Sozio)Pathologie und Staatsmaschine. Nur so nämlich, durch Patienten, konnte deren destruktive Einheit deutlich werden, und nur so ist es möglich, Kapitalismus als Krankheit für die politische Praxis insgesamt relevant zu machen.

Das vorläufige Ergebnis: Es resultierten schwerbewaffnete Dämmerattacken seitens der Staatsgewalt. Und schwerste Defektzustände der etablierten Medizin und ihrer Anhangsgebilde konnten im Kontrast zur Patientenselbstorganisation herausgearbeitet werden.
Ausgelöst wurden die überwertigen Ideen und Reaktionen nicht durch die Tatsache, daß wir als Patienten auftraten. Sie erscheinen dadurch nur noch deutlicher, was den Grad an Brutalität anbelangt, der geeignet sein kann, Eindruck zu machen. Wer andererseits, ob Student, Arbeiter, Lehrer, Rechtsanwalt, Hausfrau, Lumpenproletarier, Arzt, Theologe oder als was auch immer sonst, an einer Praxis teilnimmt, die Verhältnisse und Menschen ändert, wird sich früher oder später mit gegnerischen Aktivitäten konfrontiert sehen, die ihn als gemeingefährlichen Verrückten kennzeichnen, um ihn abschußreif zu machen.

Bei "Irren" ist dies einfacher. Als Patienten, Lumpenproletarier und Proleten befinden sie sich von Anfang an in der Illegalität. Ihrer Vernichtung muß die Kriminalisierung durch das System vorausgehen. Nichts einfacher als das: Die Projektion der kriminellen Inhalte unserer Staatseinsiedler auf die Masse der Kranken genügt. Dem spezifischen Widerstand Krankheit, dem wir begegneten, muß keinesfalls ein spezifischer Reiz entsprechen. Umgekehrt, das Gegenteil ist richtig: Kranke begegnen dem spezifischen Reiz, der immer schon auf dem Sprung ist, sich in den spezifischen Widerstand zu verwandeln.

Wir verstanden uns von vornherein als Patienten und gaben uns auch als solche zu erkennen. Ein spezifisches Abwehrsystem, das für seine Träger typisch ist, keineswegs aber nur im Zusammenhang mit "armen Irren" beobachtet wird, war das erste Resultat: die Mischung aus Caritas ("aber nicht zu aufdringlich, denn man kann ja nicht wissen") und äußerster Distanz ("ebenfalls möglichst unmerklich, denn man kann ja nie wissen").
Unsere direkten Gegner hüteten sich lange, uns öffentlich als "Irre" abzuklassifizieren. (Dagegen seit Beginn der Auseinandersetzung als Verbrecher.) Höchstens potentielle Bündnispartner nahmen diese Möglichkeit gelegentlich wahr, um unsere politische Arbeit in die Schranken zu weisen. Unser Auftreten wurde durch die Gegenseite zu einem spezifischen Reiz gemacht und überkompensiert durch ausdrücklich konventionelle Verhaltensschemata. Konvention aber ist Realitätsferne, kann daher heftigsten Spannungen ausgesetzt sein, wenn der andere nicht "mitspielt".

Das, wovon einige von uns gefürchtet hatten, es würde als Go-in aufgefaßt, haben die Ordinarienleute trotz äußerster Beklommenheit ob der drohenden Patientenrebellion versuchsweise in ein Besuchsstündchen verwandelt.
Dasselbe Ereignis, auf das wir hier anspielen, kommentierte der durch die Gegenseite informierte Dekan der Medizinischen Fakultät spontan als eine Führer-Fußvolk-Aktion – der Herr ist Schweizer, Demokrat, mußte es eigentlich besser wissen, hatte aber offenbar auch kein anderes Schema parat – , und die Betroffenen mußten hinterher lange reden, um ihm klar zu machen, daß, alles Böse sonst unterstellt, jedenfalls weit und breit weder ein "Führer", noch Führung zu bemerken gewesen sei.

Dem Rückzug auf das Traditionelle schloß sich bei solchen Begegnungen dann unter Zeichen zunehmender nervöser Erschöpfung – nicht auf Seiten der Patienten! – der irreale Hinweis auf Sachzwänge "höherer Ordnung" an, meist verbunden mit Beteuerung der eigenen Ohnmacht. Nach dem Verständigungstreffen trudelten dann auch bald Macht und Gewaltakte "höherer Ordnung" ein, in Form von Verwaltungserlassen. Es liegt in der "Natur" solcher Verwaltungsakte, daß der Bezug zum Urheber dunkel bleibt, weil ja nun gewissermaßen der Staatsapparat, die präparierte Gewalt in toto antwortet ("… Ich habe die ganze Sache dem XY übergeben, habe also damit gar nichts zu tun").

Die Presse als dritte Kraft sah die arme Psychiatrie der Verfolgung durch Patienten ausgesetzt, und unsere Gegner, samt anhängender Bürokratie, soweit sie nicht der Presse die zu schreibenden Artikel selbst in den Mund gelegt hatten, konnten nach diesem Einstieg in das selbstfabrizierte Wahnsystem – für sie bleibende Grundlage aller Selbstbestätigung – mit bestem Gewissen gewalttätig werden.
Nun war jeder direkte Gewaltakt seitens Bürgerwehr, Schlägertrupps, Bullentrupps und hinsichtlich Entzug der Räume und Mittel im voraus gedeckt und vermittelt durch ein behördlicherseits gut eingespieltes Wahnsystem.

Um die Wahnarbeit, die zwischen dem Rauswurf der Patienten und dem Beginn der ersten Maßnahmen in Sachen Patientenkontrolle, Patientenvollversammlungen etc. begann und die – dies zeigen die einschlägigen Artikel in der RNZ – innerhalb weniger Wochen abgeschlossen war (wie es die Regel ist für Zustände, die von Psychiatern als paranoid-halluzinatorische Psychose etikettiert werden), um diese Wahnarbeit hatten sich als Vorarbeiter besonders verdient gemacht: Kretz, v. Baeyer, Oesterreich und wahrscheinlich vermittels einer alten Bekannten des Herrn v. Baeyer, auch Herr Knorr, Chef der RNZ und Mitglied des baden-württembergischen Landtags. Später wurde dann noch Uni-Rektor Rendtorff aktiv. Auf der Basis des kollektiven Wahns, gegen Augenschein und ihm gebotene Möglichkeit der Information, unterschrieb er Rauswurf und Hausverbot. Sein spezifischer Beitrag zum Wahnsystem ist vielleicht darin zu sehen, daß er fest an die Identität von Arzt und Staatsbeamten geglaubt und die Kranken in der Eile übersehen hatte.

Jede Selbstwahrnehmung, jede Maßnahme dieser "Wahnproduzenten", soweit sie sich auf uns bezog bzw. nur entfernt mit uns zu tun hatte, diente, wie das in solchen Fällen eben so zu sein pflegt, der Verfestigung des Wahnsystems. Wer dort nicht gegen uns mitspielte oder lieber nicht mitgespielt hätte, dem drohte, zumindest glaubte er das – dies wenigstens begründetermaßen! – der Verlust der Arbeitsstelle und die übrigen bekannten Sanktionen und Frustrationen.
Angst und Existenzunsicherheit, notwendige Grundlage und Begleiterscheinung des Menschen im Kapitalismus, d.h. seiner puren Mittelhaftigkeit, konnten, nachdem sie durch die Gegenseite aktiviert worden waren, nun getrost auf uns bezogen werden.

Im selben Maß, in dem wir durch Einsicht in die Zusammenhänge sicherer wurden, den drohenden Entzug der Behandlung, für viele, wie sie bis dahin glauben gemacht worden waren, unabdingbare Lebensbasis und den Verlust der Arbeitsstelle als das kleinere Übel gegenüber der jahrelangen Anpassungspraxis an das Gesellschaftsspiel Profit und Mord einschätzen lernten, im gleichen Maß wuchs die psychotische Erlebnisbereitschaft der Gegenseite.
Der Psychiater und Ober"arzt" Blankenburg demonstrierte Phänomene massivster Art und ausgesprochen psychopathologischer Relevanz in Form wiederholter Personenverkennung, panischer Fluchtreaktion bei Konfrontation mit Patienten und war schließlich längere Zeit durch Krankmeldung außer Verkehr. Laut persönlichem Zeugnis des Klinikchefs, Herrn v. Baeyer, war unser Verbleiben in der Klinik deshalb unmöglich geworden, weil alle angeblich Angst vor uns hatten.

Wie dies allerdings aus unserer damals vergleichsweise geringen Anzahl, aus der Tatsache, daß wir die Objekte härtester Strafmaßnahmen waren und überhaupt aus unserem Patientenstatus zu erklären sei, wußte er auf wiederholte ausdrückliche Rückfrage nicht zu beantworten. Aufgrund zahlreicher Berichte von Patienten und sogar Ärzten der Klinik steht hingegen zweifelsfrei fest, daß dort die komprimierte Angst schon immer festen Wohnsitz hatte. Die Angst vor Ordinarien, Oberärzten, Pflegern, Assistenzärzten und barmherzigen Schwestern.
Erstaunlich, daß Herr Prof. v. Baeyer sich die Angst nicht erklären konnte, denn nach gültiger Meinung (es steht sogar schon in Illustrierten) und Lebenserfahrung sind es doch gerade Psychiater, die zwar nichts wissen, dafür aber für alles eine Erklärung haben.

Gerade die Unwissenheit oder das untätige Wissen (selbstverschuldet!) um die sozio-ökonomischen Grundlagen ihres Fachs macht Psychiater und Ärzte insgesamt zu dem, was sie sind, zu Schamanen der Verschleißregulation und Menschenvernichtung im Kapitalismus.

Werden sie nun durch Patienten mit ihrer spezifischen Funktion im Prozeß kapitalistischer Produktion konfrontiert, so sind sie von Anfang an in der schlechteren Position. Den Patienten macht es nichts aus, sich als Objekt, als Ware, als Abfall zu verstehen.
Im Gegenteil: sie geben dadurch ihrem Selbstgefühl, das ihnen, mehr als anderen, noch nie etwas anderes angezeigt hat, als eben dieses, ihr wirkliches Sein (Abfall, Ware, Objekt), die wissenschaftliche Erkenntnisbasis zurück, die ihnen diese Gesellschaft aus ideologischen Gründen vorenthalten und soweit sie keimhaft dennoch hervortrat, bestritten und zertreten hat. Denn aufgrund der bürgerlichen Ideologie ist Krankheit Schicksal, Selbstverschulden, Schande, Vererbung, Gefahr in erster Linie für andere … . Wo aber Erleben, objektiver Zusammenhang und Wissen übereinstimmen, sind die Voraussetzungen für eine unmittelbare Praxis gegeben samt Perspektiven der Veränderung. Der Objektcharakter ist tendenziell überwunden.

Ganz anders das Verhältnis unserer Medizinmänner zum Produktionsprozeß im Kapitalismus. Ihr Bann wurde durch die Einsicht der Patienten in die objektiven Funktionen dieser "Gesund"beter gebrochen. Sie gerieten unter die Kontrolle der Kranken, waren nun ihrerseits Objekte. Waren sie vorher als Objekte des Staats mit diesem widerstandslos verschmolzen, um dessen Macht gegen die Patienten zu kehren – zwar getarnt als sich kümmernd und aufopfernd zum Wohl der Patienten – , woraus sie für sich sogar die Illusion ihres Subjektseins ableiten konnten, so standen und stehen sie nun als ihres Nimbus beraubte Objekte da und können nicht mehr verdecken, daß ihre Aktivität die Macht des Staates, mit allen ökonomischen familiär-repressiven Grundlagen und Anhängseln, zur Voraussetzung und zum Ziel hat.
Darauf sind sie aber durch ihre objektive Funktion im Gesellschaftsprozeß bestens vorbereitet. Denn ihre präventive und aktuelle Therapie und Wissenschaft dient dem vergeblichen Bemühen, die kapitalistische Wirtschaft gegen Krisen zu "heilen" und den Staat zu stärken auf Kosten der Kranken. Die Rentabilitätssteigerung des Faktors Krankheit ist das objektive Ziel ihres Handelns, gleichgültig, was sie sich auch immer als Person und Kaste an Einbildung zurechtlegen.

Durch den Ausschluß der Poliklinikpatienten hatten sie sich der Glaubwürdigkeit, daß es ihnen nur um das Wohl der Kranken zu tun ist, beraubt. Ihre Verteidigungsversuche, die Universität sei nur für Forschung und Lehre zuständig und müsse deshalb Kranke ausschließen, machte deutlich, daß diese Forschung und Lehre, die über die Leichen der Kranken geht, mit Krankheit als kollektiver Wirklichkeit dieses Gesellschaftssystems jedenfalls nichts zu tun haben kann.
Die Angst der Psychiater vor einer Handvoll Kranker wurde denn auch von Zaungästen des Wahnsystems genügend bespöttelt, kommentiert und glossiert. Aber die wenigsten unter den Außenstehenden ahnten auch nur das Ausmaß an gewalttätiger, archaischer Energie, das die – durch unsere politische Praxis und die daraus resultierende Therapie – eingeleitete Spaltung der Einheit Schamanentum und Staatsbürokratismus auf dem Sektor Psychiatrie/Medizin freisetzen würde.

Schon zu Beginn, spätestens aber als wir das Flugblatt unter dem Titel "Patienten entlarven die Psychiatrie ihrer Verfolger" veröffentlichten, war uns klar, daß die Psychiater früher oder später die Bullen auf uns hetzen würden. Sie hatten uns mit Hilfe der Hetzpresse längst zu gemeingefährlichen Irren hochstilisiert. Aus gegebenem Anlaß? Aus einer psychologisch deutbaren Paranoia heraus? Weder noch!
Der Widerstand, den ein System nach außen kehrt, ist qualitativ und quantitativ weder gleich dem Reiz noch dem Motiv. Vielmehr ist der Widerstand die immanente Schranke des Systems selbst, sein Wesen, durch das es in sich zurück und über sich hinaus getrieben wird. Im vorliegenden Fall, schlicht die Gewalt gegen Kranke, nicht mehr als Psychiatrie/Medizin, sondern als das wirkliche Sein und Wesen beider, als Staatsgewalt. Man beachte, daß der Reiz SPK nicht irgendwo als giftiges Heilkraut auf dem Feld gewachsen ist, sondern sich konsequent im Systemzusammenhang der Psychiatrie und aus diesem Totenkopf heraus entwickelt hat. Ebenso klar ist, daß es niemanden gibt, der – Produkt eines auf Ausbeutung gegründeten Systems – nicht den Keim der psychotischen Umdeutung von Erlebnissen in sich trägt (Erbleiden Kapitalismus).

Es ist daher notwendig, will man die Krankheit, die uns hier als Widerstand begegnet, begreifen, sie auf ihre wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geschichtlichen Bedingungen zu untersuchen. Mit anderen Worten: unterliegt die Psychiatrie und das Gesundheitswesen im Allgemeinen vielleicht inneren Zwängen und Widersprüchen, die sie als Bestandteile des kapitalistischen Staatsapparats gelegentlich krisenhaft nötigen, die Kranken zu verteufeln, etwa sie als überflüssige (Hemmnis für "Forschung und Lehre") Fresser, Faulenzer, Gewalttätige und gemeingefährliche Irre, Wildwuchs, Futter für Knast und Gaskammer "marktreif" zu machen?
Trifft dies zu, dann wäre auch mit der Erscheinungsform des Gegenteils zu rechnen, daß nämlich für die Kranken als die guten, die fleißigen, kurz, als die besseren Menschen Werbung betrieben wird (Identität der Gegensätze).
In der Tat, beides kommt vor. Die Irrenärzte der Pionierzeit, das ist erst etwa gute hundert Jahre her, pflegten, wenn sie die Regierung um Geld angingen, ihren Bittgesuchen dadurch besonderen Nachdruck zu verleihen, daß sie darauf hinwiesen, wie wichtig und wie sehr im öffentlichen Interesse (juristische Floskel zur Absicherung der Profitinteressen!) es doch sei, für die bekanntlich so gewalttätigen Irren sichere, wenn auch vielleicht sehr kostspielige Verliese zu bauen. Und siehe da, der Hinweis auf die Gewalttätigkeit brachte die Moneten des geizigsten Potentaten (= Machthaber) in Fluß. In der Nazi-Ära wurden die Kranken dann bekanntlich in der Universitätsklinik, gerade auch in Heidelberg, sowohl psychiatrischer- als auch chirurgischerseits dahingehend (kraft "Freiheit der Wissenschaft") ausgesucht, ob sie in eigens für sie errichteten Gaskammern weiter zu behandeln oder ob sie "nur" zu sterilisieren wären. Das Ganze, wie man weiß, zur Reinhaltung der Rasse.
Den Konzernbesitzern genügte dieses Argument! Daraus ersichtlich, daß die für die Gaskammern und die Freiheit der Wissenschaft erforderlichen Moneten flossen. Davon abgesehen, sind Gaskammern natürlich sehr viel ökonomischer: kurzfristige Verpflegungskosten von der Einlieferung bis zum Mord. Irrenhäuser kann man abreißen, wenige Gaskammern im ganzen großdeutschen Reich genügen.

Gegen Kriegsende kam es dann zu einer Wendung um glatte 180 Grad. Die Produktion in den Rüstungsbetrieben litt unter vielfältigen Mängeln. Vor allem ließ trotz gelegentlich geübter Lynchjustiz der Fabrikgewaltigen der Leistungswille der Kriegsgefangenen nach und ihre Bereitschaft zur "Gewalttätigkeit" in Form von Sabotageakten, Mundraub usw. wuchs.
Da machte der Heidelberger Ordinarius für Psychiatrie, Prof. Carl Schneider, der seine Vorlesungen meist in der SA-Uniform zelebrierte – er hat sich hinterher erhängt – , aus der Klinik heraus, in der in hunderten von Fällen über Gaskammer oder Sterilisation unter seiner Oberaufsicht entschieden worden war, folgende dringliche Meldung an das Führerhauptquartier: Ein großer Teil der Kranken in allen Anstalten sei arbeitswillig, leistungsfähig, überhaupt nicht gewalttätig, politisch zuverlässig. Zur beschleunigten Erringung des Endsieges sei es daher von nicht zu unterschätzender Bedeutung, die Kranken statt der Gefangenen in der Rüstungsproduktion zu verwerten.

Man sieht: Verteufelung bis zum Massenmord und tendenziell totale Ausrottung. Auf der anderen Seite Vergötzung bis zur völligen Preisgabe derselben wissenschaftlichen Grundlagen, die vorher für die Vernichtung verwendet wurden!
Alles in derselben Ära, alles bezogen auf dieselben "Irren". Folge der Massenpsychologie des Faschismus? Na freilich, auch das und sicher noch manches andere. Aber beachten wir lieber den Wandel, den der Widerstand in sich selbst erfahren hat. Er ist aus der Hemmung (= Ausrottung) in die Aktivierung und Mobilisierung der "IRREN" umgeschlagen. Also vielleicht doch eine Form der politischen Schizophrenie – hat, wenn ich nicht irre, nicht schon Kraepelin die Ambivalenz als zentrales Charakteristikum der Schizophrenie ins Lehrbuch gebannt?

Quatsch! In der ersten Phase der faschistischen Ära lief die Rüstungsindustrie auf Hochtouren, ausbeutbares "Menschenmaterial" war reichlich vorhanden, nur nutzlose und mißliebige Fresser (= Konsumenten) waren unerwünscht, denn der Reichsnährstand mußte auf einem vergleichsweise unrentablen Sektor: Lebensmittel, haushalten.
In der Bevölkerung hieß es, wenn die Nachricht von dem "plötzlich und unerwartet" eingetretenen Tod eines "Irren" eintraf, lakonisch: "Ein Fresser weniger, es war ja auch das Beste so." (Diese Bemerkung stammt von dem Bruder dieses in den Gaskammern ermordeten "Irren", einem zu Anfang des Krieges noch heimlichen, nach dem Kriege offenen Antifaschisten!) In der Endphase der faschistischen Ära lief die Rüstung erst recht auf Hochtouren, zu essen gab es sowieso nichts mehr und ausbeutbares "Menschenmaterial" war auch Mangelware (s.o.).
Die für den Vernichtungsfeldzug gegen Kranke wesentliche ökonomische Situation war dieselbe geblieben.

Der ideologische Fanatismus jenes Prof. Schneider hatte nicht zuletzt kraft der in Sachen Wissenschaft getätigten Fortschritte noch erheblich zugenommen. Nur an den ökonomischen Bedingungen hatte sich nichts geändert. Der Salto mortale, der Umschlag des Widerstandes in sein Gegenteil, war bedingt durch die Notwendigkeit, die Ware Arbeitskraft auszuwechseln. Und schließlich handelte es sich nur formal, nur erscheinungsmäßig um einen Umschlag von Hemmung in Aktivierung, von Verteufelung in Vergötzung, von drohender Vernichtung in die Aussicht, zu überleben. Die Kranken hätten in den Betrieben auf einer noch schmaleren Selektionsrampe balancieren müssen. Im Netz der durch Hunger und Leistungszwang in der faschistischen Endphase bestimmten Auswahlkriterien wären die meisten derjenigen hängen geblieben, die bis dorthin die Kriterien der Nazi-Psychiatrie und den "Arbeit-macht-frei"-Zynismus der KZs überstanden hatten.
Es war also weder die den Kranken sonst zugeschriebene Gewalttätigkeit und Gemeingefährlichkeit als Vorwand nötig, um sie im Interesse der Rüstungsgewinne auf die eine oder andere Art zu liquidieren, noch Kommunisten- und Anarchistenfresserei.

Die angespannte Lage auf dem Sektor Volkswirtschaft und Reichsnährstand genügte, um sogar dem Gegner des Systems die Menschenvernichtung plausibel scheinen zu lassen.

An wissenschaftlicher Legitimation konnte es nicht fehlen, denn diese hatten sozusagen auf Vorrat die Universitäten bereitwillig geliefert. Es handelte sich dabei ohnedies nur um ideologisches Beiwerk. Das Dogma Rasse und Vererbung hatte sich, aufs Ganze bezogen, ohnedies nicht durchgesetzt.

Medizin und Gesetzgebung genügten schon vollauf.

Diese zur Vorbereitung, jene als Regulativ der Exekution.

Rüstungsmonopole und Führerhauptquartier hatten das Programm geliefert, die Medizin, angeführt durch die Psychiatrie, verpaßte ihm die wissenschaftliche Politur und legte gleich mit Hand an. Die Widerstände, auf die Kranke in jener Ära stießen, waren, nach Wesen und Ursache, nichts anderes als die Zwänge der ökonomischen Verwertung.
Der Staat sorgte für Rüstungsgewinne, die Rüstungskonzerne steigerten die Staatsmacht, die Massen verfielen dem nationalistischen Machttaumel und ließen sich suggerieren, daß dies alles Sozialismus sei, weil der Staat, also jeder Einzelne, der Wirtschaft das Programm vorschreibe (Staatssozialismus). Die verbogenen Bedürfnisstrukturen konnten sich dem Sog nach Leistung und Macht, den diese Riesenmaschine ausübte, widerstandslos überlassen. Die Wirklichkeitsnäheren, die "Geisteskranken", deren Bedürfnisse in den Sog dieses Programms nicht paßten, hatten keine Gelegenheit mehr, ihresgleichen zu begegnen. Was sie antreffen konnten, waren die tödlichen Widerstände der Repräsentanzen von Ökonomie und Macht.

Hier zeigt sich der Kapitalismus auf dem Gipfel möglicher Zwiespältigkeit. Einerseits unüberbietbare Entfesselung der Produktivkräfte; ebenso als Spitze potenzierter Gewalt, gleichbedeutend mit dem Rückfall in die Anfänge der Menschheitsgeschichte. Durch kollektive Anstrengung wurde die Natur als Gewalt gegen den Menschen überwunden. Soll man mit H. Marcuse zwischen Gewalt im Sinne Naturgewalt und Zwängen im Sinne gesellschaftlich bedingter Gewalt des Menschen gegen seinesgleichen unterscheiden, um den Schein zu bestärken, Zwänge seien schon ein Fortschritt gegenüber der Naturgewalt aus grauer Vorzeit?
Keineswegs; denn die kapitalistische Wirtschaft aller Spielarten ist potenzierte Naturgewalt. Als Träger des kapitalistischen Wirtschaftsprozesses kehren wir sie millionenfach verstärkt gegen uns und unseresgleichen und sind je nachdem gedankenlose oder stolze Handlanger der kollektiven Selbstzerstörung.
Je verrückter, umso wirklicher: Der Widerstand Natur ist durch den Widerstand Kapitalismus ersetzt, der sich anschickt, den Widerstand Mensch zu beseitigen (und sich selbst dadurch die Basis entzieht).

Je mehr Zeit dieses Unternehmen beansprucht, umso besser für den Kapitalismus.

Schaffen wir den umgekehrten Fall!

Das Gesamt dieser Vermittlungen und Zusammenhänge hat Marx vor mehr als 100 Jahren mit beispielloser Pedanterie dargestellt. Nebenbei: Marx kannte sich auch schon ganz gut mit "Krankheit" aus: "… Der Idiotismus der jetzigen Bürgerwelt kann nicht besser gezeichnet werden als durch den Respekt, den die "Logik" des Millionärs … ganz England einflößte." (MEW Bd.11, S. 437).
Schon lange vorher war allgemein anerkannt, daß Selbstzerstörung, zumal wenn sie kollektiv auftritt, als Folge von Geisteskrankheit aufgefaßt werden muß. Das System der Ausbeutung hat Marx gelegentlich so charakterisiert: "Die kapitalistische Produktion ist überhaupt, bei aller Knauserei, durchaus verschwenderisch mit dem Menschenmaterial, ganz wie sie andererseits, dank der Methode der Verteilung ihrer Produkte durch den Handel und ihrer Manier der Konkurrenz, sehr verschwenderisch mit den materiellen Mitteln umgeht und auf der einen Seite für die Gesellschaft verliert, was sie auf der anderen Seite für den einzelnen Kapitalisten gewinnt." (MEW, Bd. 25, S. 97)

Wer sich dennoch als "Menschenmaterial" verschwenden, verheizen läßt – und wer tut das nicht? –, wer die Produkte seiner Tätigkeit, die seine Lebenszeit, Nerven, Muskeln, Gehirn enthalten, als Abfall behandelt und behandeln läßt und keinen Widerstand spürt oder sich weigert, ihn zu erkennen und aus dieser Erkenntnis praktische Konsequenzen zu ziehen – mehr noch! –, wer diesen Widerstand durch eigenes Zutun gegen sich und andere aktiviert und tausenderlei Gründe vorbringt, die dieses Verhalten in seinen und den Augen anderer rechtfertigen: Zu dessen Charakterisierung möchten wir jedenfalls nicht den Ausdruck Entfremdung benutzen, sondern schlicht vorsätzliche Teilhaberschaft am Wahnsinn der herrschenden Klasse diagnostizieren.
Er paßt in jedes Schema der traditionellen psychiatrischen Diagnostik: Er teilt sich mit der kapitalistischen Produktionsweise und der Rechtsprechung in Selbstgefährdung, Gefährdung anderer und Verwahrlosung. Angst und deren hunderterlei Abwehrmechanismen, Verfolgungs- und Größenideen, Schuldimport und -export, Ambivalenz, Selbst-, Fremdschädigungs- und Kontrollzwänge und vieles andere sind lediglich Widerspiegelung und ansatzweise Vergegenständlichung der kapitalistischen Verteilungs-, Selbstschutz- und Produktionsvorrichtungen, an die er mittelbar in einem Ausmaß gebunden ist, das jede Selbstbewegung unmöglich macht.

Nur bei den sogenannten Kranken erreicht die Vergegenständlichung jenen Grad an Objektivität, der als konkrete Wiedergabe der kapitalistischen Wirklichkeit deren tendenzielle Überwindung zum Keim und Zentrum hat: Das Kompensations- und Anpassungssystem, zusammengesetzt aus Angst und Zwängen, kann überfordert werden, gerade bei der Mehrheit, den krankhaft Normalen. Die Überforderung geht von dem drohenden Verlust der ökonomischen Basis aus, sei es durch tatsächliche Krisen, sei es durch propagandistische Verunsicherung. Kurzschluß im System der metaphysischen Vermittlungen!
Das Irritiertsein macht sich am Feindbild, dem "Geisteskranken", dem "Terroristen", dem Revolutionär fest. Die in ihrer ganzen Brüchigkeit spürbar gewordene ökonomische Basis äußert sich nun durch ihre Sachwalter hindurch als induziertes Irresein, dessen Ausbreitung und Intensität proportional der Staatsgewalt ist, auf die es sich stützt.

Die Frage nach dem Widerstand gegen sog. Geisteskranke reduziert sich also auf die Frage: wie sich die ökonomische Basis im Erleben aller reflektiert, wobei die Beibehaltung der durchaus irrsinnigen ökonomischen Basis ihrerseits das psychopathologisch deformierte Erleben insgesamt widerspiegelt, das wissenschaftlich in den Rang des "Normalen" erhoben ist.

Der Widerstand gegen die proletarische Revolution ist identisch mit dem Widerstand gegen die sogenannte Geisteskrankheit. Aus der Sicht der herrschenden Klasse werden konsequenterweise revolutionäre Aktivitäten als "Massenpsychose", bestenfalls als kriminelle Auswüchse fehlgeleiteter Idealisten eingestuft, wobei Idealist bestenfalls eine Umschreibung für "arme Irre" ist.
Die Klasse der Ausgebeuteten sieht in der revolutionären Erhebung ein Wahnsinnsunternehmen, das sie in Form der "Verbrechensbekämpfung" und der Abwehrhaltung gegen "Geisteskranke" bei sich selbst zu unterdrücken sucht. Hinter beiden Positionen stehen ökonomische Interessen. Auf der einen Seite Profitstreben, auf der anderen das Streben, den die Profite ausspuckenden Apparat im vermeintlich eigenen Interesse um jeden Preis funktionsfähig zu erhalten.
Der Kapitalist befindet sich mit sich selbst in Widerspruch, indem er gezwungen ist, auch noch den Strick zu verkaufen, an dem er aufgehängt wird (Lenin). Aber gerade der Umgang mit Krankheit in Gestalt des kapitalistischen Sozial- und Gesundheitswesens sichert ihn gegen den Verkauf dieses letzten Strickes bestens ab.
Die Ausgebeuteten befinden sich mit sich selbst dadurch in Widerspruch, daß sie durch die Steigerung jener Krankheit, durch deren Abwehr sie glauben, ihr Überleben sichern zu können, den kapitalistischen Profitapparat in seiner Funktionsfähigkeit gefährden. Dies stellt sie vor die Wahl, das Heer der "geistig Behinderten" in Wartezimmern, Rehabilitationszentren und Irrenhäusern innerhalb der nächsten Jahrzehnte um Zehnerpotenzen zu vermehren oder das "Wahnsinnsunternehmen" Revolution einzuleiten, um der galoppierenden Entwertung und Vernichtung zu entgehen.

Es waren denn auch weder kleinbürgerliche Idealisten noch proletarische Überlebenskünstler sondern Patienten, die den 2. Weg propagierten, indem sie den Widerstand als Krankheit erkannten und seine Überwindbarkeit durch ihre politische Praxis demonstrierten.
Denn wieviele und welche ernstzunehmenden Ansätze einer auf Überwältigung dieses Widerstandes oder auch nur auf seine Entlarvung zielende proletarische Revolution findet man derzeit in den Wohlstandsmetropolen? Ansätze zur Beseitigung der kapitalistischen Wirtschaft, die es aber zugleich mit den Menschen als Produkt und Träger dieses Wirtschaftsprozesses zu tun haben, folglich mit dem System (Staats)gewalt und Geisteskrankheit? Weder Weltkriege mit ihren in Millionen zu messenden Verlusten an "Normalen" noch Wirtschaftskrisen haben es erreicht, etwa vorhandene "Ansätze" hervorzuzaubern. Übrigens ist es müßig zu fragen, welcher Widerstand schwerer zu überwinden ist, die kapitalistische Wirtschaft oder die kollektive Menschenvernichtung – "Geisteskrankheit", seelisch-geistige Behinderung und wie die euphemistischen Bezeichnungen scheinhumaner Psychiatrieprofessoren sonst noch heißen mögen – beide sind ohnedies identisch.

Vom Standpunkt der politisch bewußten Patienten war der Widerstand nach Ursache, Art und Zielrichtung eine Funktion im Verhältnis zwischen ökonomischer Basis und Universitätshierarchie. Zwar erwies sich die Krankheit der in Behandlung Stehenden als notwendiges und letzten Endes erwünschtes Produkt der Produktions- und Konsumtionszwänge, d.h. als Produkt der gesellschaftlichen Totalität überhaupt.
Dazu völlig im Widerspruch aber stand die private Verwaltung und staatliche Aneignung des Kranken und seiner Krankheit. Die Aussperrung der Patienten als Kehrseite und Konsequenz dieses Privatismus war zugleich seine schlagendste Bestätigung, darüberhinaus aber auch Indiz für die vernichtungsspezifische Totalität des Gesellschaftsprozesses und die Möglichkeit seiner Überwindung durch Selbstorganisierung.
Einer mehr oberflächlichen Betrachtungsweise konnte sich die "Patientenrevolte" auch als Ausdruck einer erstaunlichen Realitätsadäquanz der Kranken im Widerspruch zu dem ihnen durch die Schamanen-von-Staats-wegen vorgegaukelten Irresein darstellen. Die aus der objektiven Situation des Patienten resultierende Tätigkeit – sie kann entsprechend seiner Realitätsadäquanz nur eine kollektive sein – ist vom Ansatz her nicht vordergründig gegen Herrschaft gerichtet, sondern hat die Arbeit an den objektiven Grundlagen seines Patientseins zum Gegenstand. Sie zielt auf Teilnahme am Produktionsprozeß, mit dem Ziel, den Grundwiderspruch (zwischen Wirtschaft und Vernichtung, Lohnarbeit und Kapital) zu beseitigen.
Hingegen ist die Tätigkeit des Arztes notwendig auf die Stabilisierung der Herrschaft gerichtet. Sie hat das Unwirkliche zum Objekt, man kann es auch das Irrationale nennen, und steht dadurch notwendig als direkte Gewalt unmittelbar gegen den Patienten.

Gewalt aber ist das Unspezifische, Anorganische, dem grundsätzlich nur durch spezifische Gegengewalt zu begegnen ist. Nur innerhalb eines derartigen Wechselverhältnisses ist auf Widerstände abzuheben.
Die Aktivitäten einer Patientenselbstorganisation würde man hinsichtlich ihrer eigenen Möglichkeiten illusionär überschätzen, es sei denn, man sieht darin nicht mehr als eine Gelegenheitsursache für Äußerungen irrer Gewaltmaßnahmen, die in dem System Psychiatrie/Staat/Kapitalismus als gebundene Energien zur schleichenden oder direkten Vernichtung von Kranken bereitliegen.

In der Wilhelminischen Ära genügte der Hinweis eines psychiatrischen Staatsbüttels auf die Gewalttätigkeit der Irren, um im "öffentlichen Interesse" die finanzielle Hürde auf dem Weg zur totalen Verwaltung der Kranken im Sturm zu nehmen.
In der Ära des Nazismus wäre ihm selbst diese Anstrengung erspart geblieben, denn hier genügte eine bestimmte ökonomische "Zwangs"lage, um tödliche "Widerstände" gegen Kranke in Bewegung zu setzen.

Kranke befinden sich a priori im Zustand der Rechtlosigkeit. Es ist daher auch für den Gegner verlorene Mühe, sie als Einzelne in der Illegalität anzusiedeln oder gar sie zu kriminalisieren. Der Hinweis auf Gewalttätigkeit genügt als Legitimation für Gewalteinsätze gegen Kranke und trifft ja ohnedies nur "Illegale". Für den Denunzianten enthält er die Aussicht auf Gewinn an Sozialprestige, wenn schon nicht unmittelbar materiellen Vorteil. Aber im Kapitalismus hat jede Ware ihren Preis und dessen richtige Bezeichnung ist Krankheit.

Wollte man das Gemeinsame, das Allgemeine der "geistig-seelisch-Behinderten" nennen, so liefe die Suche, wenn sie ernsthaft betrieben wird, im Ergebnis immer auf eine Spielart von Gewalt hinaus. Aber der Widerstand, zu dessen Überwältigung Psychiater und Laien Gewalt als Argument bemühen, geht er wirklich vom Kranken aus, hat er mit ihm überhaupt etwas zu tun?
Weder die ökonomische Barriere, die ein Psychiater durchbricht, wenn er gegen Kranke verbal oder direkt Gewalt gebraucht (– es ist ohnehin kein Unterschied –), noch das gleichsinnige Verhalten von Angehörigen, wenn sie für die Einweisung in die Anstalt sorgen, macht es möglich anzunehmen, daß der Widerstand, der in beiden Fällen überwältigt wird, etwas mit Kranken zu tun hat. Hier werden ganz eindeutig ökonomisch-politische Widerstände, die ihren Grund in der an eine verrückte Wirtschaft angepaßten Denkweise haben, auf dem Rücken der "Kranken" ausgetragen. Alle Beteiligten unterliegen diesen Widerständen.
Aber weit davon entfernt, sie direkt anzugehen, schieben sie den Kranken als Mittel zwischen sich und die ökonomisch-politischen Widerstände.

Der Kranke wird den aus einer irren Wirtschaftspolitik resultierenden Widerständen geopfert, denen er letzten Endes sein Kranksein zuzuschreiben hat, um es den "Normalen" zu ermöglichen, diesen Widerständen auszuweichen und das sie verursachende verrückte System stabil zu halten!

 

Das SPK als Kristallisationspunkt der pathogenen Staatsgewalt. Das "Wohl der Kranken" und seine Verwertung im Kapitalismus

 

Nach Hegel (Wissenschaft der Logik, Bd. II, S. 420, Suhrkamp Verlag) resultiert der Widerstand

  1. aus der Unfähigkeit des Objekts, das Allgemeine in sich aufzunehmen;

  2. aus der Unfähigkeit des Objekts, sich zum Subjekt zu machen, dessen Prädikat das ihm mitgeteilte Allgemeine werden soll. Dem Allgemeinen, das die Macht des Objekts ist, setzt dieses Widerstand entgegen, der zur Gewalt wird, wenn das Objekt starr bleibt, aus sich selbst heraus nicht die Bewegung (Subjektivität = Selbstbewegung) vollzieht, um das ihm mitgeteilte Allgemeine als sein Allgemeines darzustellen (es sich zum Prädikat zu machen). Die Manifestation dieser Starre (abstrakte Negativität als Einzelheit gegen die Mitteilung des Allgemeinen) ist der Untergang.

Ein gegenüber der gesellschaftlichen Totalität (dem Allgemeinen) keiner Mitteilung zugängliches Gesundheitswesen, isolierte, in sich unbewegliche Einzelheit, ein kompakter Block, der nur aus Gewalt gegen Kranke besteht und dessen Versagen längst manifest ist: In dieser Form lassen wir das Objekt unserer Agitation‚ die Allianz Psychiatrie, Medizin, Universität und Staat zurück.
Seine Klassenherrschaft wurde von uns bis zur Nahtstelle CDU – Landesregierung/ Verfassungsschutz entlarvt, denn sie reagierten feindlich gegen das Gemeinsame, gegen die gesellschaftliche Totalität, aus der sie ihre ideologische Legitimation ableiten, aus der gesellschaftlichen Totalität, die ihr Brotherr, der wahre Eigner der Institutionen ist, die sie gegen die gesellschaftliche Totalität in Bewegung setzen.

Von Anfang an setzten sie an die Stelle der Krankenbehandlung "Forschung und Lehre" und an die Stelle der wissenschaftlichen Auseinandersetzung öffentliche Mordhetze gegen Kranke, Verwaltungsakte und Waffenarsenale der Polizei.

Der Widerstand wird dadurch überwältigt, daß ihm seine Grundlagen, seine Stützpunkte entzogen werden. Die Allianz "geheime" Staatspsychiatrie und was darin beschlossen ist, gibt bis zum heutigen Tag, und wenn wir es nicht ändern, bis in alle Ewigkeit ihren Stützpunkt unreflektiert preis: die Wissenschaft für den Menschen, zu dessen Befreiung von den potenzierten Naturgewalten, die ihm als gesellschaftliche Zwänge in Form der Staatsgewalt, deren Keimzelle bekanntlich die Familie ist, gegenübertreten.

Wir hatten leichtes Spiel, den auf diesem Fundament beruhenden Widerstand zu überwinden: Ordinarius und Oberärzte erklärten einstimmig und öffentlich, unterstützt von Assistenzärzten und Pflegepersonal, die Universität habe es praktisch und wissenschaftlich weder mit dem Kranken als Einzelnem noch mit der Masse der Kranken zu tun. Tja, womit sie es denn dann zu tun hätten, war die erstaunte Frage der Patienten und des Publikums. Antwort: mit Forschung und Lehre und mit ausgewählten Kranken, soweit sie sich für Forschung und Lehre eignen. Heftiger Protest seitens der Patienten und des Publikums, was denn von einer Forschung und Lehre zu halten sei, die das Massenproblem psychischer Verelendung, unterstützt durch Klapsmühlen und freipraktizierende Ärzte außer Acht lasse.
Betroffenes Schweigen. Herr Prof. Bräutigam, frisch gebackener Ordinarius, wollte aushelfen: Das sei doch wohl immer und überall so, daß nur Einzelne Einzelnen helfen können. Schlagfertige Entgegnung: Wenn ein amerikanischer Oberbefehlshaber aus Vietnam, ein verrückter Massenmörder somit, in seine Sprechstunde käme, ein Einzelner zu einem Einzelnen, ob er dann als Einzelner diesen in die nächste Klapsmühle einsperren würde oder ob er lieber alle linken Studenten dort untergebracht wüßte.
Bräutigam schwitzend: dazu könne er nichts sagen, ein Fall dieser Art sei ihm noch nicht begegnet. –

Obgleich ständig Handlanger der Staatsgewalt im Dienst der Verwertung des Krankenguts nach Maßgabe der Erfordernisse einer kapitalistischen Wirtschaft, muß die Universität, vor allem aber die Psychiatrie die öffentliche und offene Identifikation mit der Staatsgewalt vermeiden. Es gilt, "das Vertrauen des Kranken zu gewinnen und zu stärken". Der wissenschaftliche Anspruch wird demgegenüber von diesen Forschern und Lehrern erst gar nicht wahrgenommen: Daß die Universität auch damit etwas zu tun haben könnte, war für viele völlig neu, insbesondere der Unterschied zwischen Wissenschaft für den Menschen und menschenvernichtenden Wirtschaftsinteressen, die sich der "Wissenschaft" als eines ihrer zahlreichen Mordwerkzeuge bedient.

Wissenschaft als Aushängeschild wie bei Dr. Oetkers Puddingpulver und Kranke vor der (die) Tür, "zum Wohle unserer Kranken", aber keine Gelegenheit versäumen, auf Kongressen und in Massenmedien um das Vertrauen der Öffentlichkeit in Universität, Gesundheitswesen und mit besonderem Nachdruck, um das Vertrauen in die Psychiatrie zu werben!
Gewiß hat es die Psychiatrie seit Hitler am nötigsten. Aber hat sich grundsätzlich etwas geändert?
Euthanasie heute. Wir werden sehen. –

Wir trafen eine defekte Universität an, von der wir glaubten, sie wissenschaftlich widerlegen zu müssen, um zu verändern. Aber niemand warf uns wissenschaftliche Knüppel zwischen die Beine, denn es gab in der Universität keine Wissenschaft; folglich konnte es sich nur um Polizeiknüppel handeln. Nach Wissenschaft für den Menschen hatten wir dort schon jahrelang vergeblich geforscht.
Etwa 1/2 Jahr vor Beginn der Patientenhetze hielt ein Professor aus Übersee einen sehr gescheiten Gala-Vortrag über die Möglichkeit und über die besondere Fähigkeit depressiver Patienten, durch die Depression künstlerisch produktiv geworden zu sein und durch künstlerische Produktivität Heilung gefunden zu haben. Zwei Patienten, die heute laut Haftbefehl als Angehörige einer Verbrecherbande des ehemaligen SPK hinter Gittern sitzen, den vollzählig dort versammelten Psychiatern unbekannt, meldeten sich in der anschließenden Diskussion zu Wort und widerlegten mit wahrer Eselsgeduld den Depressionspsychiater von A – Z.
Die anwesenden eingeborenen Psychiater, wie sich’s geziemt in der Rangfolge vom 1. Oberarzt bis zum ältesten Assistenten abwärts, versuchten zunächst mühsam, dem Herrn Professor doch wenigstens in einigen Punkten um den Bart zu gehen. Auch sie wurden durch die Patienten widerlegt und mußten den Patienten beipflichten.
Daraus war für die Patienten ersichtlich, daß Wissenschaft von außen bzw. von unten in die Universität getragen werden muß.

Und wie war es um die Rückgewinnung des Vertrauens in der Psychiatrie bestellt? Nicht einmal nach dem überstürzten Ausschluß zahlreicher Schwerkranker und dem sich anschließenden Eklat haben es Psychiater gewagt, bei ihren ehemaligen Patienten um Vertrauen zu werben. Angesichts des Ausmaßes an hartgesottener Heuchelei und Zynismus bei diesen Herren ein umwerfendes Phänomen!
Ihnen selbst fehlte jedes Vertrauen in ihre Heilmethoden und gar in die ihnen zugestandenermaßen gleichgültige Wissenschaft. Keine wissenschaftliche Widerlegung, keine Drohung wegen gesundheitlicher Schäden oder Lebensgefahr durch den plötzlichen Abbruch der Behandlung!
Nicht einmal gegen die Einberufung der ersten Patientenvollversammlung erhob sich Widerstand.

Also auch keine Widerstände gegen die weitere politische Arbeit der Patienten an der Basis der Krankheit aller? Damit allerdings sah es anders aus. Nicht zuletzt wegen des hohen ärztlichen Risikos, das der plötzliche Rauswurf von zwischen 60 und 80 Patienten mit sich brachte – die Rauswerferei dauert bis heute an – mußten wir die Öffentlichkeit einschalten. Hungerstreik im Verwaltungsgebäude. Gleichzeitig tagte in einem Nachbargebäude die Fachgruppe Psychiatrie/Psychosomatik. Als dort die Nachricht von unserer Besetzung eintraf, jubelte der Psychiater Oberarzt Oesterreich: "Das ist doch die Gelegenheit … jetzt sitzen sie in der Falle …", "ich schlage vor, daß der Verwaltungsdirektor unverzüglich die Polizei holt und ab mit ihnen in das Landeskrankenhaus (= Klapsmühle) Wiesloch".
Durch den Hungerstreik im Verwaltungsgebäude war niemand gestört, niemand bedroht, außer offenbar den Kranken selbst, die diese Besetzung durchführten. Sie waren bedroht durch Hunger, (Selbst)mord und Polizei. Herr OA Oesterreich konnte sogar jubeln, und es würde einem Psychiater schlecht anstehen zu jubeln, wo er sich ernsthaft bedroht fühlt. Das wäre eine inadäquate Verhaltensweise und diese wäre wiederum höchst verdächtig auf Psychose. Diesbezüglich auffällig zu werden, ist laut Beamtenrecht aber nur für Patienten schicklich.
Auffälligkeit bei Beamten, aber auch nur diese, hat eventuell Entlassung aus dem Staatsdienst zur Folge. Hörte man Herrn OA aber in der Öffentlichkeit, so konnte einen das Mitleid packen ob der Leiden und Befürchtungen, denen er der rebellischen Kranken wegen ausgesetzt war: "Herr Doktor Huber (Mitarbeiter der Patientenselbstorganisation) darf keine Rezepte mehr ausstellen. Er könnte ja Dynamit verschreiben." (März 1970)

Im Juli 1971 machte sich besagter Herr folgendermaßen vorstellig (Quick Nr. 33): "Dr. Klaus Oesterreich (45), Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik Heidelberg, hält die kranken Anarchisten für äußerst gefährlich. Er sagt: "Sie sind zu allem imstande. Wir nehmen ihre Drohungen sehr ernst!"."
Unter Fachkollegen ein Jubelpsychiater, in der Öffentlichkeit eine bedauernswerte gequälte Kreatur, die sich von ehemaligen Patienten der Klinik, die mit den Grundlagen dieser Gesellschaft nicht einverstanden sind, auf den Tod bedroht fühlt! Was soll das?
Eine Universitätspsychiatrie, die in der Auseinandersetzung um die Grundlagen ihrer Wissenschaft Leine zieht, die Kontrahenten der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in den Knast sperrt und öffentlich erklärt, wo es um Wissenschaft geht, da müßten auch Köpfe rollen, eine Universitätspsychiatrie, die in Verbindung mit der Universitätsspitze Kranke dem Hunger, den Knüppeln und Maschinenpistolen der Staatsgewalt ausliefert, durch Verwaltungsgerichte im Namen des Volkes erklären und sich bestätigen läßt, es habe keine andere Möglichkeit gegeben, die Krankenversorgung und den Hausfrieden in den Kliniken aufrecht zu erhalten. Was soll das?

Neurosenpsychologisch würde man, vorausgesetzt man ist redlicher Wissenschaftler, einen Widerstand diagnostizieren, dem einer der rund 10 Abwehrmechanismen zu Grunde liegt, deren Funktion hier wiederum darin besteht, der eigenen Angst und den eigenen aggressiven Impulsen zu widerstehen. Die glatte Umkehrung konkreter Zusammenhänge, die berühmte "Verkehrung ins Gegenteil" (Jubel ist Todesangst, das Wohl der Kranken und das Ziel der Wissenschaft ist beider Zerstörung), hätte den Widerspruch erklärt, und es bliebe nur noch zu fragen, ob jener merkwürdige Psychiater und mit ihm die ganze Universität an einer gemeingefährlichen Psychose oder Neurose (= Psychopathie) leiden. Die Frage nach den Chancen einer Behandlung würde sich angesichts der Chronizität des Falles und angesichts des Alters der zu Behandelnden erübrigen.

Verwaltungsgerichte, Rhein-Neckar-Zeitung, Quick müßten allerdings, namens des Volkes, das sie vertreten, in den neurosenpsychologischen Zusammenhang mit allen Konsequenzen maßgeblich einbezogen werden, denn sie haben stets die für die Öffentlichkeit bestimmten Deutungsschemata von Universität und Staat und damit den psychiatrieverdächtigen Widerstand verstärkt. Dies mit vereinten Kräften!

Es wird nicht bestritten, daß es sich bei diesem Widerstand um Krankheit handelt, die Krankheit der kapitalistischen Gesellschaft schlechthin, gegen die einzig das verbotene Kraut der revolutionären Umgestaltung von Grund auf gewachsen ist. Aber es handelt sich für uns um einen Widerstand, der in Theorie und Praxis bereits überwältigt war, ehe wir uns an die Arbeit machten.
Nicht, daß wir ihn achtlos beiseite geschoben hätten!
Tag für Tag hatten wir Veranlassung, ihn als Widerspruch in Einzelagitation, Gruppenagitation und Arbeitskreisen mit den Mitteln des dialektischen Materialismus und im ständigen Bezug auf den Grundwiderspruch zwischen Leben und Wirtschaft, Lohnarbeit und Kapital aufzulösen.

Der Widerstand, der uns in Gestalt des ausgehöhlten, starren Objekts begegnete, hat für uns die spezifische Bedeutung einer nicht mehr oder noch nicht allenthalben nazistischen, dafür aber freiheitlich-demokratischen Selektionsrampe, die Allmacht der Gewalt gegen den Menschen im Spätkapitalismus. Ihr Ziel nennen wir Differentialeuthanasie. Ihre Grundlage Spätkapitalismus und ihr Mittel ist der Ausgebeutete, das Objekt von Konsum- und Reproduktionsterror.
Hierauf ist vor allem im letzten Teil dieser Abhandlung, dem Teil, den wir der "modernen" Sozialpsychiatrie von heute und übermorgen widmen, noch zurückzukommen.

Mit Beginn des Hungerstreiks (Febr. 1970) stand fest, daß wir es künftig nur noch mit der "Personalunion" Psychiatrie-Polizei zu tun hatten. Dieses Spiel war zwischen Klinikchef und Oberarzt Oesterreich perfekt abgekartet und trat bereits im März 1970 erstmals in Funktion, als einige Patienten mit v. Baeyer über die Rezepturfrage diskutieren wollten. Oesterreich erschien auf der Bildfläche, bald danach die Polizei. Der Klinikchef ließ als erste Abschreckungsmaßnahme die Personalien der Patienten von der Polizei aufnehmen. Eine Patientin, die an Kreislauflabilität leidet, wurde ohnmächtig, der Klinikchef und sein Oberarzt sahen zu, ohne sich sonst darum zu kümmern. Zwei Mitpatienten trugen sie raus, mußten den Transport zum Patientenkollektiv bewerkstelligen, wo sie von den ärztlichen Funktionsträgern mit einem eben zu messenden Blutdruck im Empfang genommen und versorgt wurde.
Wir informierten sofort die Presse. Am nächsten Tag stand in der RNZ, es habe sich um einen vorgetäuschten Anfall einer Hysterikerin gehandelt. Ferndiagnose des Klinikchefs und seines Oberarztes. –

Die enge Verbundenheit und Zusammenarbeit zwischen Polizei, Psychiatrie und Lokalpresse könnte an weiteren Beispielen demonstriert werden, die jeweils im Zusammenhang mit für Patienten lebensbedrohlichen Situationen standen. Im Fall Morddrohung erwies sich denn auch der Amtsrichter als der Dritte im Bunde mit Psychiatrie und Kripo. Er verzichtete ganz einfach auf irgendwelche Maßnahmen; als Patienten, von einem Schläger angegriffen, Polizeihilfe anforderten, wurden sie auf Selbsthilfe verwiesen – also Verhalten der Polizei ganz analog dem der Herren von Baeyer und Oesterreich in Sachen "ärztlicher Hilfeleistung".

Laut Gesetz sind die Interessen des Kranken denen des Staats in Zweifels- und Krisenfällen übergeordnet.

So oder so ähnlich steht’s im "Grünen Gehirn", dem Standardwerk für beamtete Ärzte. In einer Gesellschaftsordnung, die mit der Irrationalität kapitalistischer Wirtschaftsinteressen geschlagen ist und dadurch dem Zwang unterliegt, die Gewalt zu schützen und dadurch die Kaputten noch kaputter zu machen, sind Zweifels- und Krisenfälle ohnedies die Regel. Sollte man annehmen …

Wir hatten uns also auf die Seite des Gesetzes geschlagen. Nicht etwa kraft freien Entschlusses, was immerhin auch möglich ist, ja sogar unumgänglich, wenn die Einsicht in die politischen Zusammenhänge gebildet ist, sondern weil die Aussperrung der Kranken keine andere Wahl ließ. Und der Staat? Der hat zuletzt nach der Festnahme der ersten beiden SPK-Patienten ganz klar dokumentiert, wo er steht: ein Fachgutachten, das akute Lebensgefahr und Gesundheitsschäden für mehr als 40 Patienten bescheinigt, falls der Kontakt zu den Beiden weiterhin unterbrochen bleibt, ist bis heute – zwei Monate sind inzwischen vergangen – unbeantwortet geblieben.

Das Arztgeheimnis ist purer Schwindel: Bei ihren Überfällen beschlagnahmte die Kripo sämtliche greifbaren Krankenblätter (aus der Klinik, nicht die vom SPK), auch in Privatwohnungen, wo sie unter Verschluß aufbewahrt wurden. Davon abgesehen, ist es nicht einmal nötig, die Erfahrungen des SPK zu bemühen, um zu zeigen, ob die Ärzteschaft ganz allgemein näher beim Staat oder näher beim Patienten steht.
In dem Taschenbuch "Arzt und Recht" wird unverhohlen ausgeführt, wer Herr des Arztgeheimnisses ist. Letzten Endes nicht der Patient, sondern der Staat. Da kann der Arzt dann gar nichts machen? Im Gegenteil! Er sollte froh sein, denn der Heidelberger Gerichtspsychiater Mueller lehrt, daß auf diese Weise dem Arzt gottlob die Entscheidung durch den Staat abgenommen wird – selbstverständlich über den Kopf des Kranken hinweg und zu dessen Nachteil.
Wen stört's? –

Die Substanz "ärztlichen" Handelns ist der Staat. Die ärztlichen Belange sind aber denen des Staates überzuordnen, laut Gesetz.
Stellen sich nun Patienten und Arzt konsequent auf die Seite des Gesetzes und tun, was ärztlich notwendig ist, so folgt zwangsläufig, daß sie Staatsgewalt und Ärzteschaft als Todfeinde gegen sich haben. Selbst wenn es dieses Gesetz nicht gäbe, das ärztliche Belange in den Mittelpunkt stellt, könnten sich politisch bewußte Patienten und Ärzte nicht anders verhalten.

Wo der Staat in einem kapitalistischen System nichts weiter ist, als die Vollzugsinstanz der Wirtschaft gegen den Menschen, ist es nicht mehr als das Gebot der Selbstverteidigung und Notwehr, das von den Betroffenen wahrgenommen wird, wenn sie der Gewalt, sei es auch mit noch so unzulänglichen Mitteln, entgegentreten.

Grundsätzlich und konkret kann der Widerspruch, unmittelbar dem Patienten verpflichtet zu sein, will die Psychiatrie, will das Gesundheitswesen überhaupt seinem Begriff entsprechen, tatsächlich aber Kranke und Wissenschaft preiszugeben, um staatskonform zu bleiben, nur auf zweierlei Art gelöst werden:
Entweder mit den Mitteln der Staatsgewalt oder mit ärztlichen Mitteln. Nachdem nun aber die Ärzte Werkzeuge der Staatsmaschinerie sind, geht das Moment ärztlichen Handelns zwangsläufig auf diejenigen über, die darunter leiden, auf die Patienten.

Polizei und Gesundheitswesen auf der einen, Patienten und Öffentlichkeit i.S. Proletariat unter der Bestimmung Krankheit auf der anderen Seite.
Ein maßgeblicher Vertreter der niedergelassenen Nervenärzte hat denn auch schon 1970 namens der Psychiatrie bei Gesundheitsamt, Universitätsspitze und Kriminalpolizei gefordert, unverzüglich gesundheitspolizeiliche Maßnahmen gegen das SPK einzuleiten. Wenige Wochen danach forderten Psychiater, Sozialpsychiater und Gerichtspsychiater im Senat der Universität Heidelberg die Universitätsspitze auf, mit allen staatlichen Mitteln (d.h. insbesondere Polizei) gegen die Patienten des SPK unverzüglich vorzugehen. Die Verantwortung für Todesfälle treffe lediglich die Betroffenen selbst, wurde ausdrücklich hinzugefügt.

Wir fragten oben, wie die Psychiatrie den Widerspruch zwischen staatlicher Illegalität, man kann auch sagen Anarchie, und ärztlicher Legalität löst.
Hier ist die Antwort: Fragen wir nun, wie dieser Widerspruch sich darstellt, wenn kein SPK vorhanden ist, das ihn auf die Spitze treibt, nämlich soweit, daß es zur offenen Konfrontation zwischen Kranken und Waffengewalt im Dienste des Aeskulap (Aeskulap = eine Art Gott der Medizin, vgl. Aeskulapstab) kommt?
Es handelt sich dabei um einen der gar nicht so seltenen Fälle, in denen ein Patient oder die trauernden Hinterbliebenen Klage gegen die ärztliche Institution erheben. Wieder antwortet der Staat: Es findet sich ein Täter, möglichst ein kleiner Assistent, wenn es schon kein Pflegepersonal sein darf, denn diese sind Mangelware. Vor Gericht fungiert er natürlich nicht als "Erfolgs"organ des Widerspruchs zwischen ärztlicher Priorität und staatlicher Illegalität, dem Widerspruch, der ja ohnedies nur Defektreparaturen durch und für das kapitalistische Defektsystem zuläßt, dessen Zielobjekt der Patient und dessen Nutznießer die Profitspanne ist. Nein, er ist verantwortlicher "Täter" einer Tat, die man Kunstfehler nennt. Einzig dieser abstrakten Tat gegenüber, abstrakt, weil sie aus ihrem Wirkungszusammenhang herausgerissen ist, hat sich der "Geschädigte", sofern er mit dem Leben davon gekommen ist, als Subjekt konstituiert.

Er hat Protest erhoben gegen den Staat, dessen ärztliche Institution ihn geschädigt hat. Dafür macht ihn die Staatsgewalt gleich wieder zum Objekt eines juristischen Zusammenhangs. Die Angelegenheit zwischen "Täter" und "Geschädigtem" fällt aus dem staatlich institutionalisierten Ärztebetrieb heraus. Beide müssen sich der Gewalt des Richterspruchs fügen, die ärztlichen Sachverständigen dürfen ihren Segen dazu spendieren, den der Richter auf seine Weise auf seine Objekte, die "Tat" und den "Schaden" verteilt.
Der Betrieb läuft ungestört weiter, beide Kontrahenten sind das geblieben, was sie schon vorher waren, Opfer bzw. Objekte des Systems. Der bewußtlose, weil von keiner Einsicht in die politischen Zusammenhänge getrübte Protest der Individuen wurde abseits im stillen Kämmerlein Nr. X des Amtsgerichts oder "Sozial"gerichts soundso mit einigem Aufwand an Phonetik und Druckerschwärze durch die Staatsgewalt erstickt.
Der Patient hatte Ärztliches in ganz allgemein abstrakter Form kritisiert. Aber in objektiver Hinsicht verhielt es sich vielmehr so, daß es das vorrangig Ärztliche, Rechtliche, Menschliche, das er suchte,

  1. gar nicht gibt und in einem kapitalistischen System auch nicht geben kann, weil hier die "ärztliche" Funktion darin besteht, die Wirtschaft zu "heilen" und den Menschen der direkten oder gebremsten Vernichtung auszuliefern;

  2. wo er es suchte, in einer staatlichen Institution, und andere gibt es nicht, auch der Privatmann, die Familie, ja sogar das Privatsanatorium, der Privatbesitz und das Privatauto unterstehen der Staatsgewalt und sind ihr Ausdruck und Werkzeug – also wo er es suchte, da konnte er es erst recht nicht finden, weder in der Klinik noch gar vor dem Kadi. Das ist halt so, wie in jeder Totalität der Mittelbarkeit, für die sich auch der Begriff Metaphysik eignet.

Nicht nur Metaphysiker seiner Sparte suchen, wie Max Scheler glaubhaft versichert, eine schwarze Katze, die gar nicht drin ist in einem dunklen Raum. –
Dennoch war der "Geschädigte" kraft Protest subjektiv kein Metaphysiker. In einem auf Ausbeutung beruhenden System liegen beide richtig: der "Täter", weil seine Handlung im Widerspruch zu dem destruktiven Systemzusammenhang steht, mehr aber noch der "Geschädigte", denn ihn treibt der Widerspruch bis zum aktiven Protest.
Läßt er nicht locker, so wird ihn das System schließlich zu einem notorischen Querulanten zurechtbiegen, den die Psychiatrie, wie es der Staat von ihr erwartet, nach einigen der bekannten diagnostischen Vermittlungsschritte entmündigt. Damit ist dem Protest die Basis entzogen, er sucht sich ein unauffälligeres Zielobjekt, wird früher oder später dennoch "aufsässig".

Mit Hilfe der Psychiater ist nun aus dem Querulanten ein gesellschaftsfeindlicher Psychopath geworden. Angenommen er gibt immer noch nicht auf, verhält sich aber nach außen hin friedlich, dann nennt sich das Ganze in Verbindung mit Anstaltsdasein etwa "Paranoia mit zunehmendem Persönlichkeitszerfall". So ist aus dem "Geschädigten" kraft Staatsgewalt und Psychiatrie einer geworden, den man unschädlich gemacht hat.

Substantieller, aber begriffsloser Protest auf der einen Seite gegen substanzlose, aber aufgrund eines gut eingespielten Systems metaphysischer Vermittlungen hochbrisante Gewalt auf der anderen Seite – so stellen sich die Widersprüche bei diesem individualistischen Protest zusammenfassend dar.

Am Ende der Entwicklung die vorgeschädigte Ohnmacht und die schädliche Gewalt; war es zu Beginn der Entwicklung anders? Auch nicht.
Der Protest hatte nur appellativen Charakter, das Resultat ist die Affirmation der bestehenden und fortbestehenden Gewalt, die weder als solche entlarvt ist, noch gezwungen wurde, sich selbst zu propagieren. Aus dem Protest konnte kein Widerstand werden. Der Protest wurde als Protest überwunden, weil er, um mit Hegel zu reden, "dem Objekt nicht angemessen war". Nicht weil das Objekt eine überwältigende Gewalt im Vergleich zur Schwäche des Einzelnen ist, sondern weil die substanzlose Gewalt nicht mit der Substanz, die eigentlich ihr zukommen müßte, konfrontiert wurde.

Der Protest richtete sich in Wirklichkeit gegen die Illegalität, die Anarchie der patientenfeindlichen Staatsmaschine unter stillschweigender und falscher Voraussetzung der Autonomie und Vorrangigkeit einer ärztlichen und rechtlichen Grundlage. Eine solche aber kann sich das System unter kapitalistischen Bedingungen niemals leisten, und der "Geschädigte" wäre nicht in der Lage gewesen, sie auch nur ansatzweise beizusteuern.

Sollten überhaupt Widerstände auftreten, so müßte die Patientenselbstorganisation vom Start weg den richtigen Ansatz finden: dem Gemeinsamen des Begriffs politisch-ärztliche Substanz die konkrete materielle Gewalt geben.

An die Stelle des auf der gegnerischen Seite nicht vorhandenen "Ärztlichen" war das Politische zu setzen, und der dort die politische Seite vertretenden Polizeigewalt (psychiatrie-gesundheitspolizeiliche Sondersparte) war das laut Gesetz übergeordnete ärztliche Moment entgegenzustellen. Das Politische mußte als Bewegungselement die "Therapie" werden, das Ärztliche hatte die Funktion, sich schützend vor den Motor Politik zu stellen.
(Die Gegenseite war dadurch in doppelter Weise paralysiert: Ihre Polizeipolitik brachte sie mit dem Gesetz und mit den Kranken insgesamt in Konflikt. Ihre Scheintherapie und ihr wissenschaftliches Gehabe müßte sich den Vergleich mit unserer konkreten Praxis gefallen lassen und würde dabei, dies war nach den Erfahrungen bis hin zum Rauswurf klar, übel abschneiden.) Zudem nötigte uns, wie es ja so sein soll, die konkrete Situation der etablierten Medizin diese Strategie auf. Dort schützt die Staatsgewalt das Aushängeschild "Therapie", wo es sich in Wirklichkeit um die Maßnahmen, Techniken und Ideologiearsenale einer notwendig destruktiven Gesundheitspolitik handelt.

Was immer sich als Therapie ausgibt, von den fortschrittlichsten "Psycho"techniken bis zur präventiven chromosomalen Umwandlung des "Erbgutes": Da "Psyche" nichts anderes ist, als ein gespenstisches, quantifizierbares Etwas, hinter dem als Ausgangspunkt und Ziel die Qualität kollektiver Produktion für die Entwicklung aller menschlichen Wesenskräfte zu stehen hätte, und nachdem die Notwendigkeit einer Umwandlung des "Erbgutes" nichts anderes ist, als ein im Hinblick auf den Stand der Produktivkräfte verrücktes Scheinproblem, das sich nur auf dem Hintergrund der reaktionären Forderung, den Menschen den Verhältnissen anzupassen, stellt, statt umgekehrt die Verhältnisse nach Maßgabe menschlicher Entwicklungsnotwendigkeiten umzugestalten, kann keine der bestehenden Therapieformen den Anspruch erheben, etwas anderes zu sein, als Gewalt gegen den Menschen. Es sei denn, es gelingt, sie in ein Werkzeug zur Veränderung der bestehenden Verhältnisse umzuwandeln.

Nun ist aber die gängige Therapie alles andere als ein Produktionsmittel, das lediglich den falschen Händen entrissen zu werden braucht, um es in den Dienst einer revolutionären Aufgabe zu stellen. Dies zu berücksichtigen, ist vordringliche Aufgabe und Prüfstein für jede marxistische Theorie in den "Wohlstands"metropolen.

Uns blieb die praktische Auseinandersetzung mit diesem Punkt dank gegnerischer Maßnahmen erspart. Wir wurden aus der Klinik entfernt und mußten ohne medizinisch-technischen Apparat beginnen.
Worauf wir Anspruch hatten, z.B. freie Rezeptur, entzog uns die Klinikspitze, die Facharztanerkennung wurde vorenthalten, ärztliche Qualifikation abgesprochen. In personeller Hinsicht: Es gab keine Sozialarbeiterstellen. Die anfangs bewilligten Gelder für Schriftarbeiten und die erforderliche Präsenz rund um die Uhr bezüglich ärztlicher Funktion und Aushilfsbereitschaftsdienst, ohnedies nur Taschengelder, wurden verweigert.

In persönlicher Hinsicht diskriminiert, politisch kriminalisiert und ärztlich-wissenschaftlich depraviert: das war unser gesellschaftliches Sein. Therapie in Politik umzuwandeln und durch eine aufs äußerste gesteigerte kollektive Aktivität nach ärztlichen Maßstäben die Gewalt abzuwehren: das war unser Sollen.

Die Aufhebung des SPK in einer neuen Qualität war durch die Dialektik dieser Momente bereits in der Selbstdarstellung konzipiert. Es galt, diese radikalen Widersprüche zwischen Sein und Sollen innerhalb der Sphäre Patientenselbstorganisation voll zu entfalten;
zweitens: sie produktiv zu lösen und drittens dadurch die Gegenseite, nachdem sie schon einmal soweit gegangen war, in "bescheidenem" Umfang offen Patientenvernichtung zu betreiben, zu zwingen, durch eine Häufung von Gewaltmaßnahmen jeder Art ihr Verhältnis zu Kranken offenkundig zu machen. Das Verhältnis dieser Gesellschaft zu den Kranken und zur Krankheit überhaupt, die sie selbst durch kapitalistische Mechanismen gezwungen ist zu erzeugen und zu vernichten, im vergeblichen Bemühen, den Kapitalismus krisenfest zu erhalten, konnte nur demonstriert werden, wenn es uns gelang, ihre antagonistische Gewaltmaschinerie, vom simplen Hetzartikel in der Lokalpresse bis zu den schwersten Geschützen dieses Polizeistaates, in ihrer prinzipiellen Richtung gegen Kranke, Unterdrückte und Ausgebeutete der mitbetroffenen, aber irregeleiteten Öffentlichkeit in größtmöglichem Umfang vorzuführen.

Das Fehlen jeder Verpflichtung gegenüber den Zentralaspekten Wissenschaft und menschliche Entwicklungsmöglichkeit hatte ja noch nicht einmal einen – diesem Defekt auch nur einigermaßen angemessenen – Widerstand, egal von welcher Seite, ausgelöst, sondern schlicht den unspezifischen Rauswurf von Leuten, die sowieso schon wußten, was los ist und es gründlich satt hatten, weiter mitzumischen.

Der Unirektor mußte durch die Betroffenen im Beisein mehrerer hochgestellter Klinikärzte darauf aufmerksam gemacht werden, daß plötzlicher Abbruch der Behandlung auf psychiatrischem Sektor gleichbedeutend mit drohendem Selbstmord ist. Das war einige Wochen nachdem er die Kranken unter dem Druck der Psychiater vor die Tür gesetzt hatte. Was also hätten Außenstehende, potentiell Kranke, Objekte der Ausbeutung durch Sozialabgaben und die Masse der Unterdrückten ganz allgemein für Schlüsse ziehen können, abgesehen vielleicht von einer Spur interesselosen Bedauerns!

Daß die Psychiatrie durch ihr öffentlichkeitskundiges Bündnis mit Polizei und CDU-Kultusministerium in unseren erweiterten Therapieplan einbezogen und der tendenziellen Aufhebung durch die revolutionären Massen dank unserer Vorarbeit dringend anempfohlen ist, scheinen die Häupter der Verschwörung in Sachen Krankenvernichtung erst in der Endphase dumpf geahnt zu haben. Zeitungsreporter berichteten uns, Herr Oberarzt Oesterreich habe dringend gebeten, über die ganze Sache weder im Guten noch im Bösen weitere Artikel zu bringen. Das alles sei ja nur Wasser auf unsere Mühle. Dadurch wird ja notwendig der Ort und Ursprung reaktionärer Gewalt mitbezeichnet. Hatte doch die Presse, wie schon in den vergangenen 1 1/2 Jahren bis zum Überdruß bereitwillig alles Schlechte gebracht, was er über uns gesagt hat; nun auch noch die groß aufgemachten Berichte über die Polizeieinsätze.

Fürwahr, dadurch haben er und seine Kumpane uns die Arbeit abgenommen, die Komplizenschaft zwischen Polizei und Medizin nachzuweisen. Auch bei der Endlösung zogen sie gemeinsam gegen Kranke zu Felde. Mehrere Ärzte des Gesundheitsamtes und 310 schwerbewaffnete Polizisten gegen die für die Massenverelendung repräsentativen Elendsquartiere der Kranken. Auch das kann der Presse entnommen werden.

Auf der Suche nach Widerständen im eigentlichen Sinn können wir bisher nur auf die Problematik innerhalb der Patientenselbstorganisation zurückgreifen:

  1. höchste ärztliche Anstrengung, ohne die traditionellen Voraussetzungen und Mittel, nicht zum Zweck der Vorspiegelung von Heilung, die es sowieso nicht gibt, sondern als Forderung der kollektiven Selbsterhaltung gegen die Angriffe und Polizeiübergriffe der reaktionären Medizin,

  2. individuelles Leiden in kollektive Praxis umzuwandeln, bis hin zur Politischen Identität, zur Einheit von Bedürfnissen und revolutionärer Veränderung und schließlich zu der Fähigkeit zu politischer Aktivität in dezentralisierter Organisation.

    Nur in diesem Abschnitt der SPK-Systematik konnten wirkliche Widerstände auftreten.

Die Maßnahmen der Gegenseite standen, dies dürfte nach allem Vorausgehenden deutlich geworden sein, in keiner Beziehung zu unserem auf Krankheit als politischem Sachverhalt bezogenen Anspruch.
Der Gewalt, in deren Handhabung eine übergeordnete Institution nach der anderen sich meistbietend ablösten, begegneten wir durch möglichst gezielte Minimalpropaganda und "Symbolhandlungen" in vergleichsweise homöopathischer Dosierung. Erstere trug uns öfters wohlmeinende Kritik derart ein, unsere Flugblätter seien nicht verständlich genug oder auch, sie seien überdeutlich.
"Symbolisch" sitzen jetzt einige von uns im Knast. Dadurch befindet sich der dezentralistische Ansatz in der Standardsituation möglicher Bewährung. Die Gewalt legte ihrer Steigerung keine Widerstände in den Weg, es gibt sie anscheinend noch nicht, die Widerstände gegen Gewalt.
Sie propagierte sich fast ohne unser Zutun bestens und fiel nach Überschreiten des Höhepunktes auf sich selbst zurück; neue "Unruhen" in der Psychiatrischen Poliklinik mit Patientenausschluß, Uni und Landesregierung in der Zerreißprobe. Da die Polizeipsychiatrie als solche nur jeweils mittelbar z.B. über Gerichte von uns angegangen werden konnte, ein von vornherein aussichtsloses, aber propagandistisch unumgängliches Unternehmen, fiel sie außerhalb unserer Sphäre möglicher Wechselwirkung.

Ihre Beseitigung als Defektfabrik in eigener Sache fällt mit dem Aufgabenbereich der proletarischen Revolution insgesamt zusammen.

Die Betrachtung der Widerstände, die sich für die Selbstorganisation der Patienten ergaben, machen einen Rückgriff auf die Situation der psychiatrischen Krankenbehandlung im ambulanten Betrieb der Psychiatrischen Poliklinik Heidelberg nötig, aus der das SPK hervorging.

Patienten, die von hier aus in die Psychiatrische Universitätsklinik weitergeleitet werden mußten, oder weil dort aus irgendwelchen Gründen kein Interesse bestand, sie aufzunehmen, ins Psychiatrische Landeskrankenhaus (Klapsmühle) kamen, erschienen entweder nicht mehr, weil sie sich dort oder zu Hause umgebracht hatten oder Sonstiges sie dahingerafft hatte; oder sie kamen früher oder später wieder mit Rückfällen.
Auf den Bettenstationen herrschte das Prinzip "Drehtürpsychiatrie", in der Psychiatrischen Poliklinik das Prinzip Dauerpsychiatrie rund um die Uhr. Ein größerer Teil der Dauerpatienten war von den Ärzten der Psychiatrischen Poliklinik in Gruppentherapien zusammengefaßt. Zwar kannten sich die meisten aus dem Wartezimmer, weil sie sich dort immer wieder begegneten. Gegenüber der "Therapie", den Ärzten und dem spärlich gesäten Pflegepersonal verhielten sie sich als passive, konsumierende Individuen, die es von sich aus nie gewagt hätten, Gruppen zu bilden.

Dies der Widerstand auf Patientenseite nach Maßgabe des reaktionären Moments. (Die Konstellation, über die hier berichtet wird, bestand etwa 1 Jahr vor Beginn der Tätigkeit von späteren SPK-Patienten in der Psychiatrischen Poliklinik.)
Es gab im gruppentherapeutischen Kontakt tiefer liegende Antriebe, diesen Widerstand, die passive Konsumentenhaltung, zu durchbrechen. Ganz vereinzelt zwar, dafür jedoch umso brisanter: der sexuelle Notstand. Was aber für diesbezüglich aktive Gruppenmitglieder Aktivierung war und zudem ihr Privatleben außerhalb der Klinik betraf, wurde für den verantwortlichen Arzt und durch ihn vermittelt, für das Ganze, Widerstand.
Wenn er nämlich im Hausseminar (nur für Kollegen!) mit der Redlichkeit des ernsten Wissenschaftlers über eine Gruppentherapie berichtete, erntete er ob solcher "Auswüchse" herbe Kritik, verbunden mit dem ihm aufgrund der Rechtslage möglicherweise drohenden Vaterschaftsprozeß, falls die einmalige Ausschweifung der kranken Sexualpartner nicht folgenlos bliebe. Ob sie überhaupt stattgefunden hatte, schien niemanden zu interessieren, scheint also sehr nahe gelegen zu haben. Weit schlimmer noch war der Vorwurf, der Therapeut habe die Übertragung nicht beherrscht, eine Todsünde wider den Hausgeist der Individualpsychotherapie.
Das mußte wieder gutgemacht werden, zumindest galt es Vorkehrungen zu treffen. Er mußte sich von den beiden trennen, für die Mitpatienten natürlich ein Zeichen dafür, daß Sexualität bei Strafe verboten ist, besonders für Studenten und zwar außerhalb der Klinik.

Die Gefahren jeder Art von Selbstorganisation, Eigeninitiative und Tabuverletzung waren damit evident, der Arzt wider Willen Gottvater im Paradies, achtete genau auf die "Übertragung" und die Patienten unterstützten ihn auch in ihrem "Privatleben" darin so gut sie konnten.

Der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital klang in den Gruppentherapien öfters an, aber die Ärzte transformierten ihn aufgrund eines ihnen selbst am wenigsten einsichtigen Widerstandes gegen die mögliche Gefahr einer Selbstorganisierung der Patienten in den Widerspruch zwischen Es und Über-Ich. Bei den analysegläubigen Patienten fiel diese Deutung auf fruchtbaren Boden, denn jeder war persönlich, nämlich als passives Konsumobjekt angesprochen.
Das tat gut, verpflichtete zu nichts und war leicht verdauliche Kost. Vor allem aber machte diese Deutung jede Art von Heilserwartung am Arzt fest: erst einmal "ganz gesund werden", dann, oder wenn's unbedingt sein muß, auch vorher schon und bei Gefahr eines Rückfalls, die Prüfung machen, dann vielleicht am besten erst mal versuchen, ob’s auch für den Beruf reicht, denn man muß ja schließlich von etwas leben und schließlich die Schulden beim Psychotherapeuten (eine ganze Stange Geld bis dahin) bezahlen, dann, aber auch erst dann, sprechen wir wieder über Ausbeutung und Organisationsfragen.

Zusammenfassend entsprang also der Widerstand gegen die Selbstorganisation hauptsächlich dem Zwang, eine reaktionäre Ideologie reproduzieren zu müssen, die von den meisten der Betroffenen, Ärzte eingeschlossen, zumindest teilweise längst in Frage gestellt worden war. Auf dem Leistungssektor sogar in praxi kraft Einsicht für den hier gültigen Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital:
Welche Rechtfertigung hatten wir, die ständig wachsende Patientenzahl zu stoppen oder zu verringern? Hatte auch nur einer der Kranken wirklich Nutzen durch den Wissenschaftsbetrieb an der Uni, aufgrund dessen wir nach obrigkeitlicher Einstellung Selektion betreiben sollten?
War aber nicht jeder der Kranken ein Vertreter derer draußen, die zu Millionen das Ganze durch ihre Arbeit finanziert hatten, und während sie weiter schufteten in Fabrik, Acker, Universität und Schule, durch diese Einrichtungen krank gemacht wurden, um dann, wenn sie uns zu brauchen glaubten, mit einer faulen Ausrede abgespeist und abgeschoben zu werden.

Wachsende Patientenzahl, wachsendes ärztliches Risiko bis zu dem Punkt, wo jedem der "Verantwortlichen" – gemeint sind die dort aktiven Assistenten – dämmerte, daß er sich längst illegalisiert hatte, weil er permanent gezwungen war, gegen das Unterbringungsgesetz zu verstoßen, d.h. er war zum "Täter" geworden, falls etwas passierte und Regreßforderungen erhoben würden.
Versuche, die Behandlungskapazität zu steigern, scheiterten u.a. am 3-Millionen-Jahresdefizit des Gesamthaushaltes der Unikliniken. Die Herkunft dieses erstaunlichen Phänomens war auch politökonomisch zu klären. Außerdem würde eine Arztstelle mehr das Problem nicht lösen, vielmehr sofort zusätzliche Belastungen in Form Knappheit der Behandlungsräume, Einarbeitungsschwierigkeiten und dergleichen mehr mit sich bringen.

Die Patienten spürten diese Zwangslage. Was sie nicht verstehen konnten, ließen sie sich in den Vorzimmern erklären und diskutierten es privat und in den Therapiegruppen. Damit waren die Widerstände für Patientenselbstorganisation ansatzweise überwunden. Es kam hinzu, daß Patienten, die besonders schlecht dran waren, von Mitpatienten privat aufgesucht und betreut wurden, eine Aufgabe, der die Sozialpfleger zahlenmäßig, institutionell und von der Verantwortung, oft auch von der Ausbildung her nicht gewachsen waren.

Auf diese Weise bildeten sich Außengruppen. Wurde beispielsweise ein von ihnen betreuter Patient wegen Gefahr für die öffentliche Sicherheit  zwecks Entmündigung in die Klinik gesperrt, so besuchten sie nicht nur den Mitpatienten, sondern auch die zuständigen Ärzte und forderten Rechenschaft: erster praktischer Ansatz der "Patientenkontrolle" (Patienten kontrollieren ihren Betrieb).
Aber auch Ansätze für erste reaktionäre Gegenmaßnahmen. Die Patienten hatten versucht, dem behandelnden Arzt klar zu machen, wo der Unterschied zwischen "Gewalt" durch Patientenkontrolle und Gewalt durch den institutionalisierten Terror seitens Psychiater, Polizei und Entmündigungsrichter liege. Als aber Reden nichts half, schlugen sie den Experten vor: der Psychiater solle Polizeihilfe gegen einen Patienten anfordern, mal sehen, ob sie kommt, die Polizei. Gleichzeitig solle ein Patient die Polizei gegen einen Psychiater anfordern, mal sehen, ob sie kommt, die Polizei. Für den eingesperrten Patienten hatte diese Symbolhandlung ihren Zweck erfüllt. Er wurde nach zwei Tagen entlassen und die Entmündigung zwecks Dauerunterbringung in der Klapsmühle unterblieb.

Noch nach Wochen wurde der Psychiater nicht still ob dieser Entscheidung, vor die ihn die selbstorganisierten Patienten gestellt hatten. Sein Oberarzt Oesterreich aber begann, Material gegen Ärzte der Psychiatrische Poliklinik zu sammeln, um die, wie er als sicher annahm, von diesen ausgehende "politische Hetze" zu unterbinden.

Er hatte damit jedoch keinen Erfolg, denn keiner seiner im übrigen gut informierten Adressaten hatte bis dahin politische Stellungnahmen der Ärzte im Umgang mit Patienten vernommen.

Auf dem Niveau Poliklinikärzte und Klinikspitze hatte die Patientenselbstorganisation keine Widerstände produziert, lediglich eine Polarisierung der politischen Ansichten. Sie vertraten die Auffassung, der SDS in Heidelberg bestehe aus Anarchisten. Dem wurde von uns entgegengehalten, Wirtschaft und Staat im Kapitalismus seien anarchisch.
Im übrigen meinte die Ärzteschaft, scharf zwischen "politisch" und "ärztlich" trennen zu können.
Da die Klinikspitze der Notlage in der Psychiatrischen Poliklinik glaubte um ihres lieben Friedens willen mit übergeordneten Instanzen nicht anders abhelfen zu können, war sie an der Fortsetzung der dort erfolgten Umgestaltung ausdrücklich interessiert, besonders für den Fall des bevorstehenden Wechsels der ärztlichen Besetzung.
Nachdem aber dieser Wechsel erfolgt war und der neue Kurs in Richtung Endlösung aller Probleme durch Abbruch der Behandlung für bisherige Patienten und Verweigerung der Behandlung neuer Patienten eingesetzt hatte, stellte sie sich noch ausdrücklicher hinter diese Maßnahme.

Objektiv hatte dies zur Folge, daß die Patienten nun die ärztliche Funktion im Sinne der nur kollektiv zu lösenden Überlebenschance ganz in ihre eigenen Hände nehmen mußten. Die Aussperrung stellte somit keinen Widerstand, sondern den Katalysator der Patientenselbstorganisation dar auf dem Weg ihrer Verselbständigung als Kollektiv.
Den letzten Arzt, der im Interesse der Patienten aktiv war, stellten Klinikleitung, Fachgruppe Psychiatrie/Psychosomatik und Klinikverwaltung durch Drohungen und Bestechungsversuche vor die Wahl, sich der Direktorial-Entscheidung gegen die Patienten zu fügen oder fristlos entlassen zu werden. Seine Entscheidung für die 2. Alternative vollzog er frei von inneren Widerständen.
Die wohlmeinenden Versuche zahlreicher Kollegen, die sich "gezwungenermaßen" – mit einer Ausnahme zwar – bei der Abstimmung gegen ihn ausgesprochen hatten und ihn in letzter Minute noch umzustimmen versuchten, stellten ebenfalls keine Widerstände, sondern eher Aktivierungsmaßnahmen dar.

Beim Hungerstreik traten zwei entscheidende Widerstände gleichzeitig auf, die den gesamten weiteren Verlauf der SPK-Arbeit kennzeichnen.

Die Projektgruppe Medizin, die sich im Auftrag des Zentralausschusses des SDS für eine gemeinsame Aktion gegen fristlose Entlassung und Hausverbot des Arztes engagiert hatte, legte eine Analyse vor, die der Patientenselbstorganisation jede objektive politische Bedeutung absprach. Ihr Engagement für einen gefeuerten Arzt sollte lediglich als Protest gegen die geringschätzige Abfertigung der Ware Arbeitskraft in den Gesundheitsfabriken des Spätkapitalismus verstanden werden.
Die Agitation auf dem Gesundheitssektor habe das Pflegepersonal als Zielgruppe anzuvisieren. Seitens der Patienten, da sie mit dem Produktionsprozeß als Patienten nichts zu tun hätten, seien politische Aktivitäten weder aus dem linken Kontext zu begründen noch erfolgversprechend.

In der unmittelbaren Konsequenz dieser Analyse lag einmal die punktuelle Einengung aller politischen Bestrebungen dieser Gruppe auf das Erfolgskriterium Weiterbeschäftigung des gefeuerten Arztes, gleichgültig unter welchen Umständen und Bedingungen. Das ist von der Theorie her nur deshalb schlimm, weil dadurch dem Gesundheitswesen jede Möglichkeit radikaler Umwandlung, jede Perspektive im Sinne des historischen Materialismus abgesprochen wird, zugunsten einer bestenfalls positivistischen, im Effekt jedoch rein reaktiv-reaktionären Auffassung. Zweitens lag darin die Herauslösung der Kranken aus dem politischen Zusammenhang der Studentenbewegung beschlossen, und ihre Isolation war durch den Machtanspruch einer "Theorie" einstweilen fixiert.

Wir haben in der Folge diesen Widerstand dadurch überwältigt, daß wir dieser analytischen Abstraktion die umfassende Theorie der Identität von Krankheit und Kapitalismus entgegenstellten, in der die Differenz zwischen Arzt und Patient als prinzipiell endliches Resultat des historisch-materialistischen Prozesses erscheint;
Krankheit als Voraussetzung und Resultat der Produktion im Spätkapitalismus, und das Patientsein als differentia specifica der proletarischen Klasse, unter den schon seit Marx (Verelendungstheorie) und erst recht heute gültigen Bedingungen.

Daraus aber ergibt sich für die Metropolen des Spätkapitalismus in praktischer Hinsicht:
Nicht das Pflegepersonal im Besonderen, nicht die Produktivkräfte im Allgemeinen sind als solche das revolutionäre Subjekt, sondern der Mensch unter der Bestimmung Krankheit.
Wo Krankheit die Entwicklung der ökonomischen Basis behindert, dort werden krankheitsspezifische Umgestaltungen zum Hauptsächlichen, zum Entscheidenden. In praxi haben wir den Widerstand als politische Isolation dadurch überwunden, daß wir in zahlreichen anderen Städten Patientenselbstorganisationen initiierten und die von uns erarbeiteten theoretischen Grundlagen in der direkten Auseinandersetzung mit der dort herrschenden Situation sozialisierten.

Nach der Seite des ärztlichen Determinismus bearbeiteten wir den Widerstand an Ort und Stelle durch die Abschaffung des Arzt/Patient-Verhältnisses auf der Basis wechselseitiger Selbstkontrolle und mit den Mitteln der Agitation.

Erst in der letzten Phase des SPK, als der endgültige Termin seiner gewaltsamen Auflösung abzusehen war, griffen wir diesen Widerstand nochmals auf, um ihn in der direkten theoretischen Auseinandersetzung mit der Heidelberger Linken abschließend zu überwinden.
Dabei setzten wir mit unserer Kritik an den Widersprüchen und Mißerfolgen des demokratischen Zentralismus an.

Ihm stellten wir ein dezentralistisches Organisations-Prinzip gegenüber, das wir Multifokalen Expansionismus nennen. Jeder ist Zentrum des kapitalistischen Konterterrors. Dieses Gemeinsame machen wir konkret, indem wir es sind, die es erzeugen, untereinander weitergeben, sozialisieren. Die Krankheit als Schwäche wird so zum Indiz ihrer selbst und der Gewalt. Zu sorgen ist nur für räumliche Verteilung und (zeitliche) Dauer der Zentren. Die Gegenseite nimmt uns Wahl, Entscheidung und Koordination sowieso ab, baut uns abstrakt und gefährlich auf, weitet unsere Aktivitäten aus, setzt dadurch ihren eigenen Aktivitäten und ihrer Glaubwürdigkeit Grenzen.
Unsere Ausweitung ist ihre Einengung. Von Demokratie ist erst dann zu reden. Sie ist Sache des Spontanverhaltens der Massen, deren Erfahrungen im revolutionären Kampf die Wurzeln für eine Zentralisierung nach ihren Bedürfnissen und den objektiven Notwendigkeiten darstellen.

Die Tatsache, daß politische Diskussionen mit der Heidelberger Linken nunmehr in Gang kamen, beweist allein schon, daß wir den Widerstand der lokalen Isolierung überwunden hatten. Von der uns in der Anfangsphase immer wieder in Aussicht gestellten ideologischen Distanzierung war nichts mehr zu bemerken. Einzelne der damals überzeugtesten Parteigänger der für das initiale (Nicht)Engagement bestimmten "Analyse" erklärten nach eingehender Auseinandersetzung öffentlich, daß sie in theoretischer Beziehung keine Widersprüche, höchstens unbedeutende Differenzen feststellen könnten.
Innerhalb der Patientenselbstorganisation tauchte während des Hungerstreiks der Widerstand in Form einer komplementären Problematik auf.

Die Bedeutung der ärztlichen Notwendigkeiten zum Schutz gegen die Konterstrategie der Gegner im medizinischen Bereich und zum Schutz der politischen Arbeit, die Therapie werden mußte, wurde unterschätzt bzw. überhaupt nicht wahrgenommen. In diesem Irrtum waren die selbstorganisierten Patienten mit den linken Genossen völlig konform. Der ärztliche Funktionsträger des künftigen SPK stimmte gegen den Kompromiß, weil keinerlei der für eine Krankenbehandlung im bisherigen Stil erforderlichen Mittel und Sicherheiten, geschweige denn irgendwelcher institutioneller Schutz die Risiken der zu übernehmenden Verantwortung deckte. Aber die Entschlossenheit der Patienten, ihre politische Therapie auch ohne ärztlichen Schutz durchzuführen, machte die Mitarbeit des Arztes zu einer, im Hinblick auf die Gefährdung der Patienten durch die etablierte Medizin, unabweisbaren Forderung.

So konnte auch dieser Widerstand progressiv bewältigt werden, denn der unmittelbare Bezug zur politischen Seite der Krankheit legitimierte diesen Schritt über alle standesrechtlichen und rechtspositivistischen Risiken hinweg und stellte bestenfalls die Fortsetzung der Zwangsillegalität dar, unter deren Vorzeichen Krankenbehandlung ohnedies überall steht, wo sie progressiv, d.h. unmittelbar auf Krankheit bezogen betrieben wird.
Den Impuls für die Form, die unsere Arbeit nunmehr annehmen sollte, bezogen wir aus den gemeinsam erarbeiteten Widersprüchen der Krankenversorgung, speziell auf psychotherapeutisch-psychiatrischem Sektor.

Reichliche Spenden an Medikamenten erhielten wir vor allem über solche Ärzte, die glaubten, sie dürften sich aus Angst um ihre bürgerliche Existenz nicht offen auf unsere Seite stellen. Erst viel später, nachdem wir unsere Erfahrungen und Kenntnisse der Pharmabürokratie aufgearbeitet hatten – und keine "Medikamente" mehr brauchten –‚ ignorierten wir bewußt die Rezepturblockade. Nach einigem Hin und Her zeigte sich, daß der Urheber dieser Blockade, die psychiatrische Klinik, den Widerstand aufgegeben hatte und mit der ganzen Sache, deretwegen sie anfangs Polizei gegen Patienten eingesetzt hatte, nichts mehr zu tun haben wollte. Die Rezepte wurden beliefert.

Die Widersprüche der psychotherapeutischen Situation waren schnell geklärt. Es gibt in der ganzen BRD nur einige hundert Psychotherapeuten. Sie sind überwiegend damit ausgelastet, ihre Einkommensverhältnisse zu hüten, sich gegenseitig bei "Kontroll"seminaren, auf Kongressen, deren Eintrittspreise kein Arzt, geschweige denn ein Patient bezahlen kann, selbst zu verdauen, fallen den "Kranken" gegenüber also nicht ins Gewicht, es sei denn hinsichtlich ihrer reaktionären Ideologie im Sinne Massenverdummung, die sie mit Handkuß über Massenmedien aller Art ausstrahlen dürfen, weil es sich kritisch anhört und nur ganz wenigen zeigt, welches Maß an Narrenfreiheit im Totalzusammenhang des kapitalistisch-nazistischen Syndroms möglich ist.

Damit war klar, daß Psychotherapeuten, da sie nicht "heilen", sondern destruktiv sind, samt ihrer Psychotherapie im Widerspruch sowohl zum Begriff unter ärztlichen als auch politischen Kriterien stehen und daher nicht zu gebrauchen sind.
Ebenso klar wurde uns, daß es unmöglich wäre, durch quantitative oder qualitative Verbesserung dieses Gewerbes das Problem der steigenden Massenverelendung zu lösen. Dies bedeutete für das Patientenkollektiv, daß die Arbeitsüberlastung angesichts der täglich steigenden Zahl an Neuaufnahmen grundsätzlich anders gelöst werden mußte als bisher. Durch einen etwas voreiligen Kollektivbeschluß verpflichtet, versuchte sich ein Psychiater mit langjähriger praktischer und wissenschaftlicher Erfahrung einzuarbeiten, indem er das Opfer einer 2-stündigen ambulanten Sprechstunde pro Woche auf sich nahm. Daraus wurde aber nichts, denn entweder er fand keine Arbeit, wenn er vorbei kam oder er konnte sich auf die Arbeit, die gerade nötig gewesen wäre aufgrund seiner durch langjährige Praxis erworbenen inneren Widerstände nicht einstellen.
Diese Episode lief als Testfall, gewissermaßen als Probe aufs Gegenteil nebenher ab. Sie zeigte, daß Einarbeitung nur unter der Voraussetzung möglich war, daß aus der konkreten Situation ein persönlicher Leidensdruck resultiert, der über alle traditionellen Schranken hinweg die Notwendigkeiten des Ganzen zum Stütz- und Ansatzpunkt der Selbstaufhebung macht oder mit Hegel: das Allgemeine in der Selbstbewegung als Subjekt sich zum Prädikat macht und dadurch den Widerstand überwältigt.

Die Umgestaltung dessen, was an der Psychiatrischen Poliklinik nur noch formell Therapie war, der Wirklichkeit nach, wie sie sich aus der Arbeit der Gruppen herausgebildet hatte, aber bereits keimhaft politische Agitation darstellte, dies nunmehr explizit in Einzelagitation als wechselseitige Selbstkontrolle zu verallgemeinern, stieß bei manchen Patienten auf Widerstände.
Gewiß fühlte sich jeder durch die erarbeiteten Widersprüche zum Handeln gedrängt. Alle ehemaligen Patienten der Poliklinik hatten durch diese Erfahrung als Teilnehmer am Prozeß der Agitation das nötige Wissen, um zu beginnen. Aber zwischen Einsicht und Praxis schob sich bei manchen – dies gilt insbesondere für erst später Hinzugekommene – ein im wesentlichen aus Überschätzung des Nimbus Arzt und aus Konsumententradition zusammengesetzter Widerstand. Die Arbeitskreise bogen dieses Mißverhältnis zurecht, indem sie die ärztliche Scheinautorität auf ihre Wurzeln und Gründe analysierten, den prinzipiellen Objektcharakter jedes Individuums in der kapitalistischen Tausch- und Konkurrenzgesellschaft konkret, d.h. in allen seinen Vermittlungen nach Maßgabe der Gruppensituation vorführten und dadurch den Grundwiderspruch als das für die Versagensangst verantwortliche Subjekt in die Agitation einführten.

Dadurch war der Weg frei für die realitätsadäquate wechselseitige Arbeit an den jeweiligen Ausgestaltungen des politisch und wirtschaftlich bedingten Leidensdrucks – Symptomen, Beschwerden etc. –, und das Problem Ärztemangel war ins Gegenteil, in die neue Qualität der Selbstaufhebung des Therapeutischen überhaupt in sozialistische Praxis materiell umgeschlagen, die von jedem, von "Patienten" eher besser als von Ärzten und Psychologen, mitvollzogen werden konnte, weil sie ihr einzig maßgebliches Korrektiv in einer konsistenten, den wirklichen Verhältnissen Rechnung tragenden Theorie hatte.

Die Darstellung aller Widerstände, wie sie die alltägliche Situation im SPK mit sich brachte, würde prinzipiell nichts Neues bieten, nachdem ihre Herkunft aus den konkreten Widersprüchen und die dialektische Methode ihrer Vergegenständlichung und die Praxis ihrer Überwindung entwickelt ist.
Einzugehen wäre aber noch auf die Beziehung zwischen der von außen einwirkenden spezifischen Gewalt zu den spezifischen Widerständen im SPK. Je vermitteltere Formen diese Gewalt annahm, je weniger sie zu greifen war, desto stärker und vielfältiger die spezifischen inneren Widerstände. Zu denken ist hier vor allem an die Taktiken des Rektorats, uns einerseits – und das seit April 1970 – durch juristische Schriftsätze mit Ankündigung der Zwangsräumung, Abstellen des Telefons (in einer, aus ihrer Sicht, Arztpraxis) und Aushungerung Tag und Nacht, was die Notwendigkeit anlangt, ärztliche Risiken zu vermeiden, unter nahezu unerträglichen Druck zu setzen, hämisch jedoch den Spieß sofort umzukehren, wenn wir angesichts der unerträglichen Belastung, den Terror ohne Ende durch Selbstliquidierung des SPK als letzten Ausweg beenden wollten.

Für diesen Fall drohten sie mit juristischen Repressalien wegen unterlassener Hilfeleistung und schoben die Alleinverantwortung dem ärztlichen Funktionsträger in die Schuhe. Selbstvorwürfe, Mißtrauen, Meinungsverschiedenheiten, Autoritätsprobleme und Existenzangst im Wechselverhältnis der einzelnen SPK-ler stellten sich als Antwort auf diesen Terror von außen ein.
Bei näherem Zusehen waren, wie zu erwarten, die dafür angeführten Gründe völlig inadäquat. Der Widerstand, der sich hierbei aufwarf, erschien meist als hartnäckige Tendenz, den ursächlichen Zusammenhang mit der Belastung von außen zu leugnen.

Knapp zusammengefaßt: es handelte sich um den Einbruch und die Widerspiegelung mittelbarer Gewalt von außen. Die Antwort war nach der reaktionären Seite ihre Fortsetzung als Gewalt gegen sich selbst und nach der Seite des progressiven Moments der Versuch, sie zu kollektivieren und dadurch zu neutralisieren.
Durch Ansetzen an diesem zweiten Moment lösten wir den Widerstand in gemeinsamer politischer Praxis auf.

Die real begründeten Beängstigungen durch Spitzel und Abhöraktivitäten hatten wenig Chancen sich festzusetzen und auszubreiten. Das theoretische Niveau, das die konkreten Analysen der konkreten Situation bestimmte, machte allein schon die Einarbeitung für jeden offiziellen Spitzel zu einer Sisyphosarbeit. Zweitens fanden die politischen Aktionen,gedeckt durch diesen theoretischen Hintergrund auf der Basis der Spontaneität und Selbstverantwortung statt, wenn sie nicht durch das imperative Mandat der jeweiligen Gruppen initiiert waren.
Drittens war es beschlossene Sache, daß Praktiken, Gegenstände und Verhaltensweisen innerhalb der Räume des SPK, die der Gegenseite hätten Angriffsflächen bieten können, als patientenfeindliche Maßnahmen dem Selbstausschluß gleichkam, indem wir sämtliche Aktivitäten nur noch und bis zum Erfolg, auf die Klärung dieser Punkte bezogen, sobald dazu Anlaß gegeben war.

Die meisten Angehörigen der Patienten haben uns nicht zuletzt aus diesen Gründen ihre Unterstützung angeboten. Die Morddrohungen* eines einzigen Elternpaares gegen den ärztlichen Funktionsträger, bedingt durch den Ruin auf wirtschaftlichem Sektor (hatte mit dem SPK überhaupt nichts zu tun), Aufhetzung durch Medizin, Presse und Kripo traf das SPK in einer Situation, in der die ärztliche Funktion ohnedies längst personell austauschbar und tendenziell überflüssig war, da sich inzwischen die unmittelbare Praxis der Patientenselbstorganisation so weit theoretisch gefestigt hatte, daß z.B. auch auf Medikamente verzichtet werden konnte und diesbezüglich genügend Kenntnisse sozialisiert waren, um etwa anfallende Probleme im Zusammenwirken mit "Außenärzten" zu lösen.

* Telefonische Morddrohung: "Wenn meine Tochter nicht sofort wieder für ganz nach Hause kommt, werden Sie nächste Woche erschossen."
Angebot des ärztlichen Funktionsträgers nach Situationsanalyse im SPK: Ich komme nächsten Freitag und stelle mich freiwillig der Exekution. Falls keine geeignete Schußwaffe vorhanden ist, werde ich versuchen, sie zu beschaffen. Noch kann ich es mir nicht leisten, zur unpassenden Zeit zum Krüppel geschossen zu werden.

 

Zu den Widerständen auf juristischer Ebene

 

Der Universitätsrektor hatte den Rausschmiß der selbstorganisierten Patienten nach "Ausschöpfung der Rechtsmittel" und im Einvernehmen mit der Gegenpartei bestätigt, indem er fristlose Entlassung und Hausverbot gegen den behandelnden Arzt verfügte. Zuvor und auch später war er um nichts in der Welt zu bewegen, dem Wunsch der Patienten zu entsprechen, sich die Lage aus der Sicht der Hauptbetroffenen schildern zu lassen.

Die Patientenselbstorganisation hatte also schon zu Beginn keine Chance, sich in ein irgendwie geartetes Verhältnis zum Recht zu setzen. Folglich konnte es auf dieser Ebene auch nicht zur Ausbildung eines angemessenen Widerstandes kommen.
Zu Anfang dieser Abhandlung wurde darauf hingewiesen, daß der Rektor beim Hungerstreik erst unter starker Nachhilfe darauf aufmerksam wurde, daß er in schöner Eintracht mit der Medizin und gestützt auf sein Recht, als dem Recht der Herrschenden, dem Mordanschlag auf Patienten Tür und Tor geöffnet hatte.

Die Stelle des Widerstandes, der ein Verhältnis zwischen Patient und Recht vorausgesetzt hätte, und sei es vermittels des Rektors, war eben schon im voraus besetzt durch juristisch gedeckte Gewalt; denn gleichgültig unter welchen Ausreden man jemanden auf dem offenen Meer aussetzt und ihn den Naturgewalten preisgibt, das ist doch, abgesehen von aller schäbigen Moral, die dieses Argument enthalten mag, wohl schlicht nichts anderes als Mord. Nicht anders oder vielmehr noch schlimmer ist es, wenn Kranken, z.T. Siechen, von einem Tag zum anderen die Behandlung entzogen wird. Erweist sich dies gar noch als rechtlich einwandfrei, so dürfte, alle juristischen Spitzfindigkeiten mitberücksichtigt, die Funktion der Klassenjustiz als Mordwerkzeug, dessen jeder kraft Amts und Geldes sich bedienen kann, erwiesen sein.

Das Räumungsurteil hat diesen Sachverhalt denn auch besiegelt. Der Einspruch des SPK blieb unberücksichtigt. 310 schwerbewaffnete Polizisten stürmten 2 Tage vor dem für die Räumungsvollstreckung vorgesehenen Termin die durch Patienten verschlossenen, ansonsten aber von ihnen verlassenen Räume. Den Patienten war für diese Räume im Einvernehmen mit dem Rektor das Hausrecht übertragen worden. Wenn eingewendet würde, er sei dazu gar nicht berechtigt gewesen, umso schlimmer. Dies beweist, wie sich das Recht beliebig funktionalisieren und manipulieren läßt, sofern es als Mordwerkzeug gegen die Ausgebeuteten gewinnbringend eingesetzt wird.

Dennoch hat das SPK den Rechtsweg voll ausgeschöpft. Zum Selbstkostenpreis (von ohnedies nicht vorhandenem Geld) von bisher rund 3000,- DM. Einstweilige Verfügung gegen fristlose Entlassung und Hausverbot:
Die einstweilige Verfügung lehnte das Verwaltungsgericht Karlsruhe nach Wochen ab. Was innerhalb dieser Frist aus den Patienten wurde, betraf natürlich nicht die Verfahrensregeln des Gerichts. Das wußten die Kranken aber zum Glück schon vorher. Sie hatten inzwischen vorsorglich, um Justizmorde so gut es ging zu vermeiden und weil sie gern überleben wollten, zu dem Mittel des Hungerstreiks gegriffen.

In der Begründung dieser Ablehnung erwies sich das Gericht als geradezu verdachterregend besorgt um das Wohl der Patienten. Nicht etwa wegen des durch Klinik und Universität verübten Mordanschlags, sondern bezüglich der Heilungschancen im SPK! Die Klage der Patienten gegen den Erlaß des Kultusministers, der die sofortige Auflösung des SPK verfügte, haben die zuständigen Gerichte, unterstützt durch Verzögerungsmaßnahmen der Gegenseite und Behinderung des Rechtsanwalts der Patienten bis heute verschleppt, so daß die Räumungsklage der Universität, ebenfalls unmittelbare Folge des kultusministeriellen Erlasses, dieser, auf die Verfassungsklage – Grundrecht auf Unversehrtheit der Person – abzielenden Maßnahme zuvorkam.

Dem Rektor war bekannt, daß er sich der Klage gegen den Kultusminister aufgrund einer "einwandfreien juristischen Sachlage" anschließen konnte. Aber er zog es auch diesmal vor, den Einsatz von Gewalt gegen Patienten zu legitimieren, wo er sich mit dem Kultusminister nur hätte juristisch anzulegen brauchen. Auch politischen Notfallmaßnahmen gegenüber hat sich die Gewalt als taub erwiesen. Nicht erst in der Endphase gab es zahlreiche Resolutionen, von der Fachgruppe Medizin, von JuSos, von der Humanistischen Union u.v.a., in denen Rektorat und Kultusministerium immer dringlicher aufgefordert wurden, ihre Maßnahmen gegen das SPK zu unterlassen und ihm die längst für richtig und nötig befundenen Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Umsonst!

Und der Widerspruch, der nicht zum Widerstand werden konnte? Für das System Klinik, Rektorat und Verwaltungsgericht lag die Vorentscheidung längst fest, ehe wir die Klage einreichen konnten. Die Vorentscheidung bezog sich darauf, ob der Arzt sich als Beamter richtig verhalten hatte. Nicht seine Beziehung zum Patienten interessierte, sondern lediglich diejenige zum Staat. Es wurde bereits ausgeführt:

  1. Die Klinik wollte mit ihren Patienten nichts zu tun haben, wohl aber hatten Patienten Ansprüche gegen die Klinik. Um hier einen Riegel vorzuschieben, wurde der Arzt, über den Klinik und Patienten zusammenhingen, gefeuert.

  2. Uni-Rektor Rendtorff wollte mit den Patienten nichts zu tun haben. Die Mediziner, die sich längst geschlossen hinter die Aussperrung der Patienten gestellt hatten, empfahlen Rendtorff dringend, seine Entscheidung ausschließlich vom Beamtenrecht bestimmen zu lassen. Entscheidungsnotstand? Keineswegs. Rendtorff war gerade als Nichtfachmann in der ausgezeichneten Lage, dem mörderischen Treiben Einhalt zu gebieten, indem er als Laie an der lebensbedrohlichen Situation der Kranken hätte ansetzen können, um nach der ärztlich-wissenschaftlichen Relevanz dieses Verwaltungsakts zu fragen. An Information hatte es die Patientenselbstorganisation gewiß nicht fehlen lassen.
    In Wirklichkeit war es ihm viel zu wenig, sich schlicht auf den Standpunkt eines unbequemen Laien zu stellen, der die Mediziner auf das Substrat ihrer akademischen Existenz verweist, auf den Kranken. Er als Einziger hat das Kunststück zuwege gebracht, zugleich als Beamter und noch dazu als Träger ärztlicher Verantwortung aktiv zu werden. Er spielte sich als Sachwalter des Beamtenrechts auf, wie es die Mediziner von ihm verlangt hatten.
    Diese Aktivität war pure mörderische Gewalt gegen die Kranken. Das hielt aber den Theologen Rendtorff nicht davon ab, als medizinischer Fachmann vor die Öffentlichkeit zu treten und zu erklären, er habe das alles für die Kranken getan, ausdrücklich und gerade im Interesse der Krankenversorgung.
    Gemessen am ärztlich-wissenschaftlichen "Standard" kann man ihm diesen Anspruch denn auch schwerlich streitig machen, denn wo es üblich ist, über die Leichen der selbstorganisierten wie der institutionalisierten Kranken hinweg das Reformprogramm der freien Wirtshaft voranzutreiben, die Universität marktgerecht für den Kapitalismus zu reformieren, da ist auch der letzte KZ-Kapo im Recht, wenn er sagt, er habe ja nur Krankenversorgung betrieben.
    Dies zu sehen, ist sehr wichtig. Wann immer die Formel Recht auftauchte, handelte es sich um Gewalt gegen Kranke. Wann immer die Formel Krankenversorgung auftauchte, um Interessen von Staat und Wirtschaft.

  1. Das Gericht wußte von vornherein (s. Ablehnungsbegründungen), daß es sich beim SPK

    1. um einen beamtenrechtswidrigen Sachverhalt handelte, weil

    2. die Krankenversorgung (des SPK natürlich) gesundheitsschädlich sei und

    3. der politische Ansatz – so wurde im Februar 1970 festgestellt – völlig falsch und – so wurde im Juni 1971 festgestellt – der eingeschlagene Weg nicht der richtige sei, wobei man aber über die Politik zugegebenermaßen verschiedener Meinung sein könne.

Aus der Behauptung c) folgt für das Gericht a) und b), wobei der Schwerpunkt, die beamtenrechtliche Argumentation, zugunsten der politischen äußerst mager ausfiel.

Die Funktion der Rechtslage gegenüber einer Patientenselbstorganisation läßt sich demnach so zusammenfassen: Die Klinik vollzieht den Mordanschlag und nimmt dabei ihren "wissenschaftlichen Auftrag" wahr, der Rektor versichert kraft Amtes, dies sei Krankenversorgung, und das Gericht liefert die komplottadäquate politische Ideologie.

Im Rahmen der Patientenselbstorganisation bildet das politische Moment die Basis, die Krankenversorgung war Abwehr von Gewalt und an die Stelle von Mordanschlägen im Dienst der Wissenschaft konnten wir nur Öffentlichkeitsarbeit setzen, mit dem Ziel, die Fronten zwischen Krankheit und Gewalt ein für allemal abzustecken.
Das Gericht setzte sich zu unserer eben erst begonnenen Öffentlichkeitsarbeit in Beziehung, um seine Gewalt gegen Kranke hinter einer scheinprogressiven Politik zu verbergen. Vergeblich, denn es kam zur offenen Konfrontation.

Die Universität spielte sich immer wieder, z.B. insbesondere in Sachen studentischer Krankenversorgung als Sachwalterin ärztlicher Belange auf. Vergeblich, denn ihre Repressalien wurden offenkundig durch den gewaltsamen Tod einer SPK-Patientin.

Die Medizin hat mit Hilfe des Beamtenrechts ihr Verhältnis zu Kranken demonstriert und gestützt auf diese staatlich und ökonomisch einwandfreien Politik dutzendweise Kranke in den Tod getrieben und in mehreren Fällen Kranke, sogar Jugendliche, an uns zur Behandlung weitergeleitet, zu einer Behandlung also, die das Gericht antragsgemäß für nutzlos, gefährlich und falsch erklärt hatte.

Es ergaben sich also auch in praxi Widersprüche innerhalb des Systems Medizin, Gericht, Universität.
Aber das gemeinsame Interesse der Krankenvernichtung konnte es natürlich nicht zulassen, daß innerhalb dieses Systems sich die Widersprüche zu Widerständen verdichten.

Indem wir die als Recht, Krankenbehandlung und Wissenschaft getarnte gegnerische Position jeweils adäquat angingen, erreichten wir, daß das Recht seine Erscheinungsform wechselte und sich politisch gebärdete, um nicht klar zum Ausdruck bringen zu müssen, daß Staat und Krankheit dasselbe sind, meßbar in Vernichtung pro Leben.

Rendtorffs Sorge um das Wohl der Kranken verwandelte sich alsbald in die Sorge um Billigung durch Vorgesetzte und akademisches Stimmvieh – wodurch er klar zum Ausdruck brachte, auf welcher Seite er stand.

Dieser jeweilige Positionswechsel war lediglich gebremste, aufgeschobene Gewalt, kein Widerstand.
Der Ausweg für die Kranken war damit klar vorgezeichnet: die äußere Vergegenständlichung dieser Gewalt an den Kranken und durch sie selbst.

Die für die Gegenseite überfällige revolutionäre Umgestaltung vollzogen die Kranken stellvertretend durch den qualitativen Sprung aus der kollektiven Praxis in die Autonomie der Einzelhaft.

 

September 1971, 755, Z008

Huber PF/SPK(H) WD, Dr.med.

Aus SPK-Dokumentation Teil 3, 1. Auflage 1977
 

Die Lage der Welt ist Krankheit. Was tun?

Der vollständige Krankheitsbegriff

Geschichte der Patientenfront

Was wir bis jetzt revolutionieren wollten?
Antwort: Die Revolution ab unseren allerersten Anfängen und bis zur Stunde

 

 

PF/SPK(H), 05.08.2014